Gut möglich, dass ich keine Ahnung habe und alt geworden bin. Aber kann es sein, dass vor allem große und etablierte Tanzveranstaltungen, die Techno auf die Ohren geben, immer noch nach sachlicher Pflicht, nach rhythmischem Arbeitseinsatz säuberlich distanzierter Einzelwesen aussehen? Die typische Gesprächseröffnung am Einlass, die an die Frage »Sind Sie Terrorist?« auf den Dokumenten zur Einreise in die USA erinnert, weist bereits die Richtung. Bestenfalls handelt es sich um eine spontane Übung in Affektkontrolle, weil dieser Feiertauglichkeitstest so durchschaubar und trivial ist, dass die innere Stimme (Magnum) vehement nach Eskalation verlangt. Getragen wird der Abend von mehr oder weniger zur Musik passenden Bewegungen, die von den meisten Gästen mit ausgestellter wie kategorischer Distanziertheit vollführt werden. Womöglich macht das Spaß, man weiß es nicht so genau. Hin und wieder wird für den Flüssigkeitshaushalt und gegen die Überhitzung ein Bier auf die Amphetamine (ist das Zeug noch in?) gestellt oder gemeinsam auf dem Klo nachgelegt – was anschließend mit einer expressiven Geste, weil die Nase juckt, allen mitgeteilt wird. Ein zugeneigt-sachliches Gespräch über die Krise bei Oatly (»Beste!«) und gute Hafermilchalternativen runden die Tanzpause ab. Eine aufmerksame Beobachterin stünde am Rand und würde nach den Hinweisen für Spaß suchen. Angesichts der Dauer der Veranstaltung und der Ausdauer ihrer Gäste muss der sich schließlich irgendwo versteckt halten. Viel gelacht wird in Läden des Typs IfZ oder Berghain jedenfalls nicht.
Bleibt die innere Stimme, die sich zwar nach der sublimierten Erregung am Einlass beruhigt hat, aber nicht lockerlässt und unablässig fragt, was feiern gehen eigentlich bedeutet. Das Prinzip ist – kulturgeschichtlich beschaut – zugleich ziemlich alt und ziemlich neu. Wie immer lässt sich eine Spur zu den alten Griechen ziehen, selbstverständlich. Am Rande: Nein, die alten Griechen müssen nicht gegendert werden, weil Frauen in der Polis zwar geachtet und bisweilen gefürchtet, aber systematisch ausgegrenzt wurden. Für Genaueres zur damaligen Festkultur fehlt mir die Detailkenntnis. Nur so viel: Dionysos, der Gott des Weines, ließ sich nicht lumpen und das Pharmakon, das neben Gift, Heil- und Wundermittel viele Bedeutungen hatte und mit »Droge« unzulänglich übersetzt wäre, spielte als Stoff und Mythos eine gewichtige Rolle. Die Feier ist Ritual und Kompensation des Alltags, sie ist philosophische Gesprächskultur und Gottesdienst. Das Symposion ist heute eine bierernste Veranstaltung außerordentlich wichtiger Akademikerinnen und Akademiker. Damals war es ein philosophischer Disput in weinseliger Runde. Ich war mal auf einem medizinischen Symposium zur Alkoholsucht – traurige Moderne.
In den christlichen Jahrhunderten steckt noch viel Griechenland. Dennoch haben vorrangig monotheistische Feierkulturen über die Zeit und regional etliche Veränderungen und Prägungen durchgemacht. Als »Zeit zwischen den Zeiten« spielten exzentrische Feste im Karneval allerdings immer wieder eine bedeutende Rolle. Die Strenge des religiösen Alltags machte einer Umwertung aller Werte Platz; geduldete Überschreitung, kollektive Ekstase. Ab dem 16. Jahrhundert begannen kirchliche und weltliche Herrscher vermehrt, die karnevaleske Feierkultur zu zähmen. Sie hatte zu viel Krawall und Remmidemmi ausgelöst.
Fast forward: Die moderne Party ist ein Kind des 20. Jahrhunderts und trat als Disco ihren Siegeszug an. Welche Rolle Ekstase und Überschwang über die Jahrzehnte spielten, wäre erneut eine längere Geschichte. Aufnahmen aus den frühen Jahren, also aus den Fünzigern und Sechzigern, lassen für die Anfänge jedenfalls wenig festliche Eskalation und kollektive Überschreitung erkennen.
Bleibt zu erwähnen, dass weder Party noch Drogen zur Revolution taugen. Die Psychedelic Revolution, die vom LSD beseelte Gegenkultur der späten sechziger Jahre mit ihren Abgründen und ihrem Scheitern, mag Warnung sein. Aber vielleicht darf es eine Line mehr kollektive Überschreitung, ein Shot mehr Lachen und Überschwang und ein Schuss mehr Ekstase sein. Okay, vielleicht kein Schuss. Dafür darf gern am Feiermodus als Fortsetzung neoliberaler Selbstoptimierung gespart werden. Allerdings habe ich läuten hören, dass eine neue Generation reconnectet und launige Partys feiert, auf denen zufällig Techno läuft, statt Events zu organisieren, die vor lauter elektronischem Ernst und künstlerischer Bedeutung vergessen, dass sie Party sein wollten. Das wären immerhin gute Aussichten für weniger fossile Altlasten wie mich.