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Beunruhigend

Im Sächsischen Landtag zeichnet sich bei den Wahlen im September erneut ein Erstarken der völkischen Rechten ab. Das würde auch den Gewerkschaften die Arbeit erschweren

  Beunruhigend | Im Sächsischen Landtag zeichnet sich bei den Wahlen im September erneut ein Erstarken der völkischen Rechten ab. Das würde auch den Gewerkschaften die Arbeit erschweren  Foto: Alexander Bönninger

Im Mai endete im südlich von Leipzig gelegenen Espenhain ein aufsehenerregender Ausstand mit einer herben Niederlage für die Beschäftigten: Nach 180 Tagen Streik erklärten sich die Schrotter und Schrotterinnen beim Recyclingunternehmens SRW Metalfloat bereit, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Unternehmensleitung war kompromisslos geblieben, hatte sogar einen Teil der Beschäftigten ausgesperrt – eine Eskalation, die es in Deutschland lange nicht gab.
Und obwohl an dem Ausstand einiges einmalig war, steht das Unternehmen doch sinnbildlich für viele in Sachsen: etwa 190 Beschäftigte, mittelgroßer Betrieb in der Hand einer westdeutschen Unternehmensgruppe, Löhne knapp überm Mindestlohn, keine Tarifbindung – wie 83 Prozent aller Unternehmen im Freistaat (bundesweit: 76 %).

»Wir sind in Sachsen immer noch eines der Schlusslichter, was die Tarifbindung und Mitbestimmung betrifft«, erklärt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Daniela Kolbe im kreuzer-Gespräch. Mit entsprechenden Folgen: »Die Leute verdienen schlechter, haben weniger Urlaub und arbeiten mehr für ihr Geld.« Und hierin sieht sie auch einen Grund für den Aufstieg der völkischen Rechten in Sachsen, die bei der kommenden Landtagswahl mit der CDU um den größten Stimmanteil konkurrieren wird.
»Die AfD-Ergebnisse korrelieren mit der Anzahl der Mindestlöhner:innen und fehlender Mitbestimmung, nicht mit dem Anteil von Migranten oder mit der Aufnahme von Geflüchteten«, betont die Leipzigerin. Auch darum müsse es aus ihrer Sicht viel mehr um den Verteilungskonflikt zwischen Arbeit und Kapital und um die Lösung realer Herausforderungen wie soziale Sicherheit, Rente, Gesundheit und gut finanzierte Krankenhäuser gehen. »Das sind Probleme, die den Menschen unter den Nägeln brennen«, betont Kolbe. »Da haben die rechten Parteien, die CDU und erst recht die AfD nichts anzubieten.«
Trotzdem können beide Parteien wohl auch unter Beschäftigten und selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern auf Unterstützung zählen. Einer DGB-Umfrage zum Wahlverhalten ihrer Mitglieder bei der Europawahl zufolge wählte knapp ein Viertel der organisierten Arbeitenden die CDU. Und mit 18,5 Prozent gaben mehr Beschäftigte der völkischen Partei ihre Stimme als im Bevölkerungsdurchschnitt. »Das ist beunruhigend«, zeigt sich Kolbe besorgt. »Sie handeln damit gegen die eigenen Interessen wie dauerhaft sicheren Arbeitsplätzen und guten Löhnen.«

Völkischer Nährboden in den Betrieben

Eine Erklärung für dieses paradoxe Wahlverhalten liefern die Forschungsergebnisse des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI). Im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung haben die Sozialforscherinnen und -forscher den Zusammenhang von Erfahrungen im Beruf und demokratischen Einstellungen in Ostdeutschland untersucht. »Wer sich im Arbeitsalltag ohnmächtig fühlt, neigt auch mehr dazu, andere abzuwerten und sich in regressive Gemeinschaftsideologien zu flüchten«, erläutert Studienautor Andre Schmidt im Gespräch mit dem kreuzer. Hetze gegen Migrantinnen und Migranten sowie Forderungen nach einer Abschottungspolitik nach außen seien eine destruktive Form von Selbstermächtigung und politischer Gestaltung.
Bemerkenswert ist, dass der Konflikt zwischen »Kapitalisten und Arbeitern« nach wie vor als eine maßgebende gesellschaftliche Auseinandersetzung wahrgenommen wird. Aber vielfach dringen Versuche, Verbesserungen für Arbeitende zu erreichen, gar nicht zu jenen durch, erklärt Schmidt. »Es gibt eine große Distanz zu Parteien und Parlament, vor allem im unteren Teil der Arbeiterklasse.« Das habe auch damit zu tun, dass der Verteilungskonflikt zwischen oben und unten demobilisiert und entpolitisiert ist. Deutliche Verbesserungen für die Lohnabhängigen oder auch nur große gesellschaftliche Debatten sind hier lange ausgeblieben. »Wenn der demokratische Klassenkampf aussichtslos scheint, werden die ideologischen Zerrbilder des Klassenkonflikts attraktiv«, bringt er die Befunde zum Erstarken der extremen Rechten im Osten auf den Punkt.

Verengter Handlungsspielraum

Eine Entwicklung, die nach der Landtagswahl auch die Gewerkschaften in Sachsen vor enorme Herausforderungen stellen wird. Vorhaben wie eine gesetzliche Stärkung der Mitbestimmung, die Lockerung der Schuldenbremse, die in Sachsen besonders rigide ist und Investitionen verhindert, oder ein Vergabegesetz, das die Tarifbindung der Unternehmen zur Bedingung für öffentliche Aufträge macht, dürften in weite Ferne rücken.
Und auch mit Blick auf die Erfordernisse von Digitalisierung und ökologischer Transformation, insbesondere für die Automobil- und Solarindustrie eine drängende Herausforderung, ist die Situation wenig hoffnungsvoll. Parteien, die den Wandel gestalten und die Mitbestimmung der Beschäftigten stärken wollen, stehen in den Umfragen schlecht da, gibt Kolbe zu bedenken. Die Linke droht von derzeit 10,4 auf drei Prozent abzurutschen und dürfte nur über Direktmandate in den Landtag einziehen. Grüne und SPD werden auf jeweils sieben Prozent prognostiziert. Lediglich die linksnationale Abspaltung Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kann aus dem Stand auf 15 Prozent kommen.
»Die Situation ist volatil«, sagt Kolbe. »Ich würde mir sehr wünschen, dass mehrere progressive Parteien in den Landtag kommen, und hoffe, dass taktisch geguckt wird, wie man mit der Stimme umgeht.« Für Gewerkschaften sind nicht nur ihnen nahestehende Parteien in der Regierung bedeutsam. Auch die Kontrollinstrumente der Opposition, etwa über Anfragen an die Landesregierung, sind wichtig für ihre Arbeit. »Wir bereiten uns gedanklich auf die unterschiedlichsten Konstellationen vor«, erklärt Kolbe. Dabei rede man auch mit dem BSW punktuell.
Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt sie dagegen dezidiert aus. »Wir arbeiten nicht mit ihr zusammen, wir laden sie nicht ein, wir suchen nicht den Kontakt«, unterstreicht Kolbe. Eine kämpferische Haltung gegenüber der völkischen Partei ist für sie eine Frage der Notwendigkeit, die sie mit einer historischen Analogie begründet: »Die Nationalsozialisten haben nach 1933 relativ zügig die Gewerkschaftshäuser gestürmt und unsere Funktionäre zum Teil in Haft genommen.« Dass auch die CDU auf Landesebene unter der Führung von Ministerpräsident Michael Kretschmer eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt, hält Kolbe daher für unabdingbar. »Wenn diese Brandmauer fällt und es eine Zusammenarbeit gibt, sieht es für unsere Freiheitsrechte, für unsere Demokratie und für unsere Arbeitnehmerrechte übel aus.«

Sächsische Kontinuitäten

Allerdings hat die CDU selbst einen Anteil an der vertrackten politischen Situation im Freistaat. Denn dass es um Tarifbindung und Mitbestimmung in Sachsen so schlecht bestellt ist, hat auch mit der jahrzehntelangen Dominanz der Union zu tun. Sie propagierte noch bis 2014 eine Niedriglohnpolitik, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen zu sichern, wie aus den Studien des Leipziger EFBI hervorgeht. Der Widerstand gegen Mindestlöhne und Branchentarifverträge wurde hier länger aufrechterhalten als in anderen Bundesländern.
Unternehmen und Beschäftigte hätten in Anbetracht der Massenarbeitslosigkeit nach der Wende eine Art informellen Pakt geschlossen, erklärt Kolbe. »Sie waren froh, einen Arbeitsplatz zu haben, und forderten entsprechend wenig«, sagt die gebürtige Thüringerin. »Der Arbeitgeber hat im Gegenzug eine patriarchale Sicherheit geboten und gesagt: ›Ich beschütze dich, du hast einen sicheren Arbeitsplatz, aber du bist bitte schön leise.‹«
Dabei spielten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine erhebliche Rolle, Betriebe mit maximal 249 Beschäftigten sowie einem jährlichen Umsatz bis 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme bis 43 Millionen Euro. Die sind für die sächsische Wirtschaft insgesamt prägend. Im Jahr 2023 arbeiteten laut aktuellen Zahlen der Landesregierung über zwei Drittel der Lohnabhängigen in KMU und stellten über die Hälfte der Waren und Dienstleistungen im Bundesland her.
Für die Gewerkschaften ist es schwer, in diesen Betrieben Fuß zu fassen. Viele setzen auf informelle Strukturen ohne Tarifverträge, wie auch SWR Metalfloat in Espenhain. Aus den Gewerkschaften und von Beschäftigten wird häufig von einem autoritären Führungsstil und einem mitbestimmungsfeindlichen Klima berichtet – allen voran in Familienunternehmen zum Beispiel im Erzgebirge.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer?

In Espenhain sind Teile der Belegschaft nach der Niederlage in eine Art stillen Streik getreten und suchen sich mit Hilfe der IG Metall nun woanders Arbeit. Das geht auch, weil sich der Arbeitsmarkt aufgrund des Personalmangels in vielen Branchen zu ihren Gunsten entwickelt hat. Das wusste im vergangenen Jahr auch die Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuss und Gaststätten für sich zu nutzen: Anders als in Espenhain standen am Ende vieler ihrer Arbeitskämpfe im Osten erfolgreiche Tarifabschlüsse – meist in Unternehmen, die bislang keinen Tarifvertrag hatten, wie aus der Streikbilanz der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für 2023 hervorgeht.
»Wir sind sehr zufrieden damit, wie das letzte Jahr gelaufen ist. Eigentlich kann es so weitergehen«, resümiert auch Kolbe die Streikdynamik im vergangenen Jahr. »Die jüngere Generation stellt verstärkt Forderungen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, will geringere Arbeitszeiten und bleibt zu Hause, wenn sie krank ist«, hebt die stellvertretende DGB-Vorsitzende hervor. »Wir merken, dass sich in der Gesellschaft etwas bewegt und wieder mehr Menschen eine Selbstwirksamkeit spüren: ›Wenn wir uns zusammenschließen, wenn wir solidarisch sind, können wir etwas bewirken.‹ Aber es geht langsam vonstatten.«


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