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Kultur

Zeitzeuge zu Gast in Leipzig

Filmvorführung und Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Andrei Iwanowitsch

  Zeitzeuge zu Gast in Leipzig | Filmvorführung und Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden Andrei Iwanowitsch  Foto: Filmstill »Ja, Andrei Iwanowitsch«

Die Plätze des Ost-Passage-Theaters in der Konradstraße sind restlos besetzt an diesem Freitagabend. Es läuft der Film »Ja, Andrei Iwanowitsch« über den gleichnamigen ehemaligen Zwangsarbeiter und KZ-Überlebenden. Der 1926 geborene Iwanowitsch  ist ebenfalls vor Ort, um nach der Filmvorführung mit dem Publikum zu sprechen. Iwanowitsch ist einer der letzten Überlebenden des KZ Buchenwald, der vor seiner Deportation dorthin im Mai 1944 Zwangsarbeiter bei der Rüstungsfirma HASAG in Leipzig war.

Der Dokumentarfilm aus dem Jahr 2018 begleitet den zum Drehzeitpunkt 91-Jährigen ein Jahr lang in seinem Alltag in Minsk und erzählt episodenhaft von den zahlreichen Schicksalsschlägen Iwanowitschs sowie seinem Leben nach 1945. Mit gerade einmal 15 Jahren hatte Iwanowitsch bereits beide Elternteile an den Krieg verloren und musste als Ältester sich und seine Geschwister ernähren – vorrangig durch betteln. Dabei geriet er in die Hände von Wehrmachtssoldaten, die ihm Hilfe versprachen, was sich später als Lüge entpuppte, denn Iwanowitsch wurde in Wahrheit zur Zwangsarbeit bei der HASAG in Leipzig rekrutiert. Dort verbrachte er rund zwei Jahre, ehe er ohne ersichtlichen Grund in ein Gestapo Gefängnis in Leipzig verlegt und dann schließlich nach Buchenwand deportiert wurde.

Über seine Situation bei der Zwangsarbeit und in Buchenwald berichtet Iwanowitsch im Film nur knapp, denn es sei nicht beschreibbar, was er dort erlebt hätte. Vor den Dreharbeiten zum Film habe er zudem ohnehin kaum über das Erlebte gesprochen. In der Doku berichtet Iwanowitsch nur kurz über die allgegenwärtige Hoffnungslosigkeit, Härte, Gewalt und den Rauch der Krematorien. Besonders eindrücklich beschreibt er dagegen, wie die eigentlich schon befreiten Häftlinge aus der Luft noch einmal von den Nazis beschossen wurden und er selbst dem Tod nur knapp entrinnen konnte. Dass er all das überhaupt überlebte, habe er vor allem dem Zufall zu verdanken, sagt Iwanowitsch. Trotz aller Gräueltaten verspüre er keinen Hass auf die Deutschen, denn es seien in Wahrheit immer die politischen Führer, die den Hass zwischen Völkern verursachten. Aus diesem Grund könne so etwas wie der Holocaust aber prinzipiell immer wieder passieren, mahnt Iwanowitsch.

Besonders eindrücklich ist der Film »Ja, Andrei Iwanowitsch« vor allem, weil er das Portrait eines Menschen zeichnet, der trotz oder vielleicht sogar wegen seiner zahlreichen Schicksalsschläge eine bemerkenswert positive Einstellung und Lebenslust besitzt. Die Doku zeigt den vitalen 91-Jährigen beim Feiern seines Geburtstages in Minsk, wie er sich liebevoll um seine Datscha samt Garten kümmert, beim Besuchen eines Deutschkurses und wie er zur Gedenkveranstaltung nach Buchenwald reist. Er berichtet davon, wie er sich nach der Befreiung ein bescheidenes Leben in Minsk aufbaute, seine große Liebe kennenlernte und eine Familie gründete. Als Iwanowitsch am Freitag in Leipzig gefragt wird, worin sein Geheimnis bestehe, antwortet er, er habe nie aufgehört zu Arbeiten und dazuzulernen. Die Dokumentation weitet also insgesamt die Perspektive und wird durch das Portrait der humorvollen und lebensfrohen Person Andrei Iwanowitsch nicht nur zu einem wichtigen zeitgeschichtlichen Dokument über den Holocaust, sondern auch zu einer Abhandlung über den Umgang mit Schmerz, Verlust, Liebe und das Leben überhaupt.


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