Aus der Zeit gefallen: Statt Leipziger Subkultur-typisch in Jogger und knalligen Neonfarben betritt Tim Mettke die Konzertbühne bevorzugt in Hