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Kultur

»Kaum einer wird das Buch ablecken«

Albertina-Restauratorin Fanny Bartholdt über giftige Lektüren und Bücherfledderer

  »Kaum einer wird das Buch ablecken« | Albertina-Restauratorin Fanny Bartholdt über giftige Lektüren und Bücherfledderer  Foto: Konrad Rüdiger

Arsen in alten Büchern: Zu Jahresbeginn wurden giftige Pigmente in Bibliotheken deutschlandweit zum Thema. Grüne und gelbe Farben verschönten im 19. und frühen 20. Jahrhundert Buchschnitte und Einbände. Schön, aber giftig, denn sie enthalten oft Arsen. Viele Hochschulbibliotheken reagierten. Auch die Leipziger Universitätsbibliothek (UB) hat regalmeterweise verdächtig gefärbte Bücher. UB-Restauratorin Fanny Bartholdt spricht mit dem kreuzer über Heimtücke, schnelle Tests und echte Gefahren.
 

Platt gefragt: Wie giftig sind alte bunte Bücher?

Gar nicht mal so giftig. Wenn man nicht täglich damit zu tun hat, ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, Schäden davonzutragen. Wenn man jeden Tag sehr nah an den arsenhaltigen Pigmenten eines Buches dran ist, die sich lösen, dann sollte man auf seinen Arbeitsschutz achten. Also Atemmaske und Handschuhe tragen.

Was passiert, wenn sich jemand ein betroffenes Buch bestellt?

Er oder sie bekommt Hinweise von uns, wie man sich schützen kann, wenn man das will. Im Moment testen wir das Buch vorher noch. Weil wir selber wissen wollen, wie viel von unserem Bestand mit einem arsenhaltigen Pigment grün gefärbt wurde.

Sie haben im Haus Testmöglichkeiten?

Ja, wir verfügen über einen mikrochemischen Test. Den mache ich in der Werkstatt unter den gebotenen Sicherheitsbedingungen. Das dauert eine Viertelstunde und dann weiß ich mehr. Natürlich gibt es auch für unsere Mitarbeiter:innen Hinweise, wie man mit diesen Büchern umgeht.

Wie kann das Arsen in den Körper gelangen?

Aufnahmewege sind das Einatmen der Stäube und das Berühren der Hände mit dem Mund nach der Benutzung. Kaum einem wird das passieren. Kaum einer wird das Buch ablecken oder sich nicht die Hände waschen, nachdem er oder sie in so einem alten Schinken gelesen hat. Händewaschen dreht die Gefährdung praktisch auf null.

Wie viele UB-Bücher sind potenziell arsenhaltig und wie viele haben Sie schon getestet?

Wir haben circa 324.000 Bücher aus dem Zeitraum von 1800 bis 1900. Circa 30 bis 40 Prozent haben einen farbigen Buchschnitt, der arsenhaltig sein könnte. Aus einer kleinen Gruppe von Tests können wir vorsichtig ableiten, dass davon vielleicht ein Drittel positiv auf Arsen getestet werden könnte. Mittlerweile können wir auch bestimmte Buchbinder oder Provenienzen ausfindig machen, wo wir wissen, dass das Pigment vorhanden ist. Dann können wir schon mal einen ganzen Regalabschnitt unter Verdacht stellen. Der Bestand wird so gut wie nicht frequentiert in der Ausleihe. Im Quartal haben wir etwa eine Anfrage, wo wir genauer hinschauen müssen. Es ist eher so, dass diese Bestände in der Digitalisierung bearbeitet werden und dort testen wir vorher für die Mitarbeiter:innen.

Sind Bestände gesperrt? Andere Bibliotheken sind diesen Schritt gegangen ...

Nein, das haben wir nicht gemacht.

Was machen Sie als Restauratorin in der UB, wenn Sie nicht Bücher auf Arsen testen?

Ich füge die Bücher zusammen, die zerfleddert sind.

Wie viele zerfledderte Bücher haben die Benutzer auf ihrem Konto und wie viele andere Organismen?

Benutzerschäden kommen vor. Moderne Bücher sind oft technisch schlecht hergestellt: Klebebindung ist das Stichwort, das kennt jeder. Das reparieren zwei Buchbinderinnen im Haus. In der Restaurierungswerkstatt kommen die älteren Kaliber auf den Tisch. Da ist nicht immer klar, welche Benutzerin, welcher Benutzer oder welches Insekt dafür gesorgt hat, dass das Material jetzt lose daliegt. Es sind manchmal einzelne Buchstaben der handschriftlichen Kommentare, die erhalten werden müssen, weil sie für die Forschung wichtig sind.

Muss man sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, wenn man Ihre Arbeit vor Augen hat?

Oh, ich sehe mich eher als Heldin in der Geschichte. Ich sorge dafür, dass die Seiten nicht verloren gehen. Ich fühle mich gut dabei. Klar, es sind auch Geduldsproben dabei, wenn man sich monoton durch 300 Seiten arbeiten muss, weil die Larve des Anobium punctatum (Gemeiner Nagekäfer) sich da durchgefressen hat. Aber dafür habe ich es studiert. Und es gibt immer wieder etwas Neues zu lernen.


> EinBlick #5: Was ist dran? Arsen im Bibliotheksbestand, bis 6. Oktober 2024, kuratiert von Fanny Bartholdt und Lucia Hacker, Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei


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