Wut auf die Regierung, Schuld, selbst nicht genug zu tun, Angst vor dem Klimakollaps und Aktivismus-Burnout – längst hat die Klimakrise auch unsere Emotionen eingeholt. Karen Hamann forscht dazu, wie Psychologie Menschen helfen kann, sich langfristig im Klimaschutz zu engagieren. Wir haben mir ihr über ihr aktuelles Buch gesprochen, das Forschende und Laien informieren, aber auch Aktivistinnen und Aktivisten unterstützen möchte.
Im Buch »Klimabewegt: Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement« zeigen Sie Strategien gegen die Klimakrise auf. Warum haben Sie darin den Fokus aufs Kollektiv gelegt?
Ich habe 2016 mit anderen ein Buch zur Psychologie des privaten Klimaschutzes veröffentlicht. Uns war damals schon klar, dass wir auch etwas zum kollektiven Verhalten schreiben möchten. Da gibt es derzeit noch wenige psychologische Lehrbücher. In der Klimabewegung wurde die Einsicht immer stärker, dass unsere privaten Handlungsräume limitiert sind und sich Strukturen verändern müssen. Die kollektive Ebene ist extrem wichtig, wenn man Gesellschaften wirklich transformieren möchte.
Welche Erkenntnisse aus der Psychologie spielen eine Rolle?
Das Wissen darüber, wie genau man Menschen dazu motiviert, diesen strukturellen Wandel anzugehen. Beispielsweise darüber, was sie anregt, zu protestieren. Auch kann die Psychologie helfen, Kampagnen effektiver und attraktiver zu gestalten. Oft wird mit Psychologie argumentiert, um zu sagen: Menschen können sich verändern, deswegen haben sie die Verantwortung, sich als Individuen zu verändern. Aber wir wissen auch klarer denn je, wie schwierig es ist, das menschliche Verhalten zu verändern, wenn sich weder die physischen Umgebungen noch das soziale Umfeld – die Strukturen – mit ändern.
Mit Psychologie und Klima wird oft »Klimaangst« assoziiert, Greta Thunberg sagt: »Ich will, dass ihr in Panik geratet«. Sie aber sagen: »Um aktiv zu werden, braucht es mehr als Angst.«
Klimaangst wird in der Psychologie unter zwei verschiedenen Strängen gehandelt. Ein Strang fragt die Menschen explizit, ob sie Angst vor der Klimakrise haben. Das bejahen sehr viele, vor allem Jugendliche. Die Klimakrise ist so weit fortgeschritten, dass Angst natürlich ist. Ein anderer, neuerer Strang wiederum schaut sich Klimaangst mit einem klinischeren Fokus an. Da geht es nicht nur um gefühlte Angst, sondern auch um Auswirkungen auf das Verhalten, den Schlaf und die Konzentration. Da sind die Raten nicht so hoch, was aber nicht verwunderlich ist, da die Klimakrise hierzulande aktuell noch nicht so stark spürbar ist.
Beide Stränge zeigen, dass Klimaangst nicht unbedingt lähmend ist. Vielmehr muss man sich die Bedingungen und das Zusammenspiel mit anderen Emotionen anschauen. Wenn etwa Angst und Wut gleichzeitig wirken, scheint Angst weniger relevant zu werden und Wut zum Haupttreiber – beispielsweise von Protest. Also werden diejenigen, die ängstlich, aber nicht wütend sind, eher nicht zum Protest gehen. Wenn ich Angst habe und mich gleichzeitig wirksam fühle, dann ist die Handlungsbereitschaft am höchsten. Daher hat Klimaangst durchaus ihre Berechtigung und ich finde es auch gut, dass sie jetzt mehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, da sie viele Menschen zu bewegen scheint.
Wird im öffentlichen Diskurs über das Klima zu alarmistisch kommuniziert?
