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Kultur

»Man kann alles in jedem Alter machen«

Mrs Pepstein feiert im November ihren 25. Geburtstag – hier schon mal mit zehn Songs und einer Nachfrage

  »Man kann alles in jedem Alter machen« | Mrs Pepstein feiert im November ihren 25. Geburtstag – hier schon mal mit zehn Songs und einer Nachfrage  Foto: Christiane Gundlach

Katja Röckel kam in den Neunzigern eigentlich wegen Radio Mephisto nach Leipzig – doch weil dort aus ihrer Björk-Review ein Satz über Orgasmus gestrichen wurde, ging sie lieber zu Radio Blau. Dort macht sie nun seit 25 Jahren regelmäßig die Sendung »Mrs Pepsteins Welt«, in der es nach eigener Aussage statt Nerdgelaber subjektive Kommentare, spannende Interviews, Feminismusallüren und Musik, Musik, Musik gibt. Für den kreuzer hat Mrs Pepstein zehn prägende Songs der Sendung (eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, es müssten mindestens 250 sein) ausgewählt und erklärt, warum gerade die. 

Stereo Total »Schön von hinten«

Stereo Total ist eine meiner absoluten Lieblingsbands. Und ganz viele Leute identifizieren mich mit dieser Band, was natürlich eine große Ehre ist. Meine erste Sendung war mit ihnen. Ich habe sie nach einem Konzert im Conne Island einfach angequatscht und gesagt: »Ich mache jetzt hier bald so eine Radiosendung und würde gerne mal ein Interview mit euch machen.« Dabei hatte ich natürlich Angst: die große Françoise Cactus! Aber sie hat mir einfach ihre Festnetznummer auf die Schallplatte draufgeschrieben, die ich am Merch gekauft hatte. Das Interview fand dann in ihrer Wohnung in Kreuzberg statt an einem Samstagnachmittag. Brezel hat mir die Tür aufgemacht, weil Françoise noch im Bett lag. Ich hab dann in der Küche gewartet. Und als Françoise kam, trug sie weiße Stilettos und hat erst mal Kaffee gemacht – und den hat sie sich dann direkt über ihre Schuhe gekippt. Ab da war ich auch nicht mehr aufgeregt. Und der Song ist einfach ein grandioser Abschiedssong.

 

Björk »Hyperballad«

Björk habe ich natürlich lange vor meiner Radiozeit gehört. Damals haben sich an ihr schon die Geister geschieden. Aber ich war wirklich von Anfang an Fan – schon als Jugendliche von den Sugarcubes. Ich habe viele Konzerte von ihr gesehen, bin einmal für Björk extra nach Schweden gefahren. Mein größter Traum war immer, sie zum Interview zu treffen. Das mit dem Treffen hat noch nicht geklappt – aber immerhin eine Viertelstunde Video-Interview. Bei dem sie allerdings die Kamera ausgestellt hatte. Nachdem sie meine erste Frage zu Pilzen im Artwork nicht so richtig beantworten wollte, hat sie gesagt, frag doch einfach, was du wissen willst. Und dann hab ich halt wirklich gefragt, was ich wissen wollte. Das war cool.

Barbara Morgenstern »Live fast, die young!«

Barbara Morgenstern verbinde ich mit meinen Anfängen in Leipzig. Ich bin 1997 nach Leipzig gezogen und sie war eins der ersten Konzerte in der Ilse, die ja 1998 aufgemacht hat. Als ich danach mitten in der Nacht nach Hause gegangen bin, fiel mein erster Schnee in Leipzig. Barbara ist eine der Künstlerinnen, bei der ich zu jeder Platte ein Interview gemacht habe. Das waren immer tolle Gespräche, auch wenn mir vielleicht mal auf einer Platte nicht alles so gefallen hat. In »Live fast, die young!« geht es darum, dass es zum Jung-Sterben jetzt schon zu spät ist – aber es geht halt weiter. Man muss nicht jung sein, um zu leben. Und ich finde eben auch: Man kann alles in jedem Alter machen.

