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Stadtleben

»Eine feministische Solidarität, die jüdische Frauen ausschließt, ist antisemitisch«

Im Vorfeld des Internationalen Frauentags am 8. März polarisieren unterschiedliche Positionen zum Nahostkonflkt

  »Eine feministische Solidarität, die jüdische Frauen ausschließt, ist antisemitisch« | Im Vorfeld des Internationalen Frauentags am 8. März polarisieren unterschiedliche Positionen zum Nahostkonflkt  Foto: Marco Brás Dos Santos

Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, wird es auch in Leipzig verschiedene Aktionen geben, um für Gleichstellung und gegen Diskriminierung von Frauen, FLINTA und Queers die Stimme zu erheben und deren Belange sichtbar zu machen. Im Vorfeld polarisieren vor allem unterschiedliche Positionen zum Nahostkonflkt. Mehrere Organisationen, darunter Gewerkschaften wie DGB und Verdi oder die Frauenkultur Leipzig, haben sich deshalb in diesem Jahr aus dem 8.-März-Bündnis zurückgezogen und rufen zur Teilnahme an zwei anderen Demonstrationen auf. Der kreuzer sprach im Vorfeld mit Sally vom Vorbereitungskreis der Demo »I can buy myself flowers« und Carla vom Vorbereitungskreis für einen Emanzipatorischen 8. März.

Ein großer Streitpunkt war in diesem Jahr in der Vorbereitung von Aktionen zum 8. März der Umgang mit Nationalfahnen und dem Nahostkonflikt: Mit welcher Position gehen Sie auf die Straße?

Carla: Wir haben uns an dem Punkt zusammengeschlossen, als klar wurde, dass im 8.-März-Bündnis dieses Jahr einseitig propalästinensische Positionen vertreten werden. Das zeichnete sich durch die Teilnahme vieler sogenannter roter Gruppen ab, durch die zunehmende Intransparenz des Bündnisses und im mittlerweile veröffentlichten Programm ist es auch offensichtlich. Dem setzen wir uns entgegen: Es ist der erste 8. März nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel. Die Vergewaltigung, Verschleppung und Ermordung israelischer, also zumeist jüdischer Frauen war integraler Teil dieses Massakers. Der darauffolgende Gazakrieg ist eine schreckliche politische und humanitäre Katastrophe und wir denken ebenso an die von der IDF getöteten und aus ihren Häusern vertriebenen Frauen, die sich aktuell in einer großen Notlage befinden. Aber eine feministische Solidarität, die jüdische Frauen ausschließt, ist antisemitisch. Weil diese Position in der Linken seit dem 7. Oktober sehr stark vertreten wird, haben wir es uns zum Schwerpunkt gesetzt, hier dagegenzuhalten. Auf der einen Seite ist es traurig, dass es in Leipzig jetzt drei Bündnisse zum 8. März gibt, andererseits sind die Karten offen auf dem Tisch. 

Sally: Auch wir finden es sehr bedauerlich, dass in diesem Jahr keine gemeinsame Demo möglich ist. Wie bereits angesprochen leiden insbesondere FLINTA (FLINTA steht für Frauen, Lesben, Inter, trans und agender Personen Anm. d. Red.) unter den Kriegsfolgen - sowohl in Afghanistan, Iran, Myanmar als auch in Israel und Palästina. Neben den desaströsen Folgen in den jeweiligen Kriegsgebieten resultieren daraus rassistisch, antisemitisch und antimuslimisch motivierte Gewalttaten weltweit, auch in Deutschland. Eine einseitige Parteilichkeit und das Priorisieren des Nahostkonfliktes am 8. März können und wollen wir nicht mittragen. Uns ist es wichtig, Solidarität zu zeigen ohne National- und Territorialflaggen. Ich möchte betonen, dass es sich in der Abspaltung nicht um eine »Wir gegen sie«-Demo handelt. Schließlich ist es uns wichtig, mindestens auch im Hinblick auf den Rechtsruck und die Wahlen in diesem Jahr, einen wertschätzenden Dialog zu fördern, der für ein breites feministisches Bündnis fundamental wichtig ist.

Was sind Ihre inhaltlichen Schwerpunkte für die diesjährige 8. März Aktion, wo Ihre Schnittmengen?

Carla: Das sind zum Beispiel der Kampf gegen Femizide und patriarchale Gewalt, das ausstehende Selbstbestimmungsgesetz, Arbeitskämpfe von Frauen und Queers sowie Post-Covid aus feministischer Perspektive.

