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Beunruhigend

Im Sächsischen Landtag zeichnet sich bei den Wahlen im September erneut ein Erstarken der völkischen Rechten ab. Das würde auch den Gewerkschaften die Arbeit erschweren

  Beunruhigend | Im Sächsischen Landtag zeichnet sich bei den Wahlen im September erneut ein Erstarken der völkischen Rechten ab. Das würde auch den Gewerkschaften die Arbeit erschweren  Foto: Alexander Bönninger

Im Mai endete im südlich von Leipzig gelegenen Espenhain ein aufsehenerregender Ausstand mit einer herben Niederlage für die Beschäftigten: Nach 180 Tagen Streik erklärten sich die Schrotter und Schrotterinnen beim Recyclingunternehmens SRW Metalfloat bereit, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Unternehmensleitung war kompromisslos geblieben, hatte sogar einen Teil der Beschäftigten ausgesperrt – eine Eskalation, die es in Deutschland lange nicht gab.
Und obwohl an dem Ausstand einiges einmalig war, steht das Unternehmen doch sinnbildlich für viele in Sachsen: etwa 190 Beschäftigte, mittelgroßer Betrieb in der Hand einer westdeutschen Unternehmensgruppe, Löhne knapp überm Mindestlohn, keine Tarifbindung – wie 83 Prozent aller Unternehmen im Freistaat (bundesweit: 76 %).

Sächsische Kontinuitäten

Allerdings hat die CDU selbst einen Anteil an der vertrackten politischen Situation im Freistaat. Denn dass es um Tarifbindung und Mitbestimmung in Sachsen so schlecht bestellt ist, hat auch mit der jahrzehntelangen Dominanz der Union zu tun. Sie propagierte noch bis 2014 eine Niedriglohnpolitik, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen zu sichern, wie aus den Studien des Leipziger EFBI hervorgeht. Der Widerstand gegen Mindestlöhne und Branchentarifverträge wurde hier länger aufrechterhalten als in anderen Bundesländern.
Unternehmen und Beschäftigte hätten in Anbetracht der Massenarbeitslosigkeit nach der Wende eine Art informellen Pakt geschlossen, erklärt Kolbe. »Sie waren froh, einen Arbeitsplatz zu haben, und forderten entsprechend wenig«, sagt die gebürtige Thüringerin. »Der Arbeitgeber hat im Gegenzug eine patriarchale Sicherheit geboten und gesagt: ›Ich beschütze dich, du hast einen sicheren Arbeitsplatz, aber du bist bitte schön leise.‹«
Dabei spielten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine erhebliche Rolle, Betriebe mit maximal 249 Beschäftigten sowie einem jährlichen Umsatz bis 50 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme bis 43 Millionen Euro. Die sind für die sächsische Wirtschaft insgesamt prägend. Im Jahr 2023 arbeiteten laut aktuellen Zahlen der Landesregierung über zwei Drittel der Lohnabhängigen in KMU und stellten über die Hälfte der Waren und Dienstleistungen im Bundesland her.
Für die Gewerkschaften ist es schwer, in diesen Betrieben Fuß zu fassen. Viele setzen auf informelle Strukturen ohne Tarifverträge, wie auch SWR Metalfloat in Espenhain. Aus den Gewerkschaften und von Beschäftigten wird häufig von einem autoritären Führungsstil und einem mitbestimmungsfeindlichen Klima berichtet – allen voran in Familienunternehmen zum Beispiel im Erzgebirge.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer?

In Espenhain sind Teile der Belegschaft nach der Niederlage in eine Art stillen Streik getreten und suchen sich mit Hilfe der IG Metall nun woanders Arbeit. Das geht auch, weil sich der Arbeitsmarkt aufgrund des Personalmangels in vielen Branchen zu ihren Gunsten entwickelt hat. Das wusste im vergangenen Jahr auch die Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuss und Gaststätten für sich zu nutzen: Anders als in Espenhain standen am Ende vieler ihrer Arbeitskämpfe im Osten erfolgreiche Tarifabschlüsse – meist in Unternehmen, die bislang keinen Tarifvertrag hatten, wie aus der Streikbilanz der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für 2023 hervorgeht.
»Wir sind sehr zufrieden damit, wie das letzte Jahr gelaufen ist. Eigentlich kann es so weitergehen«, resümiert auch Kolbe die Streikdynamik im vergangenen Jahr. »Die jüngere Generation stellt verstärkt Forderungen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, will geringere Arbeitszeiten und bleibt zu Hause, wenn sie krank ist«, hebt die stellvertretende DGB-Vorsitzende hervor. »Wir merken, dass sich in der Gesellschaft etwas bewegt und wieder mehr Menschen eine Selbstwirksamkeit spüren: ›Wenn wir uns zusammenschließen, wenn wir solidarisch sind, können wir etwas bewirken.‹ Aber es geht langsam vonstatten.«


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