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Stadtleben

»Er wird es nie miterleben«

Cameron ist 16 Jahre alt, als sein Vater stirbt – ein Trauerbegleiter hilft ihm seitdem, mit dem Verlust umzugehen

  »Er wird es nie miterleben« | Cameron ist 16 Jahre alt, als sein Vater stirbt – ein Trauerbegleiter hilft ihm seitdem,  mit dem Verlust umzugehen  Foto: Christiane Gundlach

Der 25. Januar 2020, ein Samstag: An dem Tag ist mein Vater gestorben.« – Damals geht Cameron in die neunte Klasse. Seitdem ist er in Trauerbegleitung, die ihm geholfen hat, offen über den Tod seines Vaters zu sprechen. Cameron wohnt mit seiner Familie in Mockau. Dort treffen wir uns an einer Bushaltestelle. Er will eine Runde im Park gehen, wo er üblicherweise mit seinem Trauerbegleiter spazieren geht. Aber es ist kalt an diesem Januartag, und so setzen wir uns in eine Gaststätte, wo Cameron von seiner Reise mit der Trauer erzählt.

Cameron ist 20 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Tischler. Das hatte er seinem Vater so versprochen. Er ist ruhig, wirkt gelassen und spricht langsam. Nach jeder Frage überlegt er erst mal, wie er antworten möchte, um anschließend ausführlich zu berichten: 2018 bekam sein Vater die Diagnose Blasenkrebs. In seiner Schule wurde Cameron zu der Zeit unterstützt: »Die Lehrer haben Rücksicht bei Klassenarbeiten genommen. Und meine Geo-Lehrerin schlug mir vor, mit dem Erzieher aus dem Hort zu sprechen. Der sei ausgebildeter Trauerbegleiter«, berichtet Cameron. Zur selben Zeit findet seine Mutter den Wolfsträne-Verein, der Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche in Leipzig anbietet. Die ist kostenlos und kann vor, während und nach dem Tod einer angehörigen Person genutzt werden. Auch der Erzieher aus Camerons Schule gehört zu Wolfsträne.

Am Anfang treffen Cameron und er sich jede Woche. Auch in der Schule kann Cameron den Erzieher ansprechen: »Oft hat mir schon geholfen, dass wir darüber sprachen, wie es mir an dem Tag ging.« Nach seiner ersten Jugendfahrt mit dem Verein beschließt Cameron, auch die Gruppentreffen zu besuchen: »Wir besprechen dort, wie wir mit der Trauer umgehen können.« Mit den anderen Jugendlichen darüber zu sprechen habe ihm am meisten geholfen. Das sei unter Jugendlichen üblich, sagt Trauerbegleiterin Katharina Pluta, die seit drei Jahren hauptamtlich im Verein arbeitet. Sie freuen sich über den Austausch mit Gleichaltrigen, weil sie sich dann besser verstanden fühlen, so Pluta. Trotzdem sollten Jugendliche auch mit ihren Begleiterinnen und Begleitern über ihre Trauer sprechen: »Wir machen viel Beziehungsarbeit zwischen ihnen und der verstorbenen Person. Manchmal spüren die Jugendlichen Schuld, aber auch viel Schmerz. Hier sollen sie merken: Du darfst dein Leben weiterleben, aber lass einen kleinen Raum für deine Trauer«, sagt Pluta.

Cameron und seine Familie nutzen am Anfang viele Rituale, die er durch den Verein kennengelernt hat: »Beim Familienessen stand ein Bild von meinem Vater dabei und es wurde für ihn mit gedeckt – auch Essen kam auf den Teller.«

In der Gruppe bauen die Jugendlichen eine Trauerkiste, mit Initialen der verstorbenen Person sowie Geburts- und Sterbedatum. »Die Kiste steht in meinem Zimmer. Darin sind Sachen, die typisch für meinen Vater waren: Ein kleiner LKW, weil er LKW-Fahrer war, und die gezuckerte Milch, über die wir uns immer gestritten haben, wer den Rest bekommt«, erzählt Cameron grinsend. Bei ihm zu Hause wird ungern über den Tod gesprochen. »Wolfsträne ist der Ort, an dem ich darüber reden kann und wo ich meine Gefühle rauslassen kann.« Einen gemeinsamen Umgang mit dem Tod hat die Familie trotzdem gefunden: »Bei uns wird über den Tod gelacht«, erzählt Cameron. »Wir haben uns schon mit meinem Vater lustig gemacht. Da haben wir Witze gemacht, dass er jetzt nicht mehr aufs Klo muss, weil er einen Beutel trägt und deswegen zum Beispiel auch drei Stunden in der Wanne sitzen kann«, erinnert sich Cameron und schmunzelt. »Anders kann ich damit nicht umgehen. Und meine Familie auch nicht«, sagt Cameron. Das hat der Jugendliche auch mit seinem Trauerbegleiter besprochen. Der sagt, traumatische Erlebnisse dürfe man manchmal auch mit Humor bewältigen. Wenn es Cameron schlecht geht und er seinen Vater vermisst, will er für einen Moment vergessen: »Dann sagen meine Mutter und ich: Er ist gerade unterwegs mit seinem LKW und reist um die Welt.«

Seine Trauer verändere sich auch immer wieder: »Momentan kann ich nicht über meine Trauer nachdenken, weil ich mich auf meine Prüfungen fokussiere. Ich weiß aber, dass es nach der Prüfungsphase wieder schwer wird«, sagt Cameron. »Ich werde mein Gesellenstück fertigstellen, aber mein Vater wird es nie sehen. Ich werde mein Zeugnis in der Hand halten, aber mein Vater wird es nie miterleben. Das wird schwer.« Für den Augenblick schiebt Cameron seine Trauer zur Seite. »So schütze ich mich. Wenn die Trauer mich überwältigt, funktioniert gar nichts mehr.« Sein Trauerbegleiter ist in solchen Fällen für ihn da. »Ich kann ihn immer erreichen«, weiß Cameron. Bis zum Abschluss seiner Ausbildung kann er die Trauerbegleitung noch in Anspruch nehmen. Das Angebot, danach selbst Trauerbegleiter zu werden, liegt bereits auf dem Tisch.

> Wolfsträne e. V., Windmühlenstr. 41, 04107 [Zentrum-Südost], Tel. 01 76/34 53 26 20, www.wolfstraene.de


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