anzeige
anzeige
Stadtleben

Kein Ehrenamt wie jedes andere

Das Kriseninterventionsteam Leipzig leistet Erste Hilfe für die Seele

  Kein Ehrenamt wie jedes andere | Das Kriseninterventionsteam Leipzig leistet Erste Hilfe für die Seele  Foto: Frauke Ott

Das Kriseninterventionsteam (KIT) ist in Leipzig für die psychische Nachsorge von Menschen nach traumatischen Ereignissen da. Der ehrenamtlich arbeitende Verein konnte über Spenden ein neues Dienstfahrzeug kaufen, das am Samstag auf dem Stadtfest vorgestellt wird. Antje Stresuw und Heike Stellmacher erzählen von ihrer Arbeit beim KIT.


Was umfasst die Krisenintervention alles?

Stresuw: 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr betreuen wir Menschen, die durch ein traumatisches Ereignis aus der Normalität ihres Lebens herausgerissen werden. Unser Ziel ist es, den Menschen, in den ersten Stunden nach dem traumatischen Erlebnis, Unterstützung und Halt zu geben. Damit leisten wir »psychosoziale Erste Hilfe« direkt vor Ort. Wir hören einfühlsam zu, nehmen uns Zeit, führen Gespräche, aktivieren das soziale Umfeld und weisen bei Bedarf auf weiterführende Betreuungsangebote hin. Wir können ihnen helfen den ersten Schock zu überwinden, und zu realisieren, was geschehen ist. Im letzten Jahr sind wir 273 Einsätze gefahren.
 

Was sind typische Situationen der Betroffenen?

Stresuw: Unser Haupteinsatz ist Tod im häuslichen Bereich. Zudem betreuen wir auch Angehörige und Augenzeugen von Suizidanten, auch Ersthelfer. Und wir überbringen auch die Todesnachricht in Zusammenarbeit mit der Polizei.


Wie gut funktioniert die Arbeit mit der Polizei?

Stresuw: Wir sprechen uns gut ab, vor allem beim Überbringen der Todesnachricht. Dafür treffen wir uns vorab auf dem Polizeirevier und fahren dann gemeinsam zum Überbringen der Todesnachricht los. Die Polizei spricht das aus, das dürfen wir nicht tun. Wir sind dann aber für die Betreuung der Betroffenen da.


Wie lange dauert eine Betreuungszeit nach einem Vorfall?

Stellmacher: Es ist ganz unterschiedlich. Das kann eine ganz schnelle Betreuung von 1,5 bis 2 Stunden sein, kann sich aber auch mal über 10 Stunden hinziehen. Das sind dann aber schon Extremfälle. In der Regel sind es 2 – 4 Stunden.


Wie ist der Kontakt mit Nachsorgeeinrichtungen?

Stresuw: Wir haben hier in Leipzig ein gutes Netzwerk und das vermitteln wir auch weiter. Wir haben also Telefonlisten, Emailadressen, die wir weitergeben. Von uns bekommt jeder Betroffene ein Flyer und dort hinterlassen wir auch vom Netzwerk Nachrichten, wo sie sich hinwenden können, dass sie dann nicht unterversorgt sind. Wir sind ja auch nur für einen kurzen Zeitraum da. Das KIT kommt nur ein Mal in dieser Akutsituation. Wir nehmen keinen Kontakt weiterhin auf. Das müssen dann andere Netzwerke in Leipzig machen. Und die vermitteln wir weiter.


Wie eingebettet ist das KIT in die Hilfslandschaft?

Stresuw: Netzwerkarbeit ist das A und O. Das muss viel betrieben werden. Hier in Leipzig können wir wirklich auf ein großes Hilfenetzwerk zurückgreifen.


Macht ihr auch Nachbesprechungen?

Stresuw: Wir haben Supervisionen, Teamabende. Und das allerwichtigste ist eigentlich die Übergabe an den nächsten KITler, da tauscht man sich aus.

Stellmacher: Es gibt vier Stufen, in denen wir verarbeiten. Die erste ist die Besprechung ist ein Telefonat mit unserem Einsatzleiter nach dem Einsatz. Dort erzählen wir zum ersten Mal was so passiert ist. Dann gibt es die Übergaben an den nächsten KITler, bei der wir uns nochmal mit einem Kollegen austauschen können. Dann haben wir die monatlichen Dienstabende. Und nicht zu vergessen, auch wir dokumentieren – zwar sehr anonym – aber wir schreiben schon auf, was unsere Einsätze beinhaltet haben. Und ich denke damit ist dann auch das Letzte vom Einsatz irgendwann mal ausgesprochen.


Warum gibt es bisher kaum Förderung von der Stadt?

Stresuw: Die KIT ist erst seit Anfang des Jahres im sächsischen Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz verwurzelt. Und deshalb gab es bis dahin keinen gesetzlichen Anspruch auf diese Leistungen. Zukünftig wird es sich sicherlich ein bisschen anders gestalten.

Stellmacher: Aber der Bedarf wurde ja auch erst vor wenigen Jahrzehnten von entdeckt. Und jetzt, 24 Jahre später, hat es in das Gesetz Einzug erhalten – in der Politik dauert das einfach so lange. Mit dieser neuen Grundlage wird sich sicherlich auch die KIT in ihrer Landschaft ein bisschen verändern.


Wie gut haltet ihr euch mit Spenden über Wasser?

Stellmacher: Die Spenden sind unsere Basis. Ohne Geld geht da nichts, weil wir Einsatzkleidung und – ausstattung kaufen müssen. Genauso wie unser neues Fahrzeug. Ohne das gehts nicht. Aber noch wichtiger sind Mitglieder, die wir brauchen, weil die Arbeit auch getan werden muss. Es ist kein Ehrenamt wie jedes andere.

Stresuw: Es ist sind 24 Stunden, die wir abrufbereit sein müssen. Das heißt, man kann da nicht arbeiten gehen, weil man jederzeit angerufen werden könnte. Und das ist eine große Herausforderung.

Stellmacher: Wir haben einen Bereitschaftsdienstplan, in dem alle 24 Stunden eine andere Einsatzkraft im Dienst ist. Dann gibt es noch eine zweite Einsatzkraft, die allerdings nur am Telefon sitzt und Hintergrunddienst macht. Dieser Leiter vom Dienst unterstützt den Menschen im Vordergrund. Aber aktiv unterwegs ist immer nur einer.


Haben alle KITler einen medizinischen Hintergrund?

Stellmacher: Nein, ich hab einen völlig anderen Beruf. Ich bin Bau- und Wirtschaftsingenieurin.

Stresuw: Ich bin Krankenschwester. Wir hatten hier beim KIT aber auch schon einen Pferdewirt, ITler und Hausfrauen.


Wie entstand das KIT?

Stresuw: Das KIT wurde im Jahr 2000 durch Rettungsdienstler, die den Bedarf gesehen haben, gegründet. Die haben bei ihren Einsätzen gesehen, dass sie den Einsatzort hinterlassen und die Angehörigen gar nicht klar kommen. Und da haben die Rettungsdienstler gesagt, es müsse etwas geben, ein Verein oder eine Organisation, die sich genau um diese Leute kümmert.


Kommentieren


1 Kommentar(e)

Hell Fair 01.06.2024 | um 12:20 Uhr

Superwichtige und sicher auch erfüllende Arbeit! Danke!