Sally: Unser inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der Forderung nach (queer-)feministischer Solidarität und Selbstbestimmung. Noch immer schränkt patriarchale Gewalt eine gleichberechtigte Teilhabe von und ein selbstbestimmtes Leben für Frauen und FLINTA ein. Femizide sind dabei die äußerste Form der Gewalt und in diesem Jahr zählen wir bereits jetzt 20 Femizide allein in Deutschland. FLINTA leisten zudem noch immer den überwiegenden Anteil an Care-Arbeit und verdienen im Schnitt 18 Prozent weniger Gehalt. Besonders benachteiligt sind dabei migrantisierte FLINTA, Gastarbeiterinnen* und FLINTA mit Behinderung. Eine gerechte Aufteilung von Care-Arbeit und faire Löhne sowie Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter*innen sind demnach zentrale Forderungen. Auf internationaler Ebene beobachten wir zahlreiche patriarchale Machtkämpfe, die Kriege und Gewalt hervorbringen. Besonders betroffen sind FLINTA, sowohl in den jeweiligen Kriegsgebieten als auch auf der Flucht. Um all diesen Kämpfen begegnen zu können, stehen wir für eine Solidarisierung mit allen FLINTA weltweit, die von patriarchaler Gewalt und strukturellen Diskriminierungen betroffen sind - insgesamt sind also die Anliegen essenziell mit jenen des Emanzipatorischen 8. März verbunden.

Sie rücken in Ihre Aufrufen die Situation von Frauen, FLINTA bzw. Queers mit Behinderungen in den Blick. Wo liegen die besonderen Problemlagen von Betroffenen?

Sally: Frauen und FLINTA mit Behinderungen sind besonders von Diskriminierungen betroffen und werden gesellschaftlich unsichtbar gemacht. Die Liste der Diskriminierungen ist lang: Es gibt noch immer wenige barrierefreie Arztpraxen, insbesondere gynäkologische Praxen. Ebenso gibt es nur sehr unzureichend Frauenhausplätze, die barrierefrei zugänglich sind - obwohl Frauen und FLINTA mit Behinderungen häufig von (häuslicher) Gewalt betroffen sind. FLINTA mit Behinderungen müssen sich außerdem noch immer für einen Kinderwunsch rechtfertigen. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen fallen nicht einmal unter das geltende Arbeitsrecht und der gezahlte Lohn ist sehr weit von einem Mindestlohn entfernt.

Wie gestalten Sie Ihre Kundgebung, um auch dieser Zielgruppe die Teilnahme zu ermöglichen?

Sally: Wir haben uns mit Mitarbeiterinnen der Diakonie zusammengeschlossen, um den 8. März intersektional zu gestalten - auch für Frauen und FLINTA mit Behinderungen. Der Demo-Aufruf wurde dazu in leichter Sprache verbreitet. Vor der Demo laden wir ab 13 Uhr ein ins Werk 2, um Texte in leichter Sprache zu verlesen und gemeinsam Transpis zu basteln - für groß und klein, für Menschen mit und ohne Behinderung. Zudem versuchen wir Matches zu bilden für alle, die sich eine Begleitung für die Demo wünschen. Auf der Demo selbst, die um 15 Uhr am Connewitzer Kreuz beginnt, wird es einen inklusiven Familienblock geben und einen Redebeitrag zur Doppeldiskriminierung »Frau und Behinderung«.

Ebenfalls im Fokus steht der gesellschaftliche und politische Rechtsruck, der gerade in Sachsen emanzipatorische Errungenschaften massiv bedroht. Wie wollen Sie dazu beitragen, rechte Erfolge auch bei Wahlen zu verhindern?

Carla: Ich würde so gerne Aufklärung sagen - aber da wäre dann wohl die Wunschvorstellung Mutter des Gedankens. Das grobe Drittel der Bevölkerung, die im Begriff sind eine faschistische Partei zu wählen, tut das ja nicht, weil ihm nur noch niemand gesagt hat, wofür die AfD steht - sondern gerade deshalb. Mir scheint, die rechten Erfolge sind gar nicht mehr zu verhindern. Sondern es sind daraus Konsequenzen zu ziehen. Zunächst müssten wir damit auch emotional einen Umgang finden und dann braucht es eine Gegenmacht. Es braucht verlässliche Strukturen, antifaschistische und auch feministische, die weiter politisch arbeiten, gegen den Faschismus kämpfen und solidarisch mit allen sind, die unter ihm zu leiden haben.

Sally: In der Tat sind antifeministische und rassistische Parolen das Fundament der rechten politischen Agenda. Die Folge ist bisher auch eine besorgniserregende Diskursverschiebung, die eine sich verschärfende und vermehrt akzeptierte Abschiebepolitik beinhaltet. Ein Kernelement ist die geforderte Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen, die eine Zunahme von homo-, trans- und queerfeindlicher Gewalt fördert. Diesen Tendenzen können wir nur prozessual und gemeinsam begegnen- und gerade den 8. März nutzen, um einerseits auf die Gefahren und Zusammenhänge von rassistischen, sexistischen und faschistischen Parteien laut aufmerksam zu machen. Andererseits können wir, wie Clara sagte, gerade am 8. März feministische Bündnisse stärken, um eine verlässliche Gegenmacht zu bilden!

INTERVIEW: MARCO BRÁS DOS SANTOS


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