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Kultur

Der Eigensinnige

Zum letzten Mal zeigt der Fotograf Gerd Lehmann seine Fotos

  Der Eigensinnige | Zum letzten Mal zeigt der Fotograf Gerd Lehmann seine Fotos  Foto: Gerd Lehmann posiert neben der Fotografie »Gabi« (1971), die er als Student international ausstellte/Leon Meckler

In der DDR war Gerd Lehmann als Fotograf erfolgreich, obwohl er sich dem Regime verweigerte. Nach der Wende wurde seine Arbeit vergessen. Als letzte Möglichkeit, sein Lebenswerk einem Publikum zu zeigen, stellt er seine Fotos nun auf dem Leipziger Südfriedhof aus.

Über dem Südfriedhof Leipzig donnert es, der Regen prasselt vom Himmel. Unter dem Dach eines Klohäuschens sucht Gerd Lehmann Schutz vor dem Gewitter und blickt auf sein Lebenswerk: 700 laminierte Fotografien aus 40 Jahren hängen zwischen Bäumen zu beiden Seiten einer Allee. Der Wind drückt sie auf und ab. Lehmann hat die Ausstellung selbst organisiert und den Druck der Bilder von seinem letzten Geld bezahlt. Inmitten des Unwetters sitzt er auf seinem Rollator, zieht an seiner Zigarette und sagt: »Wenn jetzt die Leinen reißen, dann wäre das eine Katastrophe.«

Gerd Lehmann war als Fotograf in der DDR erfolgreich – obwohl er sich vom Regime fernhielt und sein Studium nie abschloss. Nach der Wende wurde seine Arbeit vergessen. Nun zeigt er seit dem 20. Juni und bis zum 22. September seine Fotos auf dem Leipziger Südfriedhof. Jeden Sonntag ist er von 14 bis 17:30 Uhr vor Ort, um über sein Werk zu sprechen. In der Ausstellung sieht der 79-Jährige die letzte Chance, einem Publikum seine Bilder zu zeigen: Für ein Buch reicht sein Geld nicht, mit dem Internet kennt er sich nicht aus. Wie konnte das passieren?

An diesem Sonntag ist der Himmel am Horizont bereits schwarz, bevor es gewittern wird. Auf dem Südfriedhof rauschen die Bäume, immer wieder braust ein Motorrad die naheliegende Straße entlang. Lehmann sitzt auf einer Bank am Anfang des Rundgangs. Neben sich hat er astronomische Kalender, Fotografien, Postkarten und eine Spendenbox gelegt. Eine Frau bleibt vor ihm stehen. In der Hand hält sie ein Foto von drei jungen Frauen, die aus dem Fenster einer Scheune blicken. Eine der Frauen ist die Besucherin, der Fotograf ist er, Gerd Lehmann. »Das muss 1969 gewesen sein, in Görlitz«, sagt sie.

Vom Modell zum international erfolgreichen Fotografen

»Ja, an die Gesichter erinnere ich mich. Aber an das Foto nicht mehr«, sagt Lehmann und lacht. Das war, als er begann zu fotografieren, zunächst machte er Schnappschüsse, Bilder von Bekannten und Freunden. Als er sich statt als Model als Fotograf versuchte. »Die DDR-Fotografen, die fotografierten so steif. Ich wollte das natürlicher machen, aus der Bewegung. Als junger Mensch will man die Welt verbessern, und das wollte ich auf dem Gebiet der Fotografie machen.«

Und Lehmanns Fotografie zeigt vor allem Menschen: Den Schauspieler Friedhelm Eberle während der Dreharbeiten zu »Polizeiruf 110«. Die Rockband »Klaus-Renft-Combo«, die an Kleiderhaken hängt. Models, die für das Kosmetikunternehmen Florena posieren. Eine Goth, deren weißes Gesicht aus der Dunkelheit ragt. Immer analog fotografiert, häufig auf Schwarz-Weiß-Film.

Ein Besucher bleibt am Anfang der Ausstellung stehen, vor dem Foto eines DDR-Schreibens an Lehmann, das ihm dazu gratuliert, 20 Bilder auf einer Weltausstellung in Belgien zeigen zu dürfen. »Das ist ein kleiner Angeberbrief«, sagt dieser, »weil ich ja drei Mal exmatrikuliert wurde«. Das sei die Differenz in der DDR gewesen »zwischen Theorie und Praxis«: Er gewann internationale Preise als Student und wurde gleichzeitig von seinen Dozenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst exmatrikuliert. Weil er neben dem Studium kellnern musste und deswegen die frühen Vorlesungen verpasste, weil er einen Dozenten vor der Klasse kritisierte. Eine Prüfung stehe ihm noch zu. »Ich bin ja eigentlich noch Fernstudent, ich warte noch auf die Nachprüfung.« Er habe sogar dort kürzlich noch einmal angerufen. Ob Sie ihn noch kannten? Sie kannten ihn nicht.

Weil er an nationalen und internationalen Ausstellungen teilnahm, erhielt er in der DDR schließlich dennoch eine Zulassung als Werbefotograf. Lehmann arbeitete dann, wie er es für richtig hielt, und versuchte, der Staatssicherheit so wenig wie möglich aufzufallen. Denn die Stasi habe bei befreundeten Fotografen immer wieder Aufträge verhindert. Auch deswegen kenne ihn heute niemand: Nachdem er die Zulassung hatte, hat er sich nie bei offiziellen Ausstellungen beworben. »Wenn du lernst, dich nicht bemerkbar zu machen, über Jahrzehnte, dann geht dir das ins Blut über. Da haust du nicht auf die Kacke. Doch mit der Ausstellung haue ich jetzt auf die Kacke.«

Nach der Wende fotografierte Lehmann Kneipengänger, Goths und für Udo Walz

Nach dem Unwetter tropft der Regen von den Bäumen. Die Leinen hielten. Eine Besucherin fragt, ob er noch »aktiv« sei, noch fotografiere.

»Ich bin seit 15 Jahren aktiver Rentner. Nach der Wende habe ich mich über Wasser gehalten mit Aufträgen. Da fotografierte ich Kneipen und Gruftis…«

»Ja, das sind ja echte Kunstwerke«, wirft sie ein. »…und dann war ich froh, aufhören zu können. Ich hatte viele Operationen und das digitale Fotografieren habe ich abgelehnt.«

»Kribbelt es da nicht in den Fingern?«, will sie wissen. »Wenn ich etwas sehe, mache ich in Gedanken ein Foto. Aber aus dem Hirn kann man nicht ausdrucken.«

Lehmann wollte seit seiner Zeit als Sportler immer erfolgreich sein

Nicht nur bei seiner Ausstellung, auch in seiner Wohnung in Lößnig ist Gerd Lehmann von seinen Fotos umgeben. Von den Wänden blicken die Gesichter der Werbefotografie und von Wave-Gotik-Kalendern auf ihn. Er hebt eine halbe Fingerbreit Kaffee auf den Tabak im Stopfgerät. So raucht er seit der Nachwendezeit seine Zigaretten. Als die Mauer fiel und viele Fotografen nach Berlin kamen, wuchs die Konkurrenz. Die großen Aufträge, wie jene bei Udo Walz, waren selten und blieben schließlich aus. Und die DDR-Firmen gab es plötzlich nicht mehr, für die er lange Werbefotos machte. Tabak mit Kaffee zu rauchen ist günstiger.

Vor seiner Karriere als Fotograf war Lehmann in der Jugendauswahlmannschaft der DDR im Radrennen und erfolgreicher Skilangläufer. Er sagt, er habe immer gewinnen müssen. Das habe er vom Sport. 

 

> Ausstellung bis So., 22.9., tägl. 721 Uhr
> Gerd Lehmann ist sonntags von 14
17.30 Uhr vor Ort


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1 Kommentar(e)

torSTEEN 04.10.2024 | um 09:43 Uhr

INFO - Laut Gerd Lehmann ist die Ausstellung im Südfriedhof (direkt am Nordeingang, Völkerschlachtdenkmal) bis zum Reformationstag verlängert - so es denn gesundheitlich passt. Der Fotograf ist sehr zugewandt, und oft auch unter der Woche vor Ort. Spenden für die ansonsten freie Ausstellung werden gern genommen. Die Aufnahmen sind durchweg auf höchstem Niveau und ein lebendiges Stück Zeitgeschichte.