Fürsten an den Wänden, die weiße Perücken tragen. Das Metronom tickt. Die Museumsaufseherin im schwarzen Anzug streckt ihre Arme zum Takt aus, während Leute in den Festsaal des Alten Rathauses strömen und auf samtroten Stühlen Platz nehmen. Zu Trompete und Klavier tanzt eine junge Frau mit einem Stuhl. An diesem Samstagnachmittag vor der Sächsischen Landtagswahl flottieren Tänzerinnen, Sänger und Musikerinnen durch den Saal und bewegen sich an den Grenzen entlang. Wer darf wie in einer Demokratie mitreden, fragen sie. Aber nicht mit Worten, sondern allein mit Körper und Stimme. »Wir reden viel, aber das bringt uns nicht immer weiter«, sagt die Regisseurin und Choreografin Heike Hennig, die das Stück inszeniert hat. Die Veranstaltung ist ein Gemeinschaftsprojekt: Der Verein zur Förderung zeitgenössischer darstellender Kunst und Musik, das stadtgeschichtliche Museum, die Tanzgruppe Klein-Paris, der Verein Fröhlicher Chor und das Heizhaus haben sich dafür zusammengetan.
Im Alten Rathaus schreiten die Tanzenden zwischen den Zuschauerreihen in roten, königlich anmutenden Gewändern, um die sie im nächsten Augenblick ringen, nur um sie sich schließlich von den Schultern werfen. Zwei Tänzerinnen bauen sich vor den alten Männern in den Bilderrahmen auf. Seniorinnen tanzen kraftvoll zur Hip-Hop-Musik. Immer wieder erheben sich Personen aus den Publikumsrängen, um zu tanzen oder zu singen, und sprengen die Grenze zwischen Zuschauenden und Auftretenden. »Ich wollte schon immer die Normen brechen«, lächelt Hennig. Und das schafft sie.
Machtkampf und Sturz des Patriarchats
Das Publikum muss nicht nur permanent den Kopf wenden und die Perspektive wechseln, um möglichst viel mitzubekommen, denn die Bühne ist überall im Saal. Auch hat es kaum Zeit zur Umgewöhnung. Zwischen klassischer Musik und Hip-Hop-Beats, zeitgenössischem und urbanem Tanz gibt es keine Pause. Das Gehirn bekommt durch die ungewohnte bis befremdliche Mischung aus Seniorinnen-Hip-Hop, Händel, Eisler-Chorliedern und politischer Symbolik ein Toleranztraining im erfrischenden Sinne. Eine ältere Frau steht auf und geht. Alle anderen jedoch bleiben sitzen.
Am Ende drehen sich die Tänzerinnen und Tänzer in einem höfischen Tanz um das Klavier. Trotz all des Neuen, Subversiven dürfen vielleicht manche Traditionen auch behalten werden. Machtkampf und das Darüber-Hinausgehen, Sturz des Patriarchats, Gemeinschaft trotz Unterschiede in Kunstform, Genre, Alter: Die Allegorien sind zwar offensichtlich, aber gehen trotzdem in zauberhafter Weise auf und sorgen für Gänsehautmomente. Beim langanhaltenden Applaus halten sich alle Auftretenden an den Händen, und selbst die alten weißen Männer in den Rahmen scheinen ein wenig freundlicher zu lächeln.