»Hab gehört vom Untergang
Und, dass die Welt zerfällt, aber
Was soll ich da jetzt ändern dran?«
– Bibiza, am 25.2. im Täubchenthal
Linoleum, Reinigungsmittel, Schnitzelbrötchen. Haben Sie auch noch den Geruch Ihrer Schule in der Nase? Für mich ist es genau diese Mischung. Jetzt habe ich sie gerade wieder in der Nase, als ich über meine erste Wahl nachdenke. Ist irgendjemand schon mal woanders als in einer Schule wählen gegangen? Biologiezimmer, Erdgeschoss, Haus B. Da ist jetzt auch der Geruch der Fische, die einmal nach den Winterferien alle oben schwammen, weil jemand die Pumpe im Aquarium ausgeschaltet hatte. Einer der Wahlhelfer zwinkert mir zu, es ist mein ehemaliger Banknachbar aus dem Geschichts-LK. Ich mache mein Kreuz und bin demokratiebeschwingt.
Die politische Realität in Sachsen war damals auch schon die, dass der CDU-Kandidat in meinem Wahlkreis der Einzige war, der den AfD-Bewerber schlagen konnte. Er tat es. Aber trotzdem war es eine andere Wahl, auch in meiner Generation. Fridays for Future auf der Straße brachte den Grünen bei den 18- bis 25-Jährigen 20 Prozent an der Urne. Ja, okay, genauso viele wählten damals auch schon Rechtsextreme.
In den nächsten Jahren blockieren junge Menschen auf dem Leipziger Innenstadtring Querdenker, setzen sich auf Tagebaubagger, gehen in den Knast, weil sie Nazis verprügelt haben. Kraftklub singen »Wittenberg ist nicht Paris«. Und ich mache halt Journalismus, stehe daneben. Auch als sich Aktivistinnen an Gemälde kleben. Für das Wort »Aktivisten« schilt mich die Politikredakteurin der Lokalzeitung damals.
Bei der Landtagswahl 2024 wählen 31 Prozent der 18- bis 25-Jährigen die AfD.
Letztens fragt mich ein Freund, der inzwischen in Lüneburg studiert, ob ich denn nach Riesa fahren würde. Kommilitonen von ihm würden das auch machen. Ich sage, dass dieser Demotourismus mir mies auf die Nerven geht und seine neuen Freunde mal lieber zehn Euro an eine Demokratieinitiative in Riesa spenden sollen, von dem sie vorher wahrscheinlich noch nie was gehört haben.
Nach dem AfD-Parteitag in Riesa erklärt sich der lokale Nudelproduzent für politisch neutral und verurteilt die Nutzung seines Logos durch linke Protestierende.
Am 23. Februar wählen wir den neuen Bundestag. Die Aussicht aufs Wählen macht mich nicht mehr demokratiebeschwingt, in meiner alten Schule darf ich auch nicht mehr wählen. Die Wahlergebnisse zu sehen, wird wehtun, das kann man schon ziemlich sicher sagen. Aber es nützt ja nichts. Und noch ist Deutschland nicht Österreich und die Möglichkeit eines AfD-Verbotsverfahrens scheint konkreter zu werden. Woran man sich eben so hochzieht.
In unserer Titelgeschichte – es ist die vierte zu Wahlen in den letzten zehn Monaten – stellen wir Ihnen die aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten der demokratischen Parteien vor. Möge die Macht mit ihnen sein.
LEON HEYDE
politik[at]kreuzer-leipzig.de