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Kultur

Auf verlorenem Posten

Philipp Graf erzählt mit der Lebensgeschichte von Leo Zuckermann über den Holocaust als Leerstelle in der kommunistischen Bewegung

  Auf verlorenem Posten | Philipp Graf erzählt mit der Lebensgeschichte von Leo Zuckermann über den Holocaust als Leerstelle in der kommunistischen Bewegung  Foto: Christiane Gundlach

Als im Juni-kreuzer der 100. Todestag von Franz Kafka die Titelgeschichte lieferte, zierte das Cover ein Kafka-Porträt vom Hallenser Künstler Willi Sitte (1921–2013). Was ganz sicherlich nicht typisch für die Kafka-Feierlichkeiten war und ist. Als spannend daran stellte sich neben der Darstellung von Kafka die Entstehungszeit und der Grund für das Porträt dar: Sitte malte es 1966/67 für einen privaten Auftraggeber – Rudolf Zuckermann, damals Professor für Kardiologie an der Uni Halle. In einer jüdischen Familie 1910 in Elberfeld geboren, emigrierte er nach 1933 nach Paris, war als Arzt Mitglied der Thälmann-Brigade im Spanischen Bürgerkrieg. 1941 verließ Zuckermann gemeinsam mit seiner Familie und seinem Bruder Leo und dessen Familie Europa in Richtung Mexiko, war dort mit Diego Rivera und Frida Kahlo befreundet, arbeitete im weltweit ersten kardiologischen Institut in Mexiko-City. Nach Europa kehrte er 1953 zurück, wurde in Prag verhaftet, unter Verdacht, Teil einer jüdischen Verschwörung zu sein. Nach Monaten im Gefängnis von Berlin-Hohenschönhausen und Arbeitslosigkeit erhielt Zuckermann 1955 eine Stelle an der Uni Halle – und stand in regem Kontakt zum Kunstfeld, sammelte Kunst. Er starb 1995 in Berlin, wo sein Grab sich auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee befindet, schräg hinter dem von Stefan Heym.

Das nicht weniger bewegte Leben seines zwei Jahre älteren Bruders Leo, studierter Jurist und KPD-Mitglied, erzählt Philipp Graf in seinem Buch »Zweierlei Zugehörigkeit. Der jüdische Kommunist Leo Zuckermann und der Holocaust«. Dabei handelt es sich um die überarbeitete Habilitationsschrift, die Graf 2022 an der Uni Leipzig einreichte. Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur »Simon Dubnow«.

Auf dem Cover des Bandes schaut Leo Zuckermann sehr staatsmännisch in die Kamera, hält einen Stift bei der Korrektur eines Textes, im Hintergrund zeichnet sich eine gediegene, repräsentative Zimmerlandschaft mit Verandatür und pompös verziertem Spiegel an der Wand ab. Dabei handelt es sich um die offizielle Aufnahme »Porträt des Staatssekretärs Dr. Leo Zuckermann«, aufgenommen von Abraham Pisarek im Schloss Schönhausen in Berlin 1950. Schloss Schönhausen – hier lagerten die Nazis 1938–41 Kunstwerke ein, um sie in der Wanderausstellung »Entartete Kunst« zu diffamieren. Nach der Gründung der DDR 1949 befand sich im Schloss der Amtssitz von Präsident Wilhelm Pieck. Zwei Jahre zuvor erschien in der Zeitschrift Die Weltbühne Zuckermanns Artikel »Restitution und Wiedergutmachung«, in dem er die Entschädigung zur Rückgabe des geraubten jüdischen Vermögens einforderte. Es ging dabei um ein Wiedergutmachungsgesetz, das er im Auftrag der SED erarbeitete. Zudem machte er sich für einen jüdischen Staat in Palästina stark.

Leo Zuckermann flüchtete 1952 – in der Tschechoslowakei fand zeitgleich der Slánský-Prozess statt, in dem 14 führende Mitglieder, davon 11 jüdische, der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei der trotzkistischen-titonistischen-zionistischen Verschwörung angeklagt und später mehrheitlich zum Tode verurteilt und ermordet wurden – gemeinsam mit seiner Familie zuerst nach Westberlin und dann ein zweites Mal nach Mexiko, baute dort eine internationale Buchhandlung auf und sah seinen Bruder bis zu seinem Tod 1985 nicht mehr wieder.

Philipp Graf zeichnet in drei Kapiteln – Neutralisierung von Herkunft (1908–1939), Wiederaneignung von Herkunft (1940–1947) sowie Politischer Spielraum in der »Zwischenzeit« (1947–1953) – einerseits das Leben von Leo Zuckermann nach. Andererseits zeigt er damit auch auf, »weshalb dem Holocaust in der kommunistischen Bewegung für die längste Zeit nur der Platz einer Leerstelle zukam«.

Indes zeigt das Buch sehr deutlich anhand der konkreten Lebensgeschichte die Auswirkungen des Holocausts wie auch des Antisemitismus nach 1945 und die immensen Probleme, in dieser Zeit als Kommunist und Jude zu leben.

Was es auch in einer Stadtgesellschaft konkret bedeutet, wenn der Holocaust und die jüdischen Opfer als Leerstelle existieren, führt Graf in seinem Buch »Ausgeschlagenes Erbe. Die jüdische Geschichte Halberstadts in der DDR« aus, das 2025 erscheinen wird.


> Philipp Graf: Zweierlei Zugehörigkeit. Der jüdische Kommunist Leo Zuckermann und der Holocaust. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2024. 356 S., 45 €


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