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Sport

»Ich kann mit links auch viele Dinge machen«

Martin Schulz reichen seine beiden paralympischen Goldmedaillen noch nicht

  »Ich kann mit links auch viele Dinge machen« | Martin Schulz reichen seine beiden paralympischen Goldmedaillen noch nicht  Foto: Promo

Martin Schulz ist Doppel-Paralympics-Sieger im Triathlon, Welt- und Europameister – und Top-Favorit für die Paralympics in Paris. Im kreuzer-Interview erzählt der Leipziger, dem seit der Geburt der linke Unterarm fehlt, wie er seine Berufung im Sport findet.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie sehr gut im Sport sind?

Meine Eltern haben mich mit sechs Jahren in einen Schwimmverein gesteckt, weil sie Angst hatten, ich könnte aufgrund meiner fehlenden Hand beim Schwimmen Probleme bekommen. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass ich viel Spaß und Talent beim Schwimmen habe, und ich habe dann bei normalen, regionalen Wettkämpfen mitgemacht. So hat sich das immer mehr zu Leistungssport entwickelt und mit 14 kam ich ans Sportgymnasium nach Leipzig.

Hatten Sie eine spezielle Förderung?

Ich war in Döbeln der Einzige mit einem Handicap und trotzdem der Leistungsträger. Dort hat das gut funktioniert. Für meine Trainerin war das auch neu, aber sie hat kein Problem darin gesehen. Wir hätten wahrscheinlich beide nicht gedacht, dass es sich so entwickelt, aber das ging dann ratzi fatzi. 2000 bin ich dann mit zehn Jahren das erste Mal hier in Leipzig bei den Sachsenmeisterschaften im Para-Schwimmen gestartet, kam später in den Landeskader und die Junioren-Nationalmannschaft.

Und wie sind Sie zum Triathlon gekommen?

Ich hatte auch immer großen Spaß am Radfahren – zum Ärgernis meiner Eltern, weil ich immer mal mit Schürfwunden nach Hause kam. Und im Schulsport war ich einer der wenigen Schwimmer, die auch gerne gelaufen sind. Ich fand die Abwechslung der drei Sportarten irgendwann einfach cooler und vor allem mochte ich auch, dass man draußen sein konnte. In Leipzig hatte der Parastützpunkt lange Zeit parallel mit den Triathleten Schwimmtraining, wodurch die damalige Triathlon-Landestrainerin auf mich aufmerksam geworden ist.

Welche Teildisziplin fällt Ihnen am schwersten?

Physisch wahrscheinlich das Schwimmen, im Vergleich zu nicht-gehandicapten Sportlern. Ich stelle mir dabei immer vor, dass ich links den Arm genauso habe und somit links die Streckung genauso machen kann wie rechts.

Allerdings ist die technische Herausforderung beim Fahrrad am größten. Einen Lenker für mich zu bauen, der sicher ist, aber auch ergonomisch passt und mich zu Höchstleistungen bringt, war nicht so einfach. Ich habe das Glück, dass mir in den letzten Jahren das FES dabei hilft, das Schwesterinstitut vom IAT (das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin konstruiert individuelle Leistungssportgeräte und forscht wie das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig zentral für den deutschen Spitzensport, Anm. d. Red.). Vorher hat mir ein Leipziger Orthopädiemechaniker beim Bau geholfen. Es ist nach wie vor ein Experiment und ein Basteln, weil es keine großen Erfahrungswerte gibt.

Beim Laufen denken die meisten: »Okay, zwei gesunde Beine hat er ja.« Aber es ist trotzdem so, dass man mit eineinhalb Armen Nachteile hat. Das Gleichgewicht ist gestört. Ich habe einfach eine gewisse Dysbalance und auf der rechten Seite mehr Gewicht als auf der linken, was ich im Rumpf kompensieren muss. Darüber müssen sich Menschen mit zwei Armen keine Gedanken machen.

Kam es für Sie mal in Frage, eine Prothese zu tragen?

Ja, von klein auf. Meine Eltern haben auf den Rat der Ärzte gehört, die gesagt haben: »Der muss eine Prothese tragen, sonst wird er irgendwann Probleme bekommen.« Ich war als Kind immer schon sehr aktiv – bin am Stadtrand fast schon dörflich aufgewachsen. Da hat man mit den Kumpels viel draußen gespielt, war auf dem Bolzplatz und ist auf Bäumen rumgeklettert. Da habe ich die Prothese auch mal irgendwo im Wald liegen lassen (lacht). Später kam das Thema noch mal wegen des Radfahrens auf: Das funktioniert ähnlich wie eine Prothese, nur dass die Halterung am Lenker festgemacht ist. Aber allgemein kommt es für mich nicht in Frage, weil es für mich ein Fremdkörper ist. Ich kann mit links auch viele Dinge machen. Klar muss ich mir bei einigen mehr Gedanken machen, brauche vielleicht auch mal eine Sekunde länger. Aber wenn mich jemand fragt, was ich nicht kann, fällt mir spontan nichts ein. Vielleicht kann ich kein Trompeter mehr werden oder Klavierspieler, aber da kann ich auch drauf verzichten (lacht).

Es gibt bei den Paralympics ein Punktesystem zur Klassifizierung der Beeinträchtigung. Können Sie das kurz erklären?

Im Triathlon gibt es sechs Startklassen: vier stehende, eine Rollstuhl-Klasse und eine für Sehbehinderte und Blinde. Ich bin in der Klasse mit den geringsten Einschränkungen, zusammen mit Sportlern mit leichten Armhandicaps oder leichten Einschränkungen am Fuß. Man geht immer vom Maximum aus und schaut dann, was derjenige kann. Es gibt eine technische und eine medizinische Klassifizierung. Ich versuche es immer so zu erklären, dass es wie bei den Gewichtsklassen im Kampfsport ist. Für Außenstehende ist es manchmal nicht nachvollziehbar, aber eigentlich ist es doch recht klar. Natürlich gibt es auch immer wieder Behinderungen, die nicht so leicht einzustufen sind, wie zum Beispiel neurologische Beeinträchtigungen, die sich verschlechtern oder besser werden können. Wenn irgendwo ein Körperteil fehlt, ist es meistens ziemlich einfach (lacht).

Hatten Sie je den Ansporn, auch bei den Olympischen Spielen zu starten?

Gehen würde es schon. Ich bin viele Jahre auf nationaler Ebene in der Bundesliga mitgestartet, aber ich weiß auch, dass es nicht realistisch ist. Die Sportler da oben starten einfach am absoluten Limit. Man kann nicht genau sagen, wie viele Nachteile ich aufgrund des fehlenden Unterarms habe, aber man geht von 10 bis 15 Prozent aus und ich bin kein Übermensch, das ausgleichen zu können. Ich versuche mich aber auf nationaler Ebene immer mal wieder mit guten Athleten zu messen und freue mich, in einem Rennen mit Profis und Topstars unter die Top 10 zu kommen.

Mit einem Sieg in Paris wären Sie der erfolgreichste Para-Triathlet aller Zeiten. Löst das Druck oder Vorfreude in Ihnen aus?

Sowohl als auch. Den meisten Druck mache ich mir selber. Nach zwei Paralympics-Siegen bin ich jetzt natürlich der Favorit. Und nach dem Weltmeister-Titel im vergangenen Jahr ist natürlich das Augenmerk noch mehr auf mir. Ich habe jetzt auch ausgesprochen, dass ich um Gold kämpfen will.


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