 

Nina Simone »Turn me on«

Ich bin relativ breit aufgestellt, was Musikgenres angeht. Okay, ich würde wahrscheinlich nicht zehn Metal-Songs in meiner Sendung spielen, aber ich wäre prinzipiell offen, mit einer spannenden Metal-Schlagzeugerin ein Interview zu machen. Nina Simone ist wieder eine ganz andere Richtung. Das ist ein sexy Song. Ich mag Musik, in der es um Sex geht. Um Sehnsucht. Ich finde voll cool, wie das so körperlich wird. Man hört dieses Begehren. Nina Simone höre ich aber auch, wenn ich mal runterkommen will. Und ich mag Musik, die mich so emotional abholt.

 

Bernadette La Hengst »Rockerbraut und Mutter«

Bernadette kenne ich seit Anfang der Nullerjahre. Es gab damals so ein mini Riot-Grrrl-Movement in Deutschland. Da fanden auch die ersten Ladyfeste statt. Und ich habe nach dem ersten Jahr der Sendung relativ schnell gemerkt: Ich will einen feministischen Fokus. Damals haben wir auch die Propellas gegründet – ein Veranstaltungskollektiv mit Freundinnen. Und bei unserer allerersten Veranstaltung hat Bernadette La Hengst gespielt. Sie ist dann auch eine der Musikerinnen geworden, die ich zu jeder Platte interviewt habe. »Rockerbraut und Mutter« kam raus, als ich auch schwanger war bzw. ein kleines Kind hatte – unsere Töchter sind gleich alt. Ich bin zwar keine Rockerbraut, sondern eine Pop-Frau. Aber die Idee, die hinter dem Lied steckt, fühle ich sehr. Also sich zum einen über das Kind Gedanken machen, darüber, dass es ein Mädchen ist und was aus ihm wird, und auf der anderen Seite die Frage: Was ist eigentlich mit meinem Leben? Kann ich das jetzt so weiterleben? Ja, kann ich noch sehr. Das Lied war auch auf einem meiner Mixtapes drauf, die ich verkauft und verschenkt habe. Das hieß: »Hab keine Angst vor Müttern und anderen Spezies«. Es gibt jetzt ein Nachfolge-Lied zu »Rockerbraut und Mutter«: »Mamablues« – die Tochter zieht aus. Und was ist jetzt so? Wie ist das jetzt als Mutter, wenn das Kind nicht mehr ständig da ist? Das war ganz oft so, dass die Platten von Bernadette immer auch in meine Lebensphase gepasst haben.

 

Sookee »Absurdität«

Ich habe lange überlegt, welchen Sookee-Song ich nehme, und das ist jetzt kein linksradikaler, aber ich finde ihn sehr schön, weil es um Pubertät geht. Und das ist ein Thema, das nicht so oft aus einer weiblichen Perspektive besungen wird. Auch hier spielt mit rein, dass sie zu dem Zeitpunkt selbst schon Mutter war. Ich kann mich noch gut an ihr Abschiedskonzert erinnern, weil sie als Musikerin aufhörte, also als Musikerin für Erwachsene. Das hat mich ziemlich bewegt, weil mir ihre Musik total wichtig war. Ihre Musik hat vielen Leuten, die aktivistisch tätig sind, den Rücken gestärkt. Und auf neue Platten von ihr zu verzichten, fand ich traurig, aber ihren Schritt auch total mutig und ungewöhnlich. Also auszusprechen, dass die Musikindustrie nicht Flinta-freundlich, nicht familienfreundlich ist und eine krasse Verwertungsnummer, der sie sich nicht unterwerfen wollte. Das war sehr konsequent. Ich habe Sookee auch danach noch ein paar Mal getroffen. Zum Beispiel, als sie Preisträgerin vom Louise-Otto-Peters-Preis in Leipzig wurde.

 

Missy Elliott »Work it«

Den Song lege ich supergerne auf. Das ist einfach so eine geile Power-Hymne. Und er ist aus den Nullerjahren, einer Zeit, in der sich bei mir auch viel verändert hat. Durch Mutterschaft und so. Aber da war ich auch immer beim In-der-Küche-Tanzen am Start.

 

Beyoncé (feat. Chimamanda Ngozi Adichie) »***Flawless«

Über diese Platte habe ich erst so richtig zu Beyoncé gefunden. Ich kannte zwar auch schon die anderen, aber das war das Album, wo sie explizit feministisch auf die Kacke gehauen hat, wo Feminismus auf einmal im Mainstream war und es so »Feminist«-T-Shirts bei H&M gab. Ich meine, den Begriff Girlpower kennt halt jeder. Und sie hat das noch mal ganz schön hochgehievt. Beyoncé ist einfach irgendwie eine Göttin. Krass natürlich auch. Sie ist eine der reichsten Frauen und ihren Typen hat sie, glaube ich, auch längst überholt. Und ja, die letzte Platte war auch geil. Also, ich bin großer Fan.

 

Kate Bush »Running up that Hill«

Das ist ein All-Time-Favourite. Auch wenn er jetzt durch Netflix ein bisschen abgelutscht ist. Kate Bush war ihrer Zeit voraus. Sie ist auch eine krasse Produzentin. Ich finde es bewundernswert, dass man sie gar nicht fassen kann, weil sie nur ganz selten mal irgendwo in der Öffentlichkeit auftaucht. Vielleicht auch, weil ich die Öffentlichkeit ja gar nicht scheue. Die Musik kriegt mich auf jeden Fall immer wieder. Die Platte »Hounds of Love« ist einfach eine meiner absoluten Lieblingsplatten und das ist für mich so ein Song, den ich einfach für immer lieben werde. Der wird nicht schlecht mit dem Alter.

 

Christiane Rösinger »Es geht sich nicht aus«

Ich war zwar schon als Teenagerin Feministin, wie ich später festgestellt habe, aber dass ich im Radio Feminismus thematisiere, hat ziemlich doll auch mit Christiane Rösinger zu tun. Mit ihrem Label Flittchen-Records, wo Bands erschienen wie die Vermoosten Vlöten und der Sampler »Stolz und Vorurteil«, auf dem lauter female Bands waren. Das war für mich ein Gamechanger, weil sich da für mich eröffnet hat, dass es neben den ganzen Typenbands wie Die Sterne und so auch andere gibt und dass das ganz normal ist. Das ist heute ja wirklich anders. Die Menge der Flinta-Bands ist größer jetzt. Die Probleme sind aber noch ähnlich: Es können immer noch weniger Mädchen Gitarre und Schlagzeug spielen, viele werden von Technikern nicht ernst genommen, die Geschlechterverteilung auf Festivals ist oft nicht ausgeglichen … Christiane habe ich zum ersten Mal mit den Lassie Singers Mitte der Neunziger gesehen. Vorband war übrigens Tocotronic. Nachdem sich die Lassie Singers aufgelöst haben, gab es Britta. Mit denen hab ich mehrere Interviews gemacht. Ich bin als DJ auch zur Flittchenbar nach Berlin gefahren, habe mit Christiane über all ihre Bücher gesprochen … Ich kenne sie schon lange. Und »Es geht sich nicht aus« ist so ein typischer Christiane-Song: Die ganze Sache auch mit Humor nehmen. Das mag ich halt an ihr auch total. Sie ist eine absolut unterschätzte Songwriterin.

 

Gab es in den 25 Jahre mal den Gedanken »Das geht sich nicht aus, ich lasse es sein«?

Noch nie so richtig ernsthaft. Also eher so Momente, in denen ich dachte, ich muss in zwei Tagen die Sendung fertig haben und schaff das nicht, weil ich ja auch noch einen Brotjob habe und andere Sachen, die ich auf die Reihe kriegen muss. Ich hab kurz mal gedacht, ob ich jetzt zum Jubiläum aufhöre, aber gerade jetzt bekomme ich so viel Feedback. Und ich denke auch: Wenn die alle nicht aufhören, Musik zu machen, höre ich auch nicht auf mit Radiomachen.


> PPSTN25 – Eine Radiolegende feiert: 16.11., 20 Uhr, Werk 2 – mit Finna, Bernadette La Hengst, Kapa Tult, Lena Stoehrfaktor, DJs: DJ Melanie, Christina Mohr, Jens Friebe, Moderation: Arne Linde, Linus Volkmann

> »Mrs Pepsteins Welt«:


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