Die Ergebnisse im moderierten Beteiligungsprozess »Grüner Bahnhof Plagwitz – Nordteil/West« wurden vorgestellt. Der Vorschlag sieht einen Kompromiss für die Bebauung vor.
Die Erleichterung ist spürbar in der Schulaula in Kleinzschocher, als an einem Abend Ende Mai das Gremium des Beteiligungsprozesses »Grüner Bahnhof Plagwitz – Nordteil/West« interessierten Bürgern die Ergebnisse des Verfahrens vorstellt. Der kooperative Beteiligungsprozess wurde auf Antrag der Fraktion der Linken vom Stadtrat beschlossen, nachdem der ursprüngliche Bebauungsplan aus dem Jahr 2021 für die nördliche Hälfte des Areals am Bahnhof Plagwitz auf massiven Unmut gestoßen war: Umweltverbände hatten Bedenken angemeldet, zudem wurde die Initiative »Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten!« gegründet, die sich gegen jegliche Bebauung aussprach. Nach rund 900 Stellungnahmen und einer Petition wurde die Baufläche geteilt – in einen östlichen und einen westlichen Abschnitt.
Der unstrittige Ostteil ist Eigentum der Stadt und besteht hauptsächlich aus Grünflächen sowie den »Bürgerprojektflächen«, wie dem Bauspielplatz oder dem »Heiter bis Wolkig«. Dieser Abschnitt wurde durch einen Beschluss im Februar dieses Jahres durch den Stadtrat abgesichert und wird nicht bebaut. Umstritten blieb allerdings der Westteil entlang der »Ladestraße West«, den die LEWO AG, eine Immobilienfirma, 2021 von der Deutschen Bahn erworben hatte und deren Bebauungsvorhaben auf Widerstand stießen.
Seit dem vergangenen September wurde in sieben moderierten Workshopsitzungen nach einem Kompromiss für die Bebauung der Fläche gerungen. Neben Vertretern der LEWO bestand das Gremium aus Akteuren der Wissenschaft, der Initiative »Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten!« sowie Umweltschutzverbänden wie dem BUND. Darüber hinaus wurden Bürgerinnen und Bürger per Losverfahren ausgewählt. Vertreterinnen der Stadtbezirksbeiräte, Stadtverwaltung sowie der Stadtratsfraktionen waren ebenso von der Partie.
Der Abend Ende Mai in Kleinzschocher dient dabei nicht nur der Ergebnispräsentation. Es sollen mitunter auch Eindrücke vermittelt werden, wie das Ergebnis trotz sehr unterschiedlicher Positionen in dem eher unüblichen Verfahren zustande gekommen ist. Sehr intensiv, phasenweise zäh und inhaltlich herausfordernd sei es gewesen, vor allem, was die fachlich-rechtlichen Grundlagen angeht, in die sich insbesondere die Laien des Gremiums einarbeiten mussten – so lässt sich der Grundtenor aller Redebeiträge beschreiben. Die Ausgangslage sei »maximal konträr« gewesen, von der Forderung nach voller bis hin zu gar keiner Bebauung, bestätigt Jona Holm von der Initiative »Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten!«: »Der Prozess insgesamt war relativ konfliktreich. Lange Zeit sah es so aus, als würde man eher zu einer Art Konfliktpapier kommen«, erzählt er. Am Ende habe man sich dann doch zu einem Kompromiss durchringen können.
Grundsätzlich hätten drei Szenarien auf dem Tisch gelegen, erklärt Moderator Fritjoh Mothes: Eine volle, halbe oder gar keine Bebauung der Fläche. Entsprechend der konträren Ausgangsinteressen bewege sich das Ergebnis im Bereich des zweiten Szenarios – also etwa eine halbe Bebauung des strittigen Teils im Nordwesten. Konkret habe man sich auf eine rote Linie auf der Höhe des Wasserturms geeinigt: Nördlich dieser Grenze werde es eine verdichtete Bebauung der LEWO geben, während der Bereich südlich der Grenze, mit einem Spielraum von 10 m für die Bauherrin, als öffentliche Grün- und Parkfläche gestaltet werden solle. Die denkmalgeschützten Gebäude samt Westbahnhof sollten erhalten bleiben.
Im Kleingedruckten heißt das allerdings: Die Stadt muss sich mit der LEWO angesichts der reduzierten Baumasse auf einen Ausgleich in Form eines Kaufs von Flächen oder Grundstücktauschs einigen. Die Verhandlungen hierzu stehen noch aus.
Eine verdichtete Bebauung im Nordteil der Fläche führt auch dazu, dass geprüft wird, ob hier höhere Gebäude gebaut werden können - was nicht bei allen Anwesenden an diesem Abend auf Begeisterung stößt. Darüber hinaus hat man sich auf sieben weitere Leitlinien für das Areal geeinigt: Es solle sich im gesamten Areal um eine »denkmalgerechte Sanierung« handeln. Zudem werde ein Nutzungsmix aus Gewerbe, Sozialwesen, Wohnfläche mit mindestens dreißig Prozent öffentlicher Förderung, sowie Kreativwirtschaft forciert. Es solle sich außerdem um eine klimagerechte Bebauung mit möglichst wenig Versieglung, Berücksichtigung des Artenschutzes und der Erhaltung von »ortsbildprägenden Bestandsbäumen« handeln, wie dem Papier zu entnehmen ist. Die öffentlichen Flächen sollen frei von PKW bleiben, Parkplätze hauptsächlich in Gebäuden untergebracht sowie eine Fuß- und Radweginfrastruktur geschaffen werden. Das Ziel der Wirtschaftlichkeit für die Flächeneigentümerin ist ebenso als Leitlinie im Ergebnispapier verankert.
Um eine verbindliche Grundlage für den weiteren Planungsprozess darzustellen, muss der Vorschlag als zunächst durch den Stadtrat. Über die Vorlage soll noch dieses Jahr entschieden werden, bestätigt das Stadtplanungsamt dem kreuzer. Ob dieser angesichts der neuen Kräfteverhältnisse nach der Wahl hinter den Vorschlägen des Gremiums steht, ist unklar. Danach rechne man mit einem Abschluss des Bebauungsplanverfahrens im Jahr 2027, erklärt das Stadtplanungsamt.
Eine gewisse Restskepsis, ob der erkämpfte Kompromiss auch nach dem Verfahren noch zu erkennen ist, bleibt dementsprechend bei Jona Holm von der Bürgerinitiative: »Das Ergebnis ist für uns nicht optimal, aber spiegelt das wider, was wir am meisten für uns herausholen konnten. Wir hoffen stark, dass sich jetzt daran auch gehalten wird«.
Durchaus als Mahnung ist es also zu verstehen, als die Vertreterinnen der Initiative dem bei der Ergebnispräsentation ebenfalls anwesendem Leipziger Baubürgermeister, Thomas Dienberg, am Ende der Veranstaltung noch einmal alle gesammelten Unterschriften der Petition des BUND aus dem Jahr 2022 übergeben, die sich gegen eine Bebauung richtete. Dieser betont am Abend derweil mehrfach den wegweisenden Charakter des basisdemokratischen Beteiligungsprozesses für zukünftige Bauvorhaben.: »Baukultur ist auch Verfahrenskultur« erklärt Dienberg, der selber nicht Teil des Prozesses war. Ob das auch über den Plagwitzer Bahnhof hinaus gilt, etwa im Hinblick auf das unweit befindliche Jahrtausendfeld, bleibt an diesem Abend unthematisiert.