Nicole Seifert ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin, Rezensentin und Bloggerin. Im Interview zu »Einige Herren sagten etwas dazu« spricht sie über die Frauen, die als Autorinnen an den Treffen der Gruppe 47 teilnahmen und deren Werk heute größtenteils wieder in Vergessenheit geraten ist. Die Abwertung von Autorinnen war bereits Thema ihres ersten Sachbuchs »Frauenliteratur«.
Wann haben Sie das letzte Mal ein Buch von einem Mann gelesen?
Das war »Die Zeit der Verluste« von Daniel Schreiber. Ich interessiere mich für Randgeschichten und nicht für die Geschichten, mit denen ich aufgewachsen bin, die überwiegend von weißen Männern geschrieben worden sind. Da sind nicht nur Autorinnen interessant, sondern beispielsweise auch Texte von queeren Menschen.
Nehmen wir an, Sie könnten sich mit drei der in Ihrem Buch besprochenen Autorinnen zum Abendessen treffen. Wer wäre das und was gäbe es zu essen?
Besonders neugierig wäre ich auf Gisela Elsner, Ingeborg Bachmann und Gabriele Wohmann. Gisela Elsner hat vor allem Romane geschrieben und mit krassen Gesellschaftssatiren angefangen, die damals nicht verstanden werden wollten. Elsner kritisierte den damaligen Wirtschaftswunderwohlstand, in dem der Faschismus noch so gegenwärtig war. Ingeborg Bachmann würde ich gerne persönlich treffen, weil es oft mehr um die Rezeption ihrer Person geht als um ihr Werk. Es wird viel spekuliert, ob sie eine Diva war oder was an ihrem Verhalten sogar Spiel oder absichtliche Manipulation war. Das kommt mir heute übertrieben vor – wie ein Ablenkungsmanöver von ihrem Werk. Gabriele Wohmann finde ich interessant, weil sie ein umfangreiches Werk hinterließ, das sich viel um die Beziehung zwischen Mann und Frau dreht. Aus heutiger Sicht liest sich das sehr patriarchatskritisch. Damals hat sie sich klar vom Feminismus distanziert. Allerdings vermute ich, dass ihr bewusst war, dass man das tun musste, um Erfolg zu haben. Ich glaube, ich käme gar nicht viel zum Essen – vor lauter Begeisterung darüber, mit den drei Frauen reden zu dürfen. Wahrscheinlich würden wir vor allem trinken.
Mit drei Frauen hatten Sie tatsächlich die Möglichkeit zu sprechen.
Ich konnte drei Autorinnen treffen, die noch leben und in dem Buch vorkommen. Das waren Barbara Frischmuth, Elisabeth Plessen und Ingrid Bachér. Es war sehr interessant, mit ihnen zu sprechen, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten Teil der Gruppe 47 waren. Wo Ingrid Bachér keine Probleme sah, betrachtete Elisabeth Plessen, die zehn Jahre später sozialisiert wurde, die Dinge ganz anders, unter anderem in Bezug auf Sexismus.
Wie haben diese drei Frauen auf ihr Leben zurückgeblickt?
Ich muss da immer an einen Satz von Elfriede Jelinek denken, der besagt, dass die Autorinnen sich selbst lieber nicht eingestehen, welche Folgen die geschlechtsspezifische Abwertung hatte. Das ist für mich das Brisante an dem Buch: die Dimension, in der Autorinnen nicht gefördert wurden, nicht ermuntert wurden und dadurch ihren Platz in der Literaturgeschichte nicht bekommen haben. Aber bevor die Frauen einen Platz in der Geschichtsschreibung hätten einnehmen können, stand erst einmal ihr Leben, das bei einigen ganz anders hätte verlaufen können. Und das ist eine sehr schmerzhafte Erkenntnis.
Sie beschäftigen sich schon länger mit der Abwertung von Frauen und ihrer Literatur in der Literaturgeschichtsschreibung. Gibt es etwas, das Sie bei der Recherche für Ihr neues Sachbuch überrascht hat?
Mich überrascht immer wieder das Ausmaß der Abwertung. Mein Verdacht war, dass die Autorinnen nicht deshalb aus der Geschichte über die Gruppe 47 herausgefallen sind, weil sie nicht interessant wären. Ich wollte mir ihr Leben angucken und sie mit ihrem Werk wieder ins Rampenlicht holen. Stattdessen habe ich herausgefunden, wie sich die Autorinnen in der Gruppe 47 gefühlt haben, wie mit ihren Texten umgegangen wurde und wie über sie geschrieben wurde. Man muss sagen, dass die Frauen im Wesentlichen als Körper bei den Treffen dabei waren. Das wird in den Texten deutlich, die die Männer über sie geschrieben haben. Eigentlich ging es immer um Sexyness. Einige Frauen wurden eindeutig sexuell belästigt. Die Autorinnen, die gesellschaftskritische Texte geschrieben haben, an denen man nicht vorbeikam, wurden als Verrückte dargestellt, wie Ingeborg Bachmann oder Gisela Elsner. Die Texte selbst wurden kaum diskutiert. Ich habe schließlich begriffen, dass die Bilder, die die Männer sich von diesen Frauen gemacht haben, vor allem standen und die Autorinnen und ihr Werk dahinter verschwunden sind.
INTERVIEW: MICHELLE SCHLEIMER
> Nicole Seifert: Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47. Köln: Kiepenheuer und Witsch 2024. 352 S., 24 €
> Nicole Seifert erzählt die Geschichte der Gruppe 47 aus einer neuen Perspektive: der der Frauen; Do., 21.03., 18:30 Uhr, Deutsche Nationalbibliothek, Vortragssaal