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»Kein System ist zu 100 Prozent betrugssicher«

Der Wahlbetrug zugunsten der Freien Sachsen zielte eher auf die Wahl an sich als auf ihr Ergebnis

  »Kein System ist zu 100 Prozent betrugssicher« | Der Wahlbetrug zugunsten der Freien Sachsen zielte eher auf die Wahl an sich als auf ihr Ergebnis  Foto: Adobe Stock

Daniel Hellmann mahnt zur Entspannung. Der Politologe von der Universität Halle-Wittenberg ist überzeugt: Eine effektiv erfolgreiche Wahlmanipulation anzustellen, ist nahezu unmöglich. Wir sprechen mit Hellmann über den Betrugsfall bei der sächsischen Landtagswahl gut eine Woche nach dessen Aufdeckung.

Auf Briefwahlunterlagen aus mehreren Dresdner Wahlbezirken waren die ursprünglich gesetzten Kreuze überklebt und stattdessen für die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen votiert worden. Bei der Stimmauszählung in den Wahllokalen entlarvten Wahlhelferinnen und -helfer 126 so gefälschte Briefwahlzettel. Die sächsische Landeswahlleitung hat diese Stimmen daraufhin für ungültig erklärt. Weder hätten die Fälschungen noch haben die nun weggefallenen Originalstimmen sich relevant auf das Wahlergebnis ausgewirkt: Das Mandat des CDU-Politikers im Wahlbezirk Dresden-Langebrück, dessen Stimmen häufiger überklebt wurden, sei jederzeit sicher gewesen.

Verdächtiger aus Dresden

Wo und wie der oder die Betrüger an die Briefwahlzettel gekommen sind, versuchen das Landeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden herauszufinden – sie ermitteln gegen einen 44-jährigen Dresdner wegen des Verdachts auf Wahlfälschung. Zuletzt gerieten Senioren- und Pflegeeinrichtungen in den Ermittlungsfokus: Hier ist es gängige Praxis, dass etwa Betreuungspersonen oder Postverwaltende als Dritte in direkten Kontakt mit den Stimmzetteln von Bewohnerinnen und Bewohnern kommen, bevor die Unterlagen das Wahllokal erreichen. Jedoch handelt es sich bei diesem Ansatzpunkt weiterhin nur um einen unbestätigten Verdacht zur Vorgehensweise in diesem Fall, die auch bei Politologe Hellmann Fragen aufwirft. Die in Dresden angewandte Strategie unterscheide sich von klassisch bekannten Praktiken des Wahlbetrugs. Hellmann führt ein Beispiel aus dem sachsen-anhaltischen Stendal an, wo ein CDU-Stadtrat 2014 einen Betrugsversuch bei kommunalen Wahlen unternahm, indem er per falscher Vollmacht die Briefwahlunterlagen von Menschen beantragte, die ihm zuvor eröffnet hatten, selbst nicht zur Wahl gehen zu wollen. Der Betrug flog auf und das deutsche Briefwahlsystem wurde in der Folge um eine Sicherheitsmaßnahme erweitert: Wählerinnen und Wähler erhalten seitdem automatisch ein Schreiben vom Wahlamt an ihre Meldeadresse, sollte jemand anderes stellvertretend ihre Briefwahlunterlagen beantragt haben. Liegen die endgültigen Ermittlungsergebnisse des Dresdner Wahlbetrugs vor, könne man darüber nachdenken, das Briefwahlsystem erneut regulativ nachzuschärfen, um den Zugang zu fremden Stimmzetteln weiter zu erschweren, schätzt Politologe Hellmann.

Kein lukratives Geschäft

Trotz der großen medialen Aufmerksamkeit und strafbehördlichen Bemühungen zur Aufklärung bestehe für Hellmann kein Grund zur Sorge vor größeren Fälschungsaktionen, die sich die jetzt in Dresden angewandte Strategie zum Vorbild nehmen. Zwar könne »kein System zu 100 Prozent betrugssicher« sein, aber die »Kosten-Nutzen-Rechnung« eines groß angelegten Wahlbetruges gehe einfach nicht auf: Um mandatsrelevanten Einfluss bei Wahlen auf Landes- oder Bundesebene zu nehmen, müsse man weit mehr als 126 Briefwahlstimmen fälschen – Hellmann rechnet mit etwa 60.000 bis 70.000 Stimmen pro Einzelmandat. Dafür wiederum benötige es einen Geld-, Zeit- und Personalaufwand, der ökonomisch unsinnig sei und zudem die Geheimhaltung der Betrugsaktion enorm erschwere. Die aufgebrachten Ressourcen ließen sich im legalen Wahlkampf effektiver einsetzen. Das jüngste Fallbeispiel bei der sächsischen Landtagswahl bestätige seine Einordnung: Die Unbekannten seien trotz professionellen, aufwendigen Vorgehens schon bei 126 Fälschungen aufgeflogen und müssten nun strafrechtliche Konsequenzen befürchten. Bis zu fünf Jahre Haft stehen laut Deutschem Wahlgesetz auf Wahlmanipulation – auch eine Geldstrafe im sechsstelligen Bereich ist denkbar.

… aber »Beweis« für die behauptete Unsicherheit der Wahl

Hinter dem Manipulationsversuch in Dresden sieht Hellmann eher das strategische Motiv, das Wahlsystem zu diskreditieren, als eine signifikante Veränderung des Wahlergebnisses herbeizuführen.

Wir fragen nach beim Leiter des Leipziger Amtes für Statistik und Wahlen, Dr. Christian Schmitt. Auch er sagt uns, es gebe »kein Einfallstor im Briefwahlsystem«, das kriminellen Einfluss auf die demokratischen Wahlergebnisse zulasse. Das Kontrollsystem bei der Stimmauszählung im Wahllokal bedinge, dass Fälschungen zuverlässig ausgefiltert würden. In Dresden hätten die Wahlhelferinnen und -helfer etwa den untypisch hohen Briefwahl-Stimmanteil für die Freien Sachsen erkannt – und in der Folge auch die überklebten Kreuze in den Unterlagen entdeckt. Laut Schmitt könne man insgesamt nicht von einer höheren Betrugsanfälligkeit im Briefwahlsystem ausgehen. Diese zu behaupten, wolle lediglich »die Legitimation von freien Wahlen unterminieren«. Der Leipziger Wahlleiter spricht der Briefwahl wie auch dem ganzen Wahlsystem Solidität und Vertrauenswürdigkeit zu. Auch deshalb seien Briefwahlen in den letzten Jahren immer beliebter geworden – etwa in Leipzig, wo der Anteil an Briefwählenden mittlerweile bei rund 30 Prozent liege. »Wenn die Erkenntnisse aus Dresden zeigen, dass eine spezielle Lücke zum Betrug genutzt wurde, die uns bisher unbekannt ist, dann werden wir aber natürlich entsprechend reagieren«, räumt Schmitt ein. Unmittelbaren Handlungsbedarf sieht der Wahlleiter jedoch dafür aktuell nicht: Als Konsequenz aus den Dresdner Befunden habe man auch in Leipzig Wahlzettel nachgeprüft – und dabei keine Hinweise auf Betrugsfälle gefunden.


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