anzeige
anzeige

Richtig informieren fürs erste Wählen

Am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Gohlis bereiten sich Jugendliche auf die Europawahl vor – ein Besuch bei der Schülerratssitzung

  Richtig informieren fürs erste Wählen | Am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Gohlis bereiten sich Jugendliche auf die Europawahl vor – ein Besuch bei der Schülerratssitzung  Foto: Christiane Gundlach

Es ist große Pause am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Gohlis. Kinder rennen kreuz und quer über den Schulhof – während drinnen für den Schülerrat die wöchentliche Vorstandssitzung beginnt. Zwei Schülerinnen und vier Schüler sitzen an drei Tischen, die u-förmig aufgestellt sind. Auf der einen Seite Fritzi, die Beisitzerin, daneben Schülersprecher Aurelius und sein Vize Victor rechts von ihm. Ihnen gegenüber sitzen Anton, der Medienbeauftragte, und Julius, der Ansprechpartner für die neunten bis elften Klassen. Am Kopfende: Schatzmeisterin Prisca.

Heute auf der Tagesordnung: die Juniorwahl, ein bundesweites Projekt für Schulen, um Bundestags-, Landtags- und Europawahlen zu simulieren. Zur Landtagswahl-Simulation wurde die Schule von den Lehrkräften für Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung/Wirtschaft (GRW) angemeldet. Die Anmeldung zur Europawahl hingegen initiierte der Schülerrat. Das Schiller-Gymnasium ist eine von 34 Leipziger Schulen, die mitmachen. »Weil uns das wichtig ist, weil wir ab 16 wählen dürfen und wenn wir das nicht tun, auch nicht in der Politik widergespiegelt werden«, begründet Julius die Anmeldung. Gewählt wird in der Woche vor dem 9. Juni mit Stimmzetteln wie bei der echten Wahl. Die Ergebnisse möchte die Schule im Unterricht besprechen und mit den tatsächlichen Ergebnissen vergleichen. Die Juniorwahl soll Schülerinnen und Schüler nicht nur auf die Wahl vorbereiten, sondern auch politisch bilden. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Juniorwahl wirkt – und zwar in allen Schulformen: »Zum einen steigt die Wahlbeteiligung bei den Erstwählern und sogar in den beteiligten Familien, weil die Kinder ihre Eltern dazu anregen, zur Wahl zu gehen. Zum anderen steigt das Vertrauen in das Wahlsystem und Wählen wird zur Selbstverständlichkeit«, berichtet Florian Wolf, Projektleiter der Juniorwahl.

Auch im Schülerrat sind sich alle einig: »Frühe politische Bildung ist wichtig, damit jeder weiß, worüber man entscheidet, wenn man zur Wahl geht«, sagt Anton. Aurelius ist der Einzige am Tisch, der 16 Jahre alt ist, alle anderen sind ein Jahr jünger. Julius ist in der zehnten Klasse und beobachtet in seinem Jahrgang, dass sich viele der Wahlberechtigten noch nicht mit dem Thema beschäftigt hätten. Aus diesem Grund organisiert der Schülerrat eine Informationsveranstaltung, die eine Woche vor der Europawahl stattfinden soll. Dort soll es um die Parteien gehen, die zur Wahl stehen, und erklärt werden, wie das Europäische Parlament funktioniert.

Anton hat den Eindruck, dass sich viele an der Schule über Social Media zu politischen Themen informieren. »Tiktok ist kein Journalismus. Manches ist schwer nachprüfbar für den durchschnittlichen Menschen in unserem Alter. Man hat nicht immer die Kapazitäten zu gucken, ob das stimmt, was man liest«, berichtet er. Seiner Meinung nach könnten »negative Akteure« das Vertrauen, das manche in Social Media steckten, missbrauchen. Aurelius habe an sich bemerkt, dass er nach einiger Social-Media-Zeit nicht mehr unterscheiden konnte, ob seine Informationsquelle ein Tiktok-Video oder ein öffentlich-rechtlicher Beitrag war. Danach entschied er sich, Tiktok auf seinem Telefon zu löschen. In seinem Umkreis erlebe er, dass viele nicht wüssten, wie sie mit Fake-News auf der Plattform umgehen sollten. »Weil das in der Schule nicht angesprochen wird«, meint der Schülersprecher. Fünf Köpfe nicken zustimmend.

Dem hat Aurelius etwas hinzuzufügen: Aktuell diskutiere man viel darüber, ob man AfD-Politikerinnen und Politiker auf den Stuhl von Markus Lanz einladen sollte: »Viele sagen: ›Nein, bei deren politischer Ideologie nicht.‹ Aber wenn man sie nicht mehr in die Öffentlich-Rechtlichen einlädt, fürchte ich, dass das Narrativ der AfD ›Die wollen uns isolieren, die sind gegen uns‹ weiter verstärkt wird.« Er befürchte, dass AfD-Anhänger deshalb die öffentlich-rechtlichen Sender meiden und sich nur noch auf Tiktok informieren, wo keine Expertinnen und Experten eingreifen, wenn Falschinformationen verbreitet werden. Anton widerspricht direkt: »Eine Diskussion in einer Politik-Talkshow hat auf Fakten zu basieren und nicht auf Ideologien, Parolen und Hetze von rechten Politikern.« Und wenn eine faktenbasierte Diskussion mit der AfD nicht möglich sei, habe sie dort nichts zu suchen, findet er. »Es ist wichtig, dass die Öffentlich-Rechtlichen mittlerweile Präsenz auf Social Media zeigen, auch auf Tiktok«, beendet er seine Gedanken dazu. Aurelius setzt erneut an: »In Talkshows sind Journalistinnen und Moderatoren da, um solche Diskussionen einzuordnen.« – »Das wird aber nicht immer gemacht«, erwidert Anton, »damit bietet man der AfD eine Bühne, ihre Inhalte zu verbreiten, und legitimiert diese Politiker.« Und wenn man das mache, stelle man sie mit demokratischen Politikerinnen und Politikern auf eine Ebene, findet er: »Diese Gleichstellung darf nicht passieren. Andere Politiker gehen nicht in Talkshows, nur um daraus Tiktoks zu machen, um Leute zu beeinflussen, wie die AfD das macht. Das ist ein Unterschied. Und den Unterschied müssen auch die Medien machen.« Beide sind sich einig, dass die AfD auf Tiktok sehr präsent ist und viele junge Menschen davon beeinflusst werden könnten. Die Diskussion ist noch nicht beendet – muss aber erst mal unterbrochen werden: Es ist Zeit, zurück in den Unterricht zu gehen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)