Das versuchen wir schon seit langem aus der Psychologie herauszutragen: Auch wenn Angst eine treibende Kraft sein kann, kann sie ihre Wirkung verlieren, wenn man nur damit konfrontiert wird. Ich finde es erstaunlich, wie viele Filme es gibt, in denen die Klimakatastrophe in 85 Minuten und die Lösungen in fünf Minuten präsentiert werden. Danach denkt man sich: Na danke, das gibt mir vielleicht einen winzigen Funken Hoffnung, aber bei weitem nicht genug Empowerment, und ich muss mich vielmehr erstmal von dem Film erholen.
Wie ordnen Sie die »Klima-Emotion« Schuld ein?
In Aktivismuskreisen ist Schuld laut Interviewstudien ein riesiges Thema, das oft zum Ausbrennen führt, weil die Leute das Gefühl haben, nicht genug zu tun. Auch gibt es teilweise eine Art Schuldkultur in solchen Organisationen, zum Beispiel dass man komisch angeguckt wird, wenn man eine unökologische Marke trägt. Hier ist Schuld kontraproduktiv, da sie der psychischen Gesundheit schadet. Wir brauchen angesichts der riesigen Aufgabe vor uns eine resiliente Bewegung und können uns eigentlich nicht leisten, dass Leute ausbrennen. Schuld ist aber insofern eine valide Emotion, weil sie – positiv gewendet – auf ein Verantwortungsgefühl hinweist. Im privaten Klimaschutz brauchen wir häufig ein leicht »schlechtes Gewissen«, um uns für die nachhaltigere Alternative zu entscheiden. Oft stimmt da aber die Verhältnismäßigkeit mit der Effektivität des Verhaltens nicht überein: Menschen können sich schuldig fühlen, weil sie eine Avocado gekauft haben, auch wenn das im Gesamtbild super irrelevant ist.
… ja aber mit dem Kollektiven zusammenhängt.
Ja, wir sollten nicht nur den eigenen Fußabdruck in den Blick nehmen, sondern auch den Handabdruck, also wie wir diese Welt positiv beeinflussen können. Das ist ein Konzept, das in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt ist. Mein Freund zum Beispiel ist Musiker und mag elektronisches Equipment. Er macht sich oft stundenlang Gedanken, ob er sich jetzt wirklich etwas davon kaufen möchte. Ich frage ihn dann: Wäre es nicht wichtiger, dass wir uns engagieren und versuchen, Strukturen zu schaffen, in denen du dir nicht jedes Mal den Kopf zerbrechen musst, ob die Lieferketten unbedenklich sind? – Wir leben gerade in einer Welt, in der es meistens unattraktiver ist, sich nachhaltig zu verhalten. Wenn das nachhaltige Verhalten attraktiver wäre und zum Beispiel eingebettet in eine Sharing Economy oder Kreislaufwirtschaft, bräuchten wir gar kein schlechtes Gewissen.
Im Buch nennen Sie drei Hauptfaktoren für die Motivation zu Klimaengagement: Wut, die empowern kann, Identifikation mit einer Gruppe und Wirksamkeit. Warum ist die Wirksamkeit für die Klimabewegung so wichtig?
Wir würden unsere Haustür nicht aufschließen, wenn wir nicht davon ausgingen, dass es uns gelingt und wir dadurch dann die Wohnung betreten können. Wirksamkeit ist die Überzeugung, dass ich Einfluss auf die Umwelt habe. Der Wahrnehmung dieses Könnens widmen sich alle Bereiche der Psychologie, weil es ein wichtiger Baustein für ein glückliches und erfolgreiches Leben ist. Menschen erleben mehr Wohlbefinden, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen die Welt positiv und veränderbar gegenübersteht. Im Klimaschutz spezifisch gibt es zum einen die Selbstwirksamkeit, also den Glauben, dass ich als Individuum etwas zum Umweltschutz beitragen kann, und zum anderen die kollektive Wirksamkeit, dass wir als Klimaschutzgruppe etwas ändern können. Die aktuelle Forschung zeigt, dass es für langfristiges Engagement vor allem wichtig ist, sich partizipativ wirksam zu fühlen, zum Beispiel zu denken, dass mein Engagement im Nachbarschaftsgarten relevant ist und einen Unterschied macht.
Wann fühlt man sich wirksam? Und welche Strategien gibt es für Momente der Ohnmacht?
Ich würde allen ans Herz legen, sich selbst zu fragen, was ihnen in der Vergangenheit Wirksamkeit gegeben hat, weil das hochindividuell sein kann. Daran kann man sich orientieren und entsprechend öfter bestimmte Orte oder Menschen aufsuchen. Erfolg zu haben und ihn so zu deuten, dass ich dazu beigetragen habe, lässt mich fühlen, wirksam zu sein. Am wichtigsten ist es aber, ein Kollektiv zu haben, das einen wertschätzt und mit dem man sich als kompetent erleben kann. Es ist zwar extrem schwierig, eine für sich passende Gruppe zu finden, aber lohnt sich, wenn man langfristig aktiv und motiviert sein möchte. Auch ist es sinnvoll, ein Sicherheitsnetz aus Zielen zu haben. Sagen wir, es soll ein Baum abgeholzt werden, und mein großes Ziel ist, dass er nicht gefällt wird und deswegen blockiere ich mit anderen den Platz. Dann wäre es wichtig, auch andere Ziele parat zu haben: öffentlichkeitswirksam sein, eine gute Zeit miteinander haben. So können wir im Fall von Misserfolg, der im Klimaschutz häufig vorkommt, ins Sicherheitsnetz zurückfallen und uns trotzdem langfristig wirksam fühlen.
Was haben Sie beim Schreiben des Buches dazugelernt?
Am meisten habe ich von dem Kapitel gelernt, an dem ich selbst am wenigsten mitgeschrieben habe (lacht). Darin geht es um moralische Überzeugungen, aber auch um die Außenwirkung von Klimaprotest und radikalen Flanken einer Bewegung. Der aktuelle Forschungsstand dazu ist sehr gemischt. Der radikale Flankeneffekt kann zum Teil dazu führen, dass die Leute das Klimaziel mehr unterstützen, wenn sie sehen: Menschen sind bereit, viel zu opfern. Aber es wird auch schwieriger, sich mit Organisationen zu identifizieren – zum Beispiel, wenn ich bei Fridays for Future mitmache, aber Bedenken habe, von anderen mit der Letzten Generation in einen Topf geworfen zu werden. Was wir sicher sagen können, ist, dass Aktionen von einer Umweltgruppe sich auf die Wahrnehmung von anderen Gruppen auswirken. Man muss als gesamte Bewegung also sehr viel Strategiearbeit leisten und schauen, was ihr als große Gruppe am meisten nützen würde.
Was wünschen Sie sich für die Klimabewegung?
Es wäre schön, wenn wir in der Zukunft stärker unterschiedliche Rollen im Klimaengagement anerkennen. Meistens denken wir an die Leute, die auf die Straße gehen oder sich ankleben, aber es gibt auch viele andere. Wir haben im Buch eine Typologie des Aktivisten Bill Moyer adaptiert. Sie unterscheidet in erster Linie zwischen »Rebels«, die man am ehesten als Aktivist:innen wahrnimmt, »Reformers«, die vor allem im politischen und juristischen Bereich wirken, und »Changemakers«, die nachhaltige Innovationen im sozialen oder industriellen Bereich vorantreiben. Es gibt theoretisch auch noch viele weitere: Die »Educators« etwa als Bildungsreferent:innen, und Journalist:innen, die diese Themen verhandeln. Wenn wir ein breiteres Bild von Engagement haben, können mehr Menschen ihren Platz darin finden, auch Leute, die sich in großen Menschenmassen nicht wohlfühlen und deswegen nicht protestieren gehen. Für eine große Transformation braucht es viele, viele Menschen, die sich engagieren – in ihrer Freizeit, aber im besten Fall auch immer mehr beruflich, damit sie sich mit genug Energie dieser Aufgabe widmen können.
> Karen Hamann, Paula Blumenschein, Eva Junge, Sophia Dasch, Alex Wernke, Julian Bleh: Klimabewegt: Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement. München: Oekom 2024. 276 S., 25 € – PDF kostenlos hier.