Die gefeierte Virtuosin Chouchane Siranossian ist beim Bachfest sowohl auf der modernen Geige als auch auf der Barockvioline zu erleben. Mit dem kreuzer spricht die vitale Musikerin darüber, was es bedeutet, diese beiden Welten miteinander zu verbinden.
Fällt es Ihnen eigentlich leicht, zwischen moderner Geige und Barockvioline zu wechseln?
Inzwischen ja, denn ich mache es seit 15 Jahren. Aber es sind tatsächlich zwei komplett verschiedene Instrumente und damit verbunden jeweils eine andere Sprache mit einer anderen Technik. Ich bin moderne Geigerin und Barockgeigerin, nicht eines mehr als das andere. Und ich mache eine Brücke zwischen diesen beiden Welten.
Barockmusikerin zu sein, ist für mich auch eine Philosophie. Die Annäherung an ein Werk, die ganze Recherche, Musikwissenschaft hängen damit zusammen. Es geht nicht nur darum, ein paar Noten zu nehmen und die dann zu spielen. Ich möchte wissen, was dahinter steht und mich über den Kontext informieren so viel ich kann. Wir sind Interpreten und müssen versuchen, so nah wie möglich an die Quelle zu kommen. Wir dienen ja der Musik, wir benutzen sie nicht.
Wie sind Sie damals, nach Ihrem traditionellen Musikstudium, eigentlich zur Barockvioline gekommen?
Ich hatte mein Solistendiplom in der Klasse von Zakhar Bron gemacht und direkt nach meinem Abschluss die Stelle als Konzertmeisterin im Orchester in St. Gallen gewonnen. Das hätte auch das Ende meiner Karriere sein können. Aber ich war 24 und hatte sehr viele unbeantwortete Fragen. Auf Anregung von David Stern, dem damaligen Chefdirigenten von St. Gallen, habe ich Reinhard Goebel kennengelernt. Er hat mir die Türen geöffnet, zu einer Welt, die ich gar nicht kannte, das war unglaublich. Ich habe festgestellt, dass ich eigentlich nichts weiß. Ein Jahr lang habe ich die Geige fast nicht angerührt und wirklich nur die historischen Quellen studiert. Dann habe ich begonnen, alle technischen Sachen auf der Barockvioline neu zu lernen, wirklich von Null an, wie ein kleines Kind, das eine Sprache erlernt. Für mich war es nicht anders möglich, als diesen neuen Weg einzuschlagen, es gab dann kein Zurück mehr. Wenn du die Augen öffnest und alle diese Informationen siehst, kannst du sie nicht mehr ignorieren.
Inzwischen gibt es eine interessante Entwicklung. Man betrachtet auch die Romantik nicht mehr nur von der Gegenwart aus, sondern versucht sich ihr auch aus der Perspektive der barocken, klassischen quellenorientierten Aufführungspraxis zu nähern. Das Ergebnis klingt dann sehr anders.
Natürlich. Zur Zeit der Romantik hat man ja noch auf Darmsaiten gespielt! Romantisches Repertoire spiele ich heute auch auf der modernen Geige mit Darmsaiten. Es ist wirklich sehr interessant, vom Barock ausgehend, die Entwicklung der Instrumente und die Entwicklung der Spieltechnik zu betrachten und sich klarzumachen, warum wir heute so spielen, wie wir spielen.
Viele Dirigenten, die eigentlich aus der barocken Praxis kommen, gehen langsam in diese Richtung. Sogar Ton Koopman hat mich gefragt, ob ich mit ihm einmal das Mendelssohn Violinkonzert mache. Das alles wird auch einen Einfluss haben auf die Art und Weise, wie man dieses romantische Repertoire in Zukunft spielen wird. Bisher ist die Hörerfahrung sehr von den »modernen« Musikern geprägt. Barockmusiker sind mit ihrer Herangehensweise im Repertoire höchstens bis Beethoven gegangen, aber jetzt ändert sich das. Nachdem man die Quellen studiert hat, klingt das Ergebnis einfach anders, als wenn man als moderner Geiger »einfach« ein Konzert spielt. In Mendelssohns Violinkonzert habe ich wirklich alle originalen Fingersätze und Bogenstriche dieser Zeit von Joseph Joachim und Ferdinand David übernommen. Das Ergebnis ist so anders! Das heute gängige Dauervibrato kam ja erst in der Zeit zwischen 1920 und 1930 auf. Vorher hat man den Ausdruck mit dem Bogen gemacht. Wir haben eigentlich im Laufe des 20. Jahrhunderts sehr viel Bogentechnik verloren.
Sie spielen in mehreren Lounges in den Leipziger Musikermuseen Bachs berühmte Chaconne für Solovioline, auch in Bearbeitungen. Was bedeutet es für Sie, das Stück durch die Brille verschiedener Zeitalter zu betrachten?
Es ist natürlich interessant zu sehen, wohin der Weg der Interpretation gegangen ist, wie sich das entwickelt hat. Die Chaconne ist ein Meisterwerk, ihre Besonderheit wurde auch von großen Komponisten des 19. Jahrhunderts wie Brahms, Mendelssohn und Schumann erkannt. Ich probiere dieses Werk in den Bearbeitungen für Violine und Klavier aus dem 19. Jahrhundert wirklich im romantischen Stil zu spielen und andererseits an die Quellen zu gehen, um es dann auch im Barockstil hörbar zu machen.
Natürlich ist es inzwischen ein bisschen fremd ist für mich, die Chaconne in der romantischen Manier zu spielen, ungefähr wie eine Reise in die Vergangenheit.
Denn vor über 30 Jahren, während meiner Ausbildung, habe ich das Stück eigentlich in diesem romantischen Stil gelernt zu spielen. Heute mache ich es ganz anders, weil ich über viel mehr historische Kenntnisse verfüge.
Am Samstag gibt es ein Konzert mit musikalischen Vorgängern von Bach, was hat es damit auf sich?
Das ist ein Konzert mit Leonardo García Alarcón, einem ganz tollen Dirigenten, der inzwischen auch in Europa immer bekannter wird. Er kommt aus Argentinien, er hat etwas unglaublich Lebendiges und ist historisch extrem gut informiert. Wir sind sehr gut befreundet, dieses Programm mit Cembalo, Cello und Geige haben wir zusammen entwickelt und vor zwei Jahren auch aufgenommen. Es lohnt sich zu kommen, um zu sehen, was Johann Sebastian Bach damals eigentlich inspiriert hat. Wir spielen ein Stück des italienischen Geigers Carlo Farina vom Anfang des 17. Jahrhunderts, er war seinerzeit auch in Dresden. Außerdem gibt es Musik von Walther und Schmelzer, von Muffat, und auch vom jungen Bach. Auch wenn Bach nicht viel gereist ist, hat er diese Impulse damals aufgenommen.
Ich spiele jetzt immer mehr Musik vom Anfang des 17. Jahrhunderts, es gibt hier noch so viel zu entdecken, wir kennen dieses Repertoire heutzutage ja kaum.
Wie erleben Sie Leipzig? Beim Bachfest stehen Sie fast jeden Tag mit anderen Musikern auf der Bühne.
Ich finde es wunderbar hier, unter jedem Stein der Stadt kann man Bach spüren, es gibt einfach eine ganz besondere Atmosphäre. Gleichzeitig habe ich jetzt einige wunderschöne Parks entdeckt. Leipzig ist wirklich eine sehr angenehme Stadt, auch meine Familie ist total begeistert. Ich bin immer wieder sehr gerne hier. Es ist ganz wunderbar, hier so viele neue Musiker kennenzulernen, das ist eine der schönsten Sachen in unserem Berufsleben. Man lernt die ganze Zeit von diesem Musizieren miteinander, das ist super interessant.
> Kommende Konzerte beim Bachfest mit Chouchane Siranossian in dieser Woche:
Konzert No 120: Bachfest Lounge mit Chouchane Siranossian, Freitag, 14. Juni, 22Uhr, Mendelssohn-Haus
Konzert No 143: »Bach before Bach« mit Chouchane Siranossian, Daniel Rosin, Leonardo García Alarcón, Samstag, 15.Juni, 22.30 Uhr, Bundesverwaltungsgericht