3.007 Kinder sind letztes Jahr in Deutschland vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben. Sie werden Sternenkinder oder Schmetterlingskinder genannt. Etwa jede dritte Frau erlebt mindestens eine Fehlgeburt, meldepflichtig sind sie allerdings erst ab der 24. Schwangerschaftswoche, also gibt es eine Dunkelziffer. Seit 2013 können Eltern ihre Kinder zumindest unabhängig vom Geburtsgewicht bestatten lassen. Um daran zu erinnern, dass auch diese Kinder ihre Spuren in der Welt hinterlassen haben, steht dieses Jahr zum ersten Mal einen Sternenkinderbaum in Leipzig. An dem Weihnachtsbaum, der vom Restaurant im Volkshaus zur Verfügung gestellt wurde, können Eltern Anhänger mit den Namen oder Daten ihrer Kinder befestigen. Die Leipzigerin Janina Scheffler hat die Aktion initiiert.
Wie entstand die Idee eines Sternenkinderbaums für Leipzig?
Im März 2022 ist unser Sohn Louis noch im Mutterleib verstorben und wurde still geboren. Die Advents- und Weihnachtszeit ein halbes Jahr später wäre die erste zu viert gewesen, gemeinsam mit unserer älteren Tochter. Wir haben uns die Zukunft natürlich anders vorgestellt und hatten deshalb Angst vor dieser Zeit. Durch Zufall haben wir von einem Sternenkinderbaum in Österreich erfahren. Das hat uns den Mut gegeben, so eine Aktion auch in München zu initiieren, wo wir wohnen. Da ich gebürtige Leipzigerin bin, war es mir wichtig, auch hier einen Baum aufzustellen.
Wie hilft der Baum bei der Verarbeitung des Verlusts?
Der Baum macht die Kinder sichtbar. Jeder Anhänger steht für ein Kind, das gestorben ist, aber seine Spuren in dieser Welt hinterlassen hat. Denn das ist immer noch ein sehr tabubehaftetes Thema. Kinder versterben, aber sie dürfen nicht totgeschwiegen werden. In München hängen inzwischen 100 Anhänger, in Leipzig schon 60. Der Baum soll Verbundenheit demonstrieren, er zeigt anderen: »Ihr seid nicht allein«. Und das hilft.
Wieso wird über das Thema öffentlich nicht mehr gesprochen?
Dass Kinder vor der Geburt sterben, findet oft im Verborgenen statt. Als wir über Louis’ Tod gesprochen haben, haben sich plötzlich viele Menschen im Bekanntenkreis geöffnet und von ihren Erfahrungen und Fehlgeburten berichtet. Es ist oft eine große Scham dabei, als Frau kein gesundes Kind auf die Welt bringen zu können. Vielen Menschen ist die Tragweite der Situation gar nicht bewusst, weil es so wenig greifbar ist. Das habe ich selbst gemerkt. Man kann sich so einen Verlust gar nicht vorstellen, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat.
Was hilft Eltern in so einer Situation?
Ein Umfeld, das einfühlsam ist und aktiv auf einen zugeht. Man ist so gefangen in seiner Trauer, dass oft die Energie für die alltäglichen Dinge fehlt. Unsere Freunde haben zum Beispiel für uns eingekauft. Zuhören ist wichtig, genauso wie einfach da sein.
Oft herrscht eine große Unsicherheit. Wir haben leider einige unpassende Kommentare gehört, zum Beispiel, dass wir ja noch unsere Tochter hätten. Aber man würde doch beim Tod der Oma auch nicht sagen: »Du hast ja noch den Opa«! Unsere Krankenkasse hat uns freudig zur Geburt von Louis gratuliert, weil das der Standardprozess war. Als die Sachbearbeiterin dann gemerkt hat, dass es eine stille Geburt war, hat sie mir nicht mal ihr Beileid ausgesprochen.
Was raten Sie betroffenen Eltern?
Sie sollten den Mut haben, sich Unterstützung zu suchen. In den meisten Städten gibt es Sternenkinder-Sprechstunden oder Gruppen. Die werden oft von Betroffenen geleitet. Da sieht man auch: Die leben ihr Leben. Es geht also irgendwie weiter.
> Der Sternenkinderbaum steht noch bis zum 27. Dezember vor dem Volkshaus. Im Restaurant gibt es eine Box mit Anhängern und Stiften zum Beschriften. Das Angebot ist für alle offen, auch fertige Anhänger können mitgebracht werden.
> Eine Übersicht mit Unterstützungsangeboten für Betroffene in Leipzig gibt es hier.
> Auch in anderen Städten gibt es Sternenkinderbäume. Eine Übersicht gibt es hier.