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Kultur

Das Fremde im Blick

Bis Sonntag kann im Dresdner Stadtmuseum die Ausstellung »Menschen anschauen. Von Blicken zu Taten« besucht werden

  Das Fremde im Blick | Bis Sonntag kann im Dresdner Stadtmuseum die Ausstellung »Menschen anschauen. Von Blicken zu Taten« besucht werden  Foto: Blackboardfilms

Ein großer dunkler Raum, an der Seite befinden sich Monitore. Sie zeigen, wie sich eine Person liegend auf einer Matratze bewegt. Auf der großen Projektionsfläche kommen unter anderem Forensiker zu Wort, die die Verletzungen von Oury Jalloh nach seinem Tod analysieren. Mario Pfeifers Video-Raum-Installation »Zelle 5. Eine Rekonstruktion« stammt aus dem Jahr 2022 und stellt den Fall Oury Jalloh nach. Der in Sierra Leone geborene Jalloh lebte seit 1999 geduldet in Deutschland und kam im Januar 2005 bei einem Brand in der Gewahrsamzelle des Polizeireviers Dessau zu Tode. Bis heute gibt es keine eindeutige Erklärung zur Todesursache. Laut Behörden habe sich Jalloh selbst angezündet, mehrere unabhängige Gutachten kamen in den letzten Jahren allerdings zu dem Ergebnis, dass der auf einer Matratze gefesselte Jalloh nur durch Fremdeinwirkung gestorben sein kann. Pfeifers Arbeit gehört zu den fast zwanzig zeitgenössischen Kunstwerken, die als künstlerische Intervention unter dem Titel »Raster der Gewalt. Von Blicken zu Taten« des Kunsthauses Dresden in der Werkstattausstellung »MENSCHENanSCHAUEN. Von Blicken zu Taten« im Stadtmuseum Dresden zu sehen sind.

Werkstattausstellung zum zukünftigen Umgang mit dem Thema

Die Werkstattausstellung widmet sich dem Aspekt der sogenannten »Völkerschauen« in der Dresdner Stadtgeschichte. Als Teil der städtischen Vergnügungskultur sind sie sowohl im Stadtraum als auch im kulturellen Gedächtnis der Stadt kaum präsent. Seit 2021 beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem Thema. Ein sehr informativer Katalog und die bis Sonntag geöffnete Ausstellung zeigen die Bandbreite des Themas auf. Die im ersten Stock des Stadtmuseums zu sehende Ausstellung ist eine Einladung an die Stadtgesellschaft verbunden mit der Frage: »Wie wollen wir in der Gegenwart mit diesen Themen umgehen?«

Um darüber ein Urteil fällen zu können, zeigt die Schau chronologisch die unterschiedlichen Möglichkeiten des Ausstellens von Menschen. Sei es der Diener des sächsischen Königs oder der Theater-Circus »Araber aus der Wüste Sahara«, der 1840 in Dresden gastierte. 1861 öffnete der Dresdner Zoo im Großen Garten. Von 1878 bis 1934 fanden hier 75 Veranstaltungen der sogenannten Menschenschauen statt. Anfangs bestand aus diesem Grund die sogenannte »Völkerwiese« neben dem Elefantengelände. 1910 erfolgte die Errichtung des zentral gelegenen Schaustellungsplatzes mit Tribünen zum besseren Glotzen. In der Ausstellung sind Postkarten und Werbematerial zu sehen wie auch Objekte aus den Schauen, die im Anschluss in der Ethnologischen Sammlung Eingang finden. Aber nicht nur im Zoo, sondern auch bei anderen Veranstaltungen kam es zur Aufführung von rassistischen Stereotypen – so auf der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911, auf der ein »Abessinisches Dorf«, eine »Ostasiatische Ecke« und ein »Marokkanisches Theater« zu sehen waren oder in der Jahresschau »Die technische Stadt« 1928.

Die einzelnen Aspekte des Betrachtens sind mit Wänden versehen, auf denen das Publikum seine Meinung und Haltung per Zettel dokumentieren kann.

Eine wichtige Publikation

Die Museumsleiterin Christina Ludwig betont in ihrer Katalog-Einleitung: »Erinnerungsarbeit ist nie final oder abgeschlossen« und daher ist auch der Katalog, der im Sandstein Verlag erschien, auf jeden Fall zu empfehlen. Er ist in fünf Schwerpunkte gegliedert: Perspektiven, Reflexionen, Forderungen – Unterhaltung, Dienerschaft, Vorführung – Vergnügen, Geschäft, Bühnen – Begegnungen, Austausch, Missbrauch – Kunst, Museen, Wissenschaft. Zu sehen sind neben den Beiträgen und Interviews eine große Breite an visuellen Zeugnissen wie auch eine Listung der Menschenschauen im Dresdner Zoo.

Ebenso ist der offene Brief der Initiative Dresden Postkolonial von 2021 an den Dresdner Zoo nachzulesen. Darin wird der Zoo aufgefordert, sich mit seiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Eine Antwort darauf gab es nicht.

Kunstwerke zu den Hintergründen in Ostdeutschland

Im Treppenhaus findet sich der Transitraum mit künstlerischen Arbeiten zum Thema historische Hintergründe von rassistischen Taten im Kontext der ostdeutschen Geschichte. Dort kann unter anderem das »Das Sonnenblumenhaus« von Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopoulos gehört werden. Das Hörstück von 2015 beschäftigt sich mit dem Pogrom 1992 in Rostock-Lichtenhagen basierend auf den Interviews mit den ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern des Plattenbaus – den vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter.

Am 1. Juli fand erstmals ein Gedenktag der sächsischen Justiz gegen Rassismus statt. Der traurige Anlass ist der 15. Todestag von Marwa Ali El-Sherbini, die am 1. Juli 2009 nach ihrer Aussage im Verhandlungssaal des Dresdner Landgerichts vom damals wegen rassistischer Beleidigung angeklagten Axel Wiens erstochen wurde.

Die Arbeit der Fotografin Susanne Keichel mit dem Titel »geb. 7. Oktober 1977, Alexandria, gest. 1. Juli 2009, Dresden (ein Kommentar)« zeigt auf Schwarz-weiß Fotografien Erinnerungsveranstaltungen aus der Zeit von 2010 bis 2015.


> »MENSCHENanSCHAUEN. Von Blicken zu Taten«, bis 7.7. Stadtmuseum Dresden
> Stadtrundgang: Migrantischer Rundgang, 6.7. 15-17 Uhr mit Anmeldung unter service@museen-dresden.de (dort wird auch der Treffpunkt bekannt gegeben)
> Christina Ludwig, Andrea Rudolph, Thomas Steller, Volker Strähle (Hg.): Menschen anschauen. Selbst und Fremdinszenierungen in Dresdner Menschenausstellungen, Katalog zur Ausstellung, Dresden: Sandstein Verlag 2024, 228 S., 30 € im Museumsshop


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