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Politik

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Eine Analyse zum Ergebnis der Leipziger Kommunalwahl

  Suche nach Rat | Eine Analyse zum Ergebnis der Leipziger Kommunalwahl  Foto: Stadt Leipzig, SF

Kurz vor 23 Uhr am Sonntagabend klappten die Mitarbeitenden im Neuen Rathaus die Stehtische zusammen. Wenige Minuten zuvor war Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning (SPD) durchaus etwas verlegen ans Mikrofon getreten, um die anwesenden Gäste, Journalisten und Journalistinnen langsam zum Gehen zu bewegen. Partystimmung suchte man aber ohnehin vergebens im Rathaus. Das hatte mehrere Gründe.

Die Ausgangslage

Das Wahlergebnis im Überblick: CDU: 18,9 %; Linke: 17,5 %; AfD: 17 %; Grüne: 15 %; SPD: 12,1 %; BSW: 9,6 %; PARTEI: 3,5 %; FDP: 2,7 %; Freie Wähler: 1,1 %; Piraten: 1,1 %; Freie Sachsen: 1 %

Die bisher bestehende Mehrheit links der Mitte existiert nicht mehr. Die Grünen verloren knapp 6 Prozent, die Linke fast 4, die SPD stagnierte. Trotz Zugewinnen kommen aber auch CDU (+1,5 Prozent) und AfD (+2,1 Prozent) nicht auf eine gemeinsame Mehrheit. Zukünftig müssen die Fraktionen also Mehrheiten finden, die untypisch aussehen werden.

Rot-Grün-Rot verliert Mehrheit und Gesichter

Als ersten Impuls hatte Juliane Nagel (Linke) auf X durchaus euphorisch mit einem einfachen »Yes!« das Zwischenergebnis der Kommunalwahl kommentiert, das die Linke als zweitstärkste Fraktion sah. Nagel schaffte erneut den Einzug in den Stadtrat, holte von allen Gewählten mit knapp 19.000 die meisten Stimmen. »Wir haben wie alle zuerst das Europawahlergebnis gesehen, das war desaströs«, sagt Nagel einen Tag später am Telefon. Bei der Europawahl wurde die AfD in Leipzig stärkste Kraft mit 18 Prozent, die Linke kam nur auf 10. Dass die Linke bei der Kommunalwahl stärker abschnitt als die AfD, bewertet sie als »symbolischen Erfolg«. »Das Gute ist, dass wir aus einem flexiblen Modell der Mehrheitsfindung kommen, auch wenn in der letzten Legislatur faktisch eine rot-grün-rote Koalition bestand.« Nach dem Leipziger Modell gibt es im Gegensatz zu anderen Parlamenten in Leipzig keine festgeschriebenen Koalitionen, vor jeder Abstimmung müssen neue Mehrheiten gefunden werden.

Schmerzhaft für die Linke ist, dass sie wohl gleich mehrere bekannte Gesichter der Fraktion verlieren wird, die bisher als Experten für ihre jeweiligen Sachthemen auftraten. Neben dem Kreisvorsitzenden Adam Bednarsky haben auch der haushaltspolitische Sprecher Steffen Wehmann – zuletzt auch Vorsitzender des Finanzausschusses –, William Rambow, Sprecher für Kinder und Jugend, sowie Umweltsprecher Michael Neuhaus ihre Mandate verloren. »Das ist ein krasser Verlust, da müssen wir uns erstmal neu justieren«, sagt Nagel.

Noch herber hat es die Grünen getroffen. Im Vergleich mit deren Ergebnis bei der Europawahl findet Grünen-Fraktionschef Tobias Peter das Ergebnis bei den Kommunalwahlen »noch okay«. Verluste seien eingepreist gewesen, sagt Peter. Dass die Grünen gleich vier Sitze verlieren würden, war dann aber doch ein Schock: »Kommunalpolitisch hat sich einfach eine Stimmung niedergeschlagen, die auch in der Bundespolitik besteht.« In der Fraktion steht nun ein Umbruch bevor: Neben den beiden Fraktionsvorsitzenden Katharina Krefft und Tobias Peter hat es nur Kristina Weyh wieder in die Fraktion geschafft. Sieben weitere Mandate werden neu besetzt, mit Gesine Märtens kehrt eine ehemalige Stadträtin zurück, die seit 2019 Staatssekretärin im sächsischen Justizministerium ist. Prominentestes Opfer der Wahlniederlage ist Jürgen Kasek. Auch Martin Meißner wird wohl nicht mehr Teil der Fraktion sein – vorausgesetzt alle Gewählten treten ihr Mandat an. Die Neubesetzung und Einarbeitung der neuen Stadträte und Stadträtinnen »wird eine Herausforderung sein«, sagt Peter. »Vor allem hinsichtlich der Haushaltverhandlungen, die im Herbst anstehen. Die Neuen bringen aber trotzdem schon Erfahrung in der Lokalpolitik mit.« Auch abseits seiner eigenen Fraktion ist Peter um Optimismus bemüht: »Es gibt absolut Potenzial für Mehrheiten für progressive Politik.« Im Blick hat Peter dabei neben den beiden Mitgliedern der PARTEI auch die FDP, etwa bei Fragen der Mobilität. Sogar mit dem neuen Stadtrat der Freien Wähler, Stefan Rieger, sieht Peter Überschneidungen: 2020 hatte sich Rieger zusammen mit anderen Anwohnenden in der Südvorstadt für den Erhalt von Grünflächen eingesetzt, die Neubauwohnungen weichen sollten.

»Wir können natürlich nicht zufrieden sein«, sagt SPD-Fraktionschef Christopher Zenker zum historisch schlechtesten Ergebnis seiner Partei am Tag nach der Wahl. »Die Mehrheitsfindung wird auf jeden Fall schwieriger werden. Aber vielleicht kommen wir im Rat dadurch aber auch wieder mehr zu Kompromissfindungen.« Vor allem die CDU habe in den letzten Monaten durch Populismus und nicht durch Inhalte gepunktet. Aber auch innerhalb von Rot-Grün-Rot mehrte sich zuletzt der Unmut, insbesondere wegen des Agierens der Grünen, denen Linke und SPD immer wieder vorwarfen, mit Anträgen vorzupreschen, ohne vorherige Absprachen zu beachten. Das sieht auch Thomas Kumbernuß (PARTEI) ähnlich: »Bei den Grünen fehlte die Kompromissbereitschaft in der Ratsarbeit, damit haben sie auch CDU und AfD in die Karten gespielt.«

Die CDU ist stärkste Fraktion – hatte sich aber mehr erhofft

Zwei Ziele ihres Wahlkampfs hat die CDU erreicht: Sie ist wieder stärkste Fraktion und die rot-grün-rote Mehrheit besteht nicht mehr. Letzteres geht aber vor allem auf die Zuwächse beim BSW und Verluste bei Grünen und Linken zurück, die CDU konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2019 nur um anderthalb Prozent verbessern. Dementsprechend hielt sich die Freude bei den künftigen Stadträtinnen und Stadträten der CDU am Sonntagabend auch in Grenzen. Angesichts des aufwändigen und teuren Wahlkampfs hatte der Kreisverband ein stärkeres Ergebnis erwartet. »Man kämpft ja nicht, um bei der gleichen Anzahl an Stadtratssitzen zu bleiben«, sagt CDU-Fraktionschef Michael Weickert am Dienstagmorgen.

In Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld ging die Wahlkampf-Taktik der CDU nicht auf. Dort landete sie jeweils nicht nur weit abgeschlagen hinter Linken und Grünen, sondern auch knapp hinter der AfD. In den letzten Wochen hatte die CDU ihren Wahlkampf rund um die Eisenbahnstraße besonders polarisierend geführt, mobilisierte gegen die Verkehrsberuhigung durch Superblocks und trat mit Ministerpräsident Michael Kretschmer und Innenminister Armin Schuster vor Ort auf. »Wir müssen uns das genau anschauen. Zumindest hat die Plakataktion dazu geführt, dass es mal ordentlich gerumst hat«, sagt Weickert zum ausgebliebenen Erfolg. »Wenn wir zumindest als stärkste Kraft aus der Gesamt-Kommunalwahl herausgehen, können wir nicht so viel falsch gemacht haben.«

In der Verantwortung, mit einem teilweise polemisch geführten Wahlkampf der AfD in die Karten gespielt zu haben, sieht sich Weickert nicht. Laut Juliane Nagel habe sich die Rhetorik verschärft, seit Weickert vergangenes Jahr den Fraktionsvorsitz übernommen hat. Eine Beobachtung, die auch Thomas Kumbernuß macht: »Die Saat der CDU und der AfD ist aufgegangen. Wider besseren Wissens wurde die verkehrspolitische, wirtschaftliche und soziale Lage in Leipzig schlecht geredet. Mit ihrer Rhetorik haben sie hier bewusst das politische Klima vergiftet.«

Der Hand-in-Hand-Demo gegen Rechtsextremismus am Samstag vor der Wahl hatte die CDU die Unterstützung versagt. Die Art des Aufrufs von »oberen Stellen« erinnere an die Demoaufrufe in der DDR, hieß es in der Begründung. »Das hat mit AfD-Sprech nichts zu tun«, sagt Weickert. »Viele derjenigen, die da gegen Rechts demonstriert haben, meinen mit Rechts auch die CDU.«

Künftig wird sich auch die Frage stellen, wie aktiv die CDU im Vorfeld von Abstimmungen nach Mehrheiten suchen wird oder ob sie in Kauf nimmt, dass Mehrheiten auch mit den Stimmen der AfD gewonnen werden. Weickert, laut dem die Debatte um eine Brandmauer nur der AfD genützt habe, hat dazu eine klare Meinung: »Es ist die Aufgabe der CDU, vom rechten Rand hin zur demokratischen Mitte zu integrieren. Als größte Fraktion müssen wir Angebote machen.« Zwar werde es auch in Zukunft keine belastbaren Beziehungen mit der AfD geben und werden Gespräche mit den Parteien links der Mitte weiterhin geführt – Verbiegen werde sich die CDU in Zukunft aber nicht, um Mehrheiten auch ohne die AfD zu finden.

Die große Unbekannte: BSW

Bei der Mehrheitsbildung wird das BSW mit seinen sieben Sitzen wohl öfter das Zünglein an der Waage sein. Einen Grund dafür, dass das BSW ein derart starkes Ergebnis einfahren konnte, sieht Nagel auch in den Verlusten der Linken in Randbezirken und Wahlkreisen mit Großraumsiedlungen – dort war das BSW wie CDU und AfD besonders stark. »Das zeigt auch, dass wir wieder stärker nach Paunsdorf und Grünau, in ›frühere Hochburgen‹ gucken müssen«, sagt Nagel.

Bei allen Fraktionen stellt sich nun die Frage: Wofür steht das BSW? Und sie bleibt wohl erstmal unbeantwortet. Fast ungläubig hatten die BSWler ihren Einzug in den Stadtrat im Rathaus verfolgt. Es wird Zeit brauchen, sich in die Abläufe der Ratsarbeit einzuarbeiten, heißt es von den Gewählten des BSW. Ähnlich wie die CDU steht das BSW für einen pragmatischen Umgang mit der AfD. »Wenn uns der Antrag überzeugt – und da geht es auch um Tonfall und Kultur –, würden wir nicht aus Prinzip ausnahmslos mit Nein stimmen«, sagte Eric Recke dem kreuzer bereits vor Wochen im Wahlkampf. 

Bei den anderen Fraktionen schwanken die Erwartungen hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem BSW zwischen Skepsis und Zweckoptimismus. »Wahrscheinlich müssen wir uns auch überlegen, punktuell bei sozialpolitischen Fragen mit dem BSW zu sprechen. Das gefällt mir persönlich überhaupt nicht«, sagt Juliane Nagel, die eine enge Kooperation gern vermeiden würde. »Ich sehe teilweise auch Anknüpfungspunkte nach Rechtsaußen und überhaupt keine programmatische Linie. Insofern ist das keine progressive Partnerin als Ganzes.« Ein wenig optimistischer ist da Tobias Peter von den Grünen: »Wenn man die programmatische Grundausrichtung sieht, dann gibt es da Anknüpfungspunkte bei den Themen Soziales, Wohnen oder Investitionen. Wie die Positionen im Einzelnen sein werden, das müssen wir abwarten.«

Welche weitere Fraktionen es künftig geben wird, ist noch unsicher

PARTEI, FDP, Freie Wähler, Piraten, Freie Sachsen – diese fünf Parteien haben den Einzug in den Stadtrat geschafft, ohne die notwendigen vier Mandate für eine eigene Fraktion zu erreichen. »Aus Sicht von Rot-Grün-Rot könnte es sinnvoll sein, eine Fraktion zu haben, die politisch in der Mitte steht, die über Mitarbeiter und eine Geschäftsstelle verfügt. Das macht die Zusammenarbeit um einiges leichter«, sagt Sven Morlok (FDP), der bisher Vorsitzender der Freibeuter war, dem Zusammenschluss aus FDP und Piraten, der diesmal zusammen allerdings nur auf drei Mandate kommt. Somit müsste Morlok entweder Stefan Rieger von den Freien Wähler oder die Abgeordneten der PARTEI für eine Fraktion gewinnen.

Über mögliche Konstellationen wollte Thomas Kumbernuß noch nicht spekulieren: »Wir stehen einem Fraktionsbeitritt offen gegenüber, mal sehen was die Gespräche der nächsten Wochen ergeben.« Kumbernuß war nach der letzten Wahl der Linksfraktion beigetreten, hatte diese aber verlassen, weil er ihr unter anderem Machtspielchen und Strömungskämpfe vorwarf. Sowohl Morlok als auch Kumbernuß betonen nun, dass es ihnen wichtig sei, in Ausschüssen mitwirken zu können – nur wenn man eine Fraktion stellt, ist das möglich. Zukünftig könnte also ein ungewöhnlicher Fraktionszusammenschluss öfter für Mehrheiten sorgen. Handlungsspielraum, den Morlok als Erfolg wertet: »Wir haben uns oft geärgert, dass es in der Vergangenheit Vorabsprachen zwischen Rot-Grün-Rot gab. Das wird so nicht mehr funktionieren.« 

 


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