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Stadtleben

»Das Lebensmittelhandwerk wird aussterben«

Sandy Richter von der Metzgerei Franz über abgeworbenes Personal, glückliche Kühe und den täglichen Preisspagat

  »Das Lebensmittelhandwerk wird aussterben« | Sandy Richter von der Metzgerei Franz über abgeworbenes Personal, glückliche Kühe und den täglichen Preisspagat  Foto: Christiane Gundlach

Zwei Filialen hat Metzger Franz: eine im Musikviertel, eine in Volkmarsdorf. Inzwischen wurden in beiden wiederholt die Öffnungszeiten reduziert. Wir haben mit der Mitgesellschafterin des Betriebs Sandy Richter über die Hintergründe gesprochen.

In der Konradstraße in Volkmarsdorf kann Ihre Kundschaft seit einiger Zeit Wurst, Fleisch und Speisen wie Gulasch im Glas am Automaten erwerben, die Filiale ist nur noch freitags geöffnet. Warum?

In der Konradstraße hatten wir die Öffnungszeiten zunächst so reduziert, dass wir Mittwoch bis Freitag von 10 bis 16 Uhr aufhatten. Damit entging uns das Geschäft am Morgen und am Abend. Wir hatten dennoch sehr lange Arbeitstage von 14 bis 16 Stunden: Wir bereiten Fleisch vor, produzieren Wurst, stellen den Mittagsimbiss für beide Filialen her, haben Caterings, müssen die Verkaufstheke herrichten. Deshalb beschränken wir uns dort auf den Freitag und konzentrieren unser Personal in der Simsonstraße im Zentrum-Süd, weil dort mehr Kundenverkehr ist.
 

Warum mussten Sie nun auch dort die Öffnungszeiten reduzieren?

Eine Mitarbeiterin hat nach über 25 Jahren gekündigt und ist zu Edeka gewechselt. Innerhalb von knapp zwei Jahren ist das die fünfte, die zu einer Lebensmittelkette gegangen ist. Drei weitere sind in Rente. In der Zeit konnten wir lediglich zwei Köche und eine Verkäuferin in Teilzeit einstellen.
 

Warum sind denn Discounter und Supermärkte so attraktiv?

Dort werden viel höhere Gehälter gezahlt. Außerdem ist unser Team kleiner, da muss man mehr präsent sein.
 

Warum zahlen Sie nicht mehr?

Wir können nicht zu so niedrigen Preisen einkaufen wie die Ketten. Weil wir kleiner sind und weil wir sehr auf die Fleischqualität achten. Deshalb möchten wir nicht in Großschlachtereien kaufen. Die sind aber weitaus billiger als unsere Lieferanten.
 

Haben sich Ihre Umsätze verändert?

Es wird schwieriger, die Umsätze reinzubekommen, die wir für die Deckung der Kosten brauchen. Das Fleischerhandwerk ist energieintensiv, die Kosten dafür sind um das Dreifache gestiegen.
 

Ist der tägliche Preisspagat die einzige Sorge derzeit?

Wenn wir Frischwurst herstellen und abpacken, dann ist die maximal eine Woche haltbar. Im Supermarkt oder im Discounter sind es bis zu vier – wegen der Konservierungsstoffe. Das könnten wir auch machen, ebenso könnten wir Geschmacksverstärker einsetzen. Machen wir aber nicht, wollen wir nicht. Es ist ein Teil des Problems, dass die Ketten die Segmente Fleisch und Wurst, Käse, Backwaren überhaupt so bedienen dürfen. Damit wird das Handwerk zerstört. Und damit werden Massentierhaltung und die Zustände in den Großschlachthöfen forciert, ebenso der Billigeinkauf: Mir gegenüber haben schon Leute die Massentierhaltung beklagt, die hatten gleichzeitig Hackfleisch von Aldi in der Tüte. Scheinbar fehlt das Verständnis dafür, wie die Tiere gehalten und geschlachtet wurden.
 

Ihr Betrieb unterscheidet sich von anderen also nicht nur handwerklich, Sie verarbeiten auch Fleisch von anderer Qualität?

Auf den Höfen, von denen wir unser Rindfleisch beziehen, stehen die Kühe auf der Weide. Klar werden die auch geschlachtet, aber nicht von einer Riesenmaschine, die bei den Tieren Panik verursacht und das Adrenalin im Fleisch in die Höhe treibt. Wir möchten das nicht, wir möchten ein guter Fleischer sein. Auch das Schweinefleisch von Sachsenglück ist nicht adrenalinverseucht, so tritt bei der Zubereitung kein Wasser aus – durch den Stress im Schlachtvorgang pumpt sich das Fleisch voll damit. Wer sich also darüber beim Fleischbraten ärgert, könnte das mit dem richtigen Fleischer vermeiden.
 

Betreffen die Schwierigkeiten, die Sie beschreiben, die ganze Branche?

Das betrifft nicht nur die Fleischverarbeitung: Das Handwerk, das Lebensmittel produziert, wird über kurz oder lang aussterben. Niemand kann zu Kaufland oder Globus gehen und sich die Dienstleistung von einem Fliesenleger, Klempner oder Elektroinstallateur kaufen. Da ist man gezwungen, zum Handwerk zu gehen. Bei der Lebensmittelherstellung ist das nicht der Fall.
 

Sind die Automaten eine Lösung?

Unsere Automaten werden gut angenommen. Aber: Auch dafür brauchen wir mehr Personal, wir kommen gar nicht hinterher, die zu bestücken. Wir könnten also auch dort mehr Umsatz haben. Zusätzlich haben wir inzwischen eine App für Vorbestellungen, die auch außerhalb der Öffnungszeiten abgeholt werden können.

 

> Metzger Franz, Konradstr. 52, 04315 (Volkmarsdorf), Fr 8–18 Uhr, Simsonstr. 8, 04107 (Zentrum-Süd), Di/Mi 10–16, Do/Fr 10–18, Sa 8–11 Uhr, www.metzger-franz.de

 


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