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Stadtleben

Republikfeinde an der Universität

In »Konterrevolution im Kabarettkeller« schildert Jürgen Klammer, wie der Leipziger Rat der Spötter 1961 in U-Haft kam

  Republikfeinde an der Universität | In »Konterrevolution im Kabarettkeller« schildert Jürgen Klammer, wie der Leipziger Rat der Spötter 1961 in U-Haft kam  Foto: Breuer

»Das Programm, Genossen, wird in der vorliegenden Form nicht aufgeführt werden«, urteilte die Abnahmekommission. »Es ist politisch falsch, schlimmer, es ist eine konterrevolutionäre Sauerei!« Nach der Generalprobe blieb der Rat der Spötter ratlos und deprimiert in seinem Keller zurück. Das gefeierte studentische Kabarett der Karl-Marx-Universität Leipzig durfte zur Herbstmesse 1961 sein Programm »Wo der Hund begraben liegt« nicht aufführen. Schlimmer noch, einige Kabarettisten kamen für Monate in U-Haft.

Was sich damals zutrug, hat der Leipziger Kabaretthistoriker Jürgen Klammer in »Konterrevolution im Kabarettkeller« beschrieben. Ausführlich erörtert er nicht nur die direkten Umstände, sondern schildert auch die Vorgeschichte und veröffentlicht relevante Quellen. Im Zentrum steht natürlich die Truppe, deren berühmtester Kopf Peter Sodann im April 2024 verstorben ist. Mit ihm und anderen hat Klammer für sein Buch gesprochen und darüber hinaus wertvolles Material aus Archiven geholt. So gelingt ihm ein genaues Bild, auch über die damaligen Diskussionen im Kabarett und innerhalb der Universitätsleitung.

Der Rat der Spötter wurde 1954 als Studentenkabarett an der Journalistischen Fakultät gegründet, seine Programme wurden von der Universität sowie von Partei und Jugendverband gefeiert. Der später erfolgreiche Schauspieler und Regisseur Sodann kam zeitgleich mit Ernst Röhl, der als Eulenspiegel-Autor bekannt werden sollte, 1957 zur Gruppe. Beide übten fortan entscheidenden Einfluss auf diese aus, formten das Agit-Prop-Programm zur politischen Satire um. Mit der Premiere ihres dritten Programms weihten sie 1960 ihren »Spötterkeller« ein, der durch 2.500 Aufbaustunden in der Ritterstraße 4a entstanden war. Die Spötter traten auch im DDR-Fernsehen auf und fuhren zu den Weltfestspielen nach Wien. Die studentische Gruppe war sehr erfolgreich, was das neue Programm im Herbst 1961 fortsetzen sollte.

Bereits auf Sommertour durch die nördlichen DDR-Bezirke schrieben die Spötter an Texten, besprachen Figuren und die Dramaturgie. Staats- und Parteikritik waren Themen, eine Nummer war direkt gegen Staatschef Walter Ulbricht gerichtet, griff seine gehauchte Kopfstimme auf. Am 6. September sollte »Wo der Hund begraben liegt« Premiere haben, tags zuvor fand die Generalprobe statt. Obwohl die Spötter nach Gesprächen mit Verantwortlichen bereits Inhalte abgemildert und umgearbeitet hatten, wurde das Auftrittsverbot über sie verhängt. Das Programm sei »Vorbereitung zur Konterrevolution«, hieß es. Diese Härte erklärt sich unter anderem aus der politischen Lage: Gerade erst war im August 1961 die Mauer gebaut worden, waren die Verantwortlichen besonders nervös. Politische Kritik – und damit das Kabarett – hatte daher zuallererst dem Klassen- und Systemgegner zu gelten, nicht den innergesellschaftlichen Verhältnissen.

Intern diskutierten die Spötter mögliche Fehler – ob sie eine zu harte Linie gefahren hatten oder anders das Verbot hätten umgehen können. Derweil kreiste ein Schreiben, in dem ein Universitätsmitarbeiter die Geschehnisse für Partei- und Verfolgungsorgane zusammenfasste und bewertete. Das führte zu drastischen Maßnahmen, um die »gegen die Republik gerichteten feindlichen Tätigkeiten des Ensembles« zu ahnden. 

Vier Tage nach dem Verbot wurden fünf der Kabarettisten verhaftet; darunter Peter Sodann als ihr Anführer. Einige Tage später kam Ernst Röhl in Haft. Außerdem zitierte die Universitätsleitung auch Freunde und Freundinnen von ihnen und Ehemalige vor den Disziplinarausschuss. Wo man sie exmatrikulierte und »zur Bewährung in die Produktion schickte«, wie damals die Maßnahme zur Festigung des Klassenstandpunktes hieß. Nach neun Monaten Stasi-Untersuchungshaft kamen die Inhaftierten auf Grundlage eines neuen Gesetzes zur »bedingten Bewährung« frei, im Urteil hieß es, die gesellschaftlichen Kräfte seien »stark genug, die Umerziehung der Angeklagten durchzuführen«.

Auch wie alle ihre Lebenswege weitergingen, skizziert Autor Jürgen Klammer, der die damaligen Ereignisse erstmals in aller Ausführlichkeit darstellt – erhellend, allerdings für eine schnelle Lektüre ungeeignet.

 

> Jürgen Klammer: Konterrevolution im Kabarettkeller. Leipzig: Selbstironieverlag 2023. 464 S., 19 €


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