Es ist ein Dienstagabend Anfang September, 18 Uhr. Doreen Voigt ist erst vor einer halben Stunde wieder in ihrem Leipziger Büro angekommen, den Tag hat sie in Dresden verbracht. Dort hat sich ihre Partei zur ersten Fraktionssitzung im Sächsischen Landtag getroffen, oder besser: zur ersten Fraktionssitzung überhaupt. Denn ihre Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, trat zum ersten Mal bei der sächsischen Landtagswahl an – und hat 11,8 Prozent der Stimmen erhalten. Auf der Landesliste stand Voigt auf Platz drei, direkt hinter der Doppel-Landesspitze Sabine Zimmermann und Jörg Scheibe. Als einzige Kandidatin aus Leipzig hat sie so den Einzug ins sächsische Parlament geschafft.
Dass sie von den Ereignissen der letzten Wochen überwältigt ist, merkt man Voigt an. Seit dem Wahltag stehe vieles kopf bei ihr, ihre ersten Eindrücke aus dem Landtag könne sie noch gar nicht in Worte fassen. Für die 40-Jährige ist die Politik Neuland, zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie in einer Partei und wird nun direkt Abgeordnete.
Dabei war politisches Engagement oder gar eine Karriere in einer Partei gar nicht ihr Plan. »In dieses Haifischbecken gehe ich nicht«, habe sie lange gedacht. Das änderte sich erst mit der Gründung des BSW und lag nicht zuletzt an Parteigründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht, von der Voigt merklich fasziniert ist. Wagenknechts Bücher habe sie alle mit Begeisterung gelesen. Für ihre Parteichefin hat sie dann auch viele schwärmerische Worte: Sie habe einen »bewundernswerten Intellekt«, sei »wortgewandt« und »wahnsinnig analytisch«. Voigt sei schnell klar gewesen, dass sie beim BSW mitmischen wolle – vor allem bei den sozialen Themen.
Ein Lehramtsstudium hat sie kurz vor dem Abschluss abgebrochen und stattdessen auf Sozialpädagogik umgesattelt. Seitdem setzt sie sich beruflich für Menschen in sozialen Notlagen ein, hat in Leipzig eine Inobhutnahme für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen aufgebaut und eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Asylsuchende geleitet. Seit Ende 2020 arbeitet sie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Leipzig, koordiniert dort die Mitgliedsorganisation und ist Referentin für Sucht- und Sozialpsychiatrie. Das Schicksal von benachteiligten Menschen geht ihr merklich nah, für diese möchte sie nun Politik im Landtag machen.
Dass sie beim BSW dafür an der richtigen Adresse ist, daran hat Voigt keinen Zweifel. Zu anderen Themen, die das BSW im Wahlkampf immer wieder thematisiert hat, möchte sie sich weniger ausgiebig äußern. So hat Wagenknecht selbst sich immer wieder in den sächsischen Wahlkampf eingemischt und rote Linien für eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei auf der Landesebene formuliert – nicht zuletzt zur Unterstützung der Ukraine, die auf Bundesebene entschieden wird und gegen die sich die Partei stellt. Auch für Voigt ist das Friedensthema zentral, eigene rote Linien stellt sie für sich aber nur im sozialen Bereich auf, wo es keinen Kahlschlag und keine Kürzungen geben dürfe. Den Rest müssten Koalitionsverhandlungen zeigen. »Ich bin für den sozialen Bereich angetreten«, sagt sie.
Abwehrend reagiert Voigt auf Kritik am BSW. Es gebe keinen Personenkult um Wagenknecht. Vor allem aber ärgern sie Vergleiche mit der AfD in der Migrationspolitik. Das BSW stehe zum Grundrecht auf Asyl und wolle es nicht abschaffen, auch lehne es eine Begrenzung der Migration ab. »Ich finde es immer wieder erschreckend, wenn wir in einem Atemzug mit der AfD genannt werden«, sagt Voigt. Im Wahlprogramm fordert die Partei jedoch genau das: Migration begrenzen, unkontrollierte Migration stoppen. Dafür sollen Asylanträge an EU-Außengrenzen und in Drittstaaten gestellt werden müssen, nur Schutzberechtigte sollen Leistungen in Deutschland erhalten. Damit fordert das BSW de facto eine weitere Verschärfung der im Frühjahr bereits verschärften EU-Asylregeln.
Mit der AfD brauche es einen anderen Umgang, fordert Voigt. Anträge dieser Partei aus Prinzip abzulehnen, nennt Voigt »verrückt«, wenngleich sie klar eine Koalition mit der AfD ausschließt.
Das Wahlergebnis vom 1. September betrachtet Voigt als einen »wahnsinnigen Vertrauensvorschuss«, sie spricht von Hoffnungen, die die Partei bei vielen geweckt habe. Hinsichtlich kritischer Stimmen bleibt sie gelassen und gibt sich kämpferisch: »Wir konnten uns noch gar nicht beweisen.«