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»Ich möchte mich bei Leipzig bedanken«

Der Chemnitzer Künstler Jan Kummer über Segen und Fluch, in einer Kulturhauptstadt zu leben

  »Ich möchte mich bei Leipzig bedanken« | Der Chemnitzer Künstler Jan Kummer über Segen und Fluch, in einer Kulturhauptstadt zu leben  Foto: Mark Frost

Überdimensionale Kronkorken bilden die drei Figuren, die an Micky Maus erinnern und damit auch an die gängige Bastelpraxis in der DDR, Westprodukte mit den vorhandenen Materialien nachzubauen. Seit Dezember steht das Ensemble »Heimat Ensemble II« in Gersdorf auf dem Purple Path der Kulturhauptstadt Chemnitz. Geschaffen hat es Jan Kummer, 1965 in Weimar geboren, bildender Künstler und Musiker (AG. Geige), seit Jahrzehnten zentrale Figur des Chemnitzer Kulturlebens, woran seine Kinder mit den Bands Kraftklub und Blond anknüpfen. Ab Januar ist in der Chemnitzer Galerie Borssenanger Kummers Ausstellung »Rauchende Tiere – Malerei und Objekte« zu sehen. Dort haben wir ihn getroffen.


Worauf im Kulturhauptstadt-Programm freuen Sie sich besonders?

Ach, ich freue mich wie jedes Jahr auf das Kosmos, das Kunst-Kultur-Demokratie-Festival – weil es eine moderne Form eines Stadtfestes ist und etwas sehr in die Zukunft Gerichtetes. Und was so langsam in Vergessenheit gerät: Es ist eine Fortsetzung von »Wir sind mehr« und dem Kosmonaut-Festival. Ansonsten lasse ich mich wie die Auswärtigen überraschen.

Das »Institut für Ostmoderne«, zu dem Sie gehören, wird im Herbst ein Festival und eine Ausstellung organisieren, die sich mit Beton und dem Plattenbau beschäftigen. Wieso, weshalb, warum?

Das große Neubaugebiet von Chemnitz – »Fritz Heckert« – ist 2024 fünfzig Jahre alt geworden. Es gibt da zum einen die Sorge, dass wichtige Stücke aus der Moderne des Sozialismus verloren gehen. Zum anderen – und das kennt man ja aus jeder ostdeutschen Stadt, aber auch aus westdeutschen und anderen europäischen Städten –, dass viele Beton-Bauwerke der 60er und 70er Jahre stiefmütterlich behandelt werden. Hier in Chemnitz war zum Beispiel der Busbahnhof mit seinem Experimentaldach und seiner interessanten Architektur akut gefährdet. – Das war der Auslöser, um sich damit zu beschäftigen. Der Fokus liegt auf der Moderne dieser Zeit und Beton als Baustoff in all seinen Facetten. Dazu wird es eine relativ breit aufgestellte Ausstellung geben und einen musikalischen Teil, in dem sich Musiker und Bands mit dem Thema Beton beschäftigen, zudem erscheint auch ein Tonträger. Um das Selbstwertgefühl der Chemnitzerinnen und Chemnitzer, speziell der Heckert-Gebiet-Bewohner ein bisschen zu heben, gibt es noch die Wiederentdeckung eines Nationalgebäcks: die Chemnitzer Platte in Form eines WBS-70-Plattenbaus, maßstäblich verkleinert auf Keksformat.

So naiv bin ich nicht. Das ist ein Prozess, lang und zäh. Da braucht man Geduld. So was wie die Kulturhauptstadt ist ein Baustein, um eine Stadt etwas nazifreier oder etwas freier von Spießertum und dumpfem Populismus zu halten. Alles, was Kultur und Kunst verbreitet – oder um es ganz schlicht zu sagen: Etwas Frohsinn hilft da. Die rechtspopulistischen Sachen, die man in Sachsen kennt, sind nicht durch gute Laune und Zukunftsoptimismus gekennzeichnet. Man muss sich nur mal montags die Demos hier angucken: Mundwinkel nach unten, Landknechtstrommeln. Für Pro Chemnitz stellt die Kulturhauptstadt etwas ganz Unangenehmes dar – die brauchen schlechte Laune.

Ein Programmpunkt für 2025 besteht im Feiern der »osteuropäischen Mentalität«.

Man weiß nicht, was hinter dem Begriff stehen soll. Osteuropa ist der Ursprungsgedanke überhaupt für Europa. Das wurde immer unterschätzt und in Richtung Westeuropa verdrängt. Das hat für mich jetzt nichts Negatives. Für mich sind die osteuropäischen Sachen oft viel interessanter, weil nicht so glattgebügelt.

Vielen Dank fürs Interview …

Ich möchte mich bei Leipzig bedanken, dass es sich nicht auch als Kulturhauptstadt beworben hat. Leipzig hat damals relativ schnöselig gesagt: »Wir haben genug Kultur, wir brauchen keine Kulturhauptstadt.« Ob das jetzt so schlau war, weiß ich nicht.


INTERVIEW: BRITT SCHLEHAHN

> Mehr Informationen unter www.institut-ostmoderne.de


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