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Der Fußballgott sind wir

Die »Hand Gottes«, Stadien als »Tempel«, der »heilige Rasen« – dass das Religiöse am Fußball mehr als eine Metapher ist, erklärt der Leipziger Soziologe Thomas Schmidt-Lux

  Der Fußballgott sind wir | Die »Hand Gottes«, Stadien als »Tempel«, der »heilige Rasen« – dass das Religiöse am Fußball mehr als eine Metapher ist, erklärt der Leipziger Soziologe Thomas Schmidt-Lux  Foto: Christiane Grundlach

»Offenbar erinnern Leute spezifische Dinge im Fußball an etwas, das sie mit Religion verbinden«, hält Thomas Schmidt-Lux fest, während er in einem Sessel in seinem Büro Platz nimmt. Persönlich am Fußball interessiert sei er schon als Kind gewesen, sagt er. Zu DDR-Zeiten sei er auch noch öfter bei Lok ins Stadion gegangen. Seit den Neunzigern gehe er nicht zuletzt wegen der »Hool-Ecke« nur noch selten dorthin, aber die Verbundenheit zum Verein sei schon noch da. Der für einen Uni-Dozenten ungewöhnlich nahbare Schmidt-Lux, der von allen eigentlich nur TSL genannt wird, lehrt am Institut für Kulturwissenschaften an der Uni Leipzig – der Stadt, in der er aufwuchs und studierte. Eine Besonderheit im akademischen Betrieb.

Nach seiner Dissertation im Feld der Religionssoziologie verband Schmidt-Lux Berufliches und Privates gewissermaßen und warf einen religionssoziologischen Blick auf den Fußball. »Religionsanaloge Beziehungen« habe er dabei gefunden, erklärt er. Dabei sei es eine ganz bestimmte Auffassung von Religion, die ihn interessiere: »Soziologische Religionstheorien besagen, dass wir es eigentlich überall mit Religion zu tun haben, wo Menschen gemeinsam etwas als heilig erachten, ohne dass sie das so nennen. Also überall, wo es Regeln gibt im Umgang, etwa in Form von Symbolen und Ritualen.« Im Fußball ließen sich nun einige solcher Elemente auffinden, etwa in Form massenhafter Versammlungen, einer starken Euphorie und Konzentration auf Personen, Gegenstände sowie Vereine.

Ein zentraler Begriff seiner Forschung ist dabei der der »kollektiven Efferveszenz« des französischen Soziologen Emile Durkheim, der so viel wie kollektive Gärung oder Wallung bedeutet. Also »Momente, wo viele Leute gemeinsam zusammenkommen und in einen besonderen emotionalen Zustand kommen«. Wer schon einmal im Fußballstadion – oder auf einem Konzert – war, kann sich etwas darunter vorstellen. Dieser Zustand werde aber immer über ein Objekt hergestellt, das im Mittelpunkt stehe, sagt Schmidt-Lux: »Das kann der Verein sein oder das Spiel, aber auch die Sängerin.« Die Pointe des Ganzen: »Die Gruppen feiern sich über das Symbol eigentlich selbst.« Die Gruppe stehe eigentlich im Mittelpunkt und über das Objekt könne eine kollektive Identität gebildet werden. Dieser Selbstbezug der Fans werde in der Gesellschaft nicht selten pathologisiert. »Oft wird behauptet: Das machen die Fans ja nur für sich. Da würde ich sagen: Na klar, das ist der Witz daran. Das ist keine reine Huldigung, die da stattfindet, und überhaupt nicht illegitim«, erklärt Schmidt-Lux lächelnd und ergänzt: »Die Fans sind gewissermaßen der Verein. Natürlich geht es auch um sie selbst und ihre Beteiligung am Ganzen.« Der Fußballgott sind so verstanden also wir selbst. PHILIP STENGEL


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