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Kultur

Verdrängt

Grit Lemke dokumentiert das Leben der Sorben mit »Bei uns heißt sie Hanka«

  Verdrängt | Grit Lemke dokumentiert das Leben der Sorben mit »Bei uns heißt sie Hanka«  Foto: Filmstill/Neue Visionen Filmverleih

»Wenn man sich als Kind schmutzig gemacht hatte oder falsch angezogen war, hieß es ›Lauf nicht rum wie ne wendsche Hanka.‹ Ich wusste nicht, was eine ›wendsche Hanka‹ war, aber auf keinen Fall wollte ich eine sein.« – Diese Worte spricht Grit Lemke am Anfang ihres Films. In den folgenden 90 Minuten räumt sie mit tief verwurzelten Vorurteilen auf, zeigt das blühende Leben der heutigen Sorben und junge Menschen, die sich für die Tradition entschieden haben.

So wie Anna-Rosina Wjesela. Nachdem sie ihren Freund kennenlernte, entschied sich die Jura-Studentin bewusst für den Lebensweg der Sorben – und wurde Hanka Wjeselina. Ihre erste Berührung mit der Kultur hatte sie auf einem Schulausflug in ein Freilichtmuseum. Dort wurde die Kultur als ausgestorben dargestellt. Jetzt lebt sie selbst sorbische Traditionen, lernt die Sprache und feiert ein rauschendes sorbisches Hochzeitsfest.

Die Sorben, die man im Brandenburgischen auch Wenden nennt, sind das kleinste slawische Volk. In weiten Teilen der Lausitz bildeten sie bis ins 20. Jahrhundert die Mehrheit der Bevölkerung. Heute sind sie eine von vier anerkannten Minderheiten in Deutschland, politisch wie kulturell kaum repräsentiert. Regisseurin Grit Lemke stammt aus der Region. Einfühlsam setzt sie sich mit dem fremden und doch so nahen Volk der Sorben auseinander, begleitete Jung und Alt mit der Kamera beim Wiederentdecken sorbischer Traditionen. Zeigt Umzüge und Feste in Trachten, aber auch junge sorbische Rapper.

Lemke geht es darum, ihre Heimat zu verstehen und verständlich zu machen. Bereits mit »Gundermann Revier« und ihrem vielbeachteten dokumentarischen Roman »Kinder von Hoy« blickte sie genau auf die Lausitz und ihre Geschichte. Doch da war noch eine Leerstelle, sagt Lemke: »Mir geht es darum, zu schauen, wo wir herkommen, was aus uns geworden ist und warum wir so sind, wie wir sind. Je mehr ich mich in die Geschichte der Sorben und Wenden hineinbegeben habe, habe ich gemerkt, dass das auch meine persönliche Geschichte ist.«

Lemke verwebt diese mit der eigenen Biografie. Sie erzählt von ihrer Oma, die ein seltsames Deutsch sprach, verdreht und ohne Umlaute. »Ich habe meine ganze Kindheit und Jugend nie irgendetwas Positives über Sorben gehört«, erinnert sich Lemke. »Irgendwann stellt man dann fest, dass die eigene Familie sorbische Wurzeln hat. Und dann fängt man an, genauer hinzugucken: Wo kommt man eigentlich her? Was sind das für Wurzeln? Was ist da passiert?«

Seit vielen Jahren kuratiert Lemke – die lange Zeit auch bei Dok Leipzig tätig war – eine sorbische Filmreihe beim Filmfestival Cottbus. Durch diese Arbeit lernte sie Sorbisch und auch ihr Freundeskreis ist heute sorbisch geprägt, wie sie sagt. Viele aus diesem Kreis sind auch im Film zu sehen: »Ich habe keinen von ihnen für den Film recherchiert oder gesucht. Es sind alles Menschen, mit denen ich in unterschiedlichen Zusammenhängen gearbeitet hab oder ihnen begegnet bin, und mit den meisten bin ich tatsächlich auch befreundet. Aber es ist auch ein Spektrum des Sorbischen, das ich abbilden wollte.«

Sie erzählt auch von einer Region, der Lausitz und des Ostens, »die über Jahrhunderte eigentlich fremdbestimmt wurde«, von der Stigmatisierung der Sorben und der sorbischen Sprache. »Was macht das mit jemandem, wenn man die eigene Sprache nicht mehr sprechen darf, und wie wirkt sich das über Generationen aus?«, fragt sie. Für Lemke ist der Blick in die Vergangenheit auch eine Antwort auf die politische Entwicklung der Region.

Der Arbeitstitel ihres Films – »Das vergessene Volk« – erschwerte die Suche nach überregionalen Partnern, sagt Lemke. Förderung gab es vom Bund nur für die Stoffentwicklung, nicht aber für die Produktion des Films. »Uns wurde gesagt, dass das Wort Volk nicht mehr vorkommen soll. Genau darum geht es in meinem Film, um Tabus, die man in Deutschland komplett einer politischen Seite – und wie ich finde: der falschen – überlassen hat. Begriffe wie Nationalität, Muttersprache, Heimat – die will ich auch ein Stück weit zurückholen. Denn es sind wichtige Dinge, zumindest für mich.« Die Produktion wurde schließlich mit Geldern der Mitteldeutschen Medienförderung und des MDR realisiert. Seine Weltpremiere feierte »Bei uns heißt sie Hanka« im Deutschen Wettbewerb beim 66. Dok Leipzig. 

 

> ab 18.4., Kinobar Prager Frühling, Passage-Kinos

> Premiere in Anwesenheit der Regisseurin: 19.4., 17.45 Uhr, Passage-Kinos


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