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Stadtleben

In sechs Monaten zum Traumberuf

Der Joblinge-Kompass unterstützt Menschen mit Fluchterfahrung bei der Ausbildungssuche

  In sechs Monaten zum Traumberuf | Der Joblinge-Kompass unterstützt Menschen mit Fluchterfahrung bei der Ausbildungssuche  Foto: Mouad Tankiouine/Christiane Gundlach

Mehrmals geht die Tür auf, während wir im Büro sitzen. »Wir sind im Computerraum«, meldet sich ein Kollege ab, ein Teilnehmer wird zur Kollegin weitergeschickt. »Eigentlich ist es zu dieser Uhrzeit noch ruhig«, sagt Sebastian Heiland fast entschuldigend. Hier ist viel in Bewegung. Deshalb wechseln wir mit Mouad Tankiouine in einen ruhigen Konferenzraum im dritten Stock.

Der 27-jährige Mann kam 2015 als Geflüchteter aus Marokko nach Deutschland, er lebt hier mit Duldung und wird zum 1. August eine Ausbildung zur Fachkraft Metall im Bereich Zerspanungstechnik beginnen. »Die Zusage hat mich wirklich sehr glücklich gemacht«, erzählt Tankiouine mit einem Lächeln. Es ist der vorläufige Höhepunkt seines intensiven Joblinge-Kompass-Programms, das er im September 2023 begonnen hat. Das Programm startet dreimal im Jahr mit jeweils zwanzig Teilnehmenden und dauert sechs Monate. Davor stehen zwei Wochen, in denen Bewerberinnen und Bewerber ihre Motivation und Zuverlässigkeit unter Beweis stellen sollen, wie Sebastian Heiland erklärt. Das bedeutet konkret, in dieser Zeit nicht unentschuldigt zu fehlen, an allen Informationsveranstaltungen teilzunehmen und einen Tag in einem gemeinnützigen Projekt zu helfen. Damit sollen die möglichen Teilnehmenden auch selbst testen, ob sie Lust auf die intensive Zeit haben. Denn in den darauffolgenden Wochen ist viel zu tun: In Kursen und Workshops finden die Teilnehmenden heraus, welche Ausbildung sie wollen, begeben sich auf Stellensuche und bekommen Bewerbungstrainings. »Bei dieser Zielgruppe fehlt es nicht an Motivation, sondern oft an dem Wissen, wie der Arbeitsmarkt hier funktioniert«, erklärt Heiland.

Auch Sozialkompetenzen kommen nicht zu kurz. Dafür gibt es ein Kulturprojekt, bei dem die Teilnehmenden zum Beispiel ein Theaterstück einstudieren. Das soll motivieren, die eigene Komfortzone zu verlassen, sich Herausforderungen zu stellen und in der Gruppe zusammenzuarbeiten. »Mir hat eigentlich alles am Programm gefallen«, erzählt Tankiouine. Es sei schön gewesen, in der Gruppe neue Menschen kennenzulernen und Sport zu treiben. Denn auch das gehört zum Programm – Freizeitangebote zu machen und privat Anschlussmöglichkeiten zu bieten.

Nach der intensiven Zeit folgt ein Praktikum im Wunschbetrieb, bei Tankiouine war das BBG Amazone, ein Leipziger Unternehmen, das Bodenbearbeitungsmaschinen produziert und Tankiouine einen Ausbildungsplatz angeboten hat, den er wollte. »Dass es so reibungslos funktioniert, ist natürlich nicht die Regel«, ordnet Heiland den Erfolg ein. Manchmal brauche es zum Beispiel noch ausbildungsvorbereitende Kurse oder, wie bei Tankiouine, intensive Kommunikation mit der Ausländerbehörde, um eine Ausbildungsduldung zu beantragen.

Das Programm Joblinge-Kompass kann auf einige Erfolge blicken: Es wurde 2016 ins Leben gerufen, um gezielt Personen mit Fluchthintergrund zu unterstützen. In Leipzig haben inzwischen fast 450 Personen das Programm durchlaufen, von denen 77 Prozent in Ausbildungsberufe oder sozialversicherungspflichtige Jobs vermittelt werden konnten. Die Zugangsvoraussetzungen sind niedrig: Bewerberinnen und Bewerber brauchen einen Aufenthaltstitel, dürfen höchstens 27 Jahre alt sein und müssen in Leipzig wohnen. Wichtig ist auch ein gewisses Sprachniveau: »Wir bieten zwar berufsbezogene Sprachkurse an, aber wir sind keine Sprachschule«, betont Heiland. Stattdessen werde intensiv an den Bewerbungen gefeilt. »Man muss immer bedenken, dass die Bewerbungen der Geflüchteten auf demselben Stapel landen wie die der Muttersprachler. Da muss die Bewerbung schon noch mal ein bisschen besser sein, um zu überzeugen. Dabei steckt ein unglaubliches Potenzial in diesen Menschen.«

Die intensive Betreuung ist auch das, was Tankiouine am Programm schätzt: »Die Joblinge begleiten einen wirklich auf dem Weg zum Wunschberuf. Man bekommt unglaublich viel Wissen vermittelt und wird sehr gut auf die Ausbildung vorbereitet.« Für potenzielle Arbeitgeber sei es oft ein Vorteil, wenn die Auszubildenden von den Joblingen kommen. Denn die Betreuung endet nicht nach sechs Monaten, sondern dauert bis zum Ende der Ausbildung an. Bei einer Zielgruppe, die nur aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht, heißt das zum Beispiel, dass die Joblinge bei Fragen helfen, die den Aufenthaltsstatus betreffen. »Egal, was irgendwelche politischen Bewegungen behaupten: Es gibt einen unglaublichen Bedarf an Fachkräften. Wer also eine Ausbildung und dann einen deutschen Abschluss hat, wird auch in Deutschland bleiben können«, berichtet Heiland von seinen Erfahrungen. Aber auch bei klassischen Problemen am Ausbildungsbetrieb sind die Beraterinnen und Berater der Joblinge ansprechbar – etwa, wenn es Konflikte mit Vorgesetzten gibt oder die Azubis Unterstützung in der Berufsschule brauchen.

Wenn er sich etwas wünschen dürfte, sagt Sebastian Heiland zum Abschied, dann, dass solche komplexen Unterstützungsangebote ausgebaut werden, deren Ergebnisse in seinen Augen bisher wirtschaftlich und gesellschaftlich überzeugen. 

 

Hintergrund

Joblinge wurde 2008 auf Initiative von Boston Consulting Group, Eberhard von Kuenheim Stiftung und BMW ins Leben gerufen. Mit gemeinnützigen AGs sollen benachteiligte Jugendliche komplexe Unterstützung erhalten, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Inzwischen ist die Initiative als Social-Franchise-System an über 30 Standorten organisiert. Aktionäre der gAGs sind Unternehmen, Stiftungen und Kommunen. Finanziert werden die Projekte durch Fördermittel und Spenden. Das Programm Joblinge-Kompass existiert seit 2016 und richtet sich gezielt an Menschen mit Fluchthintergrund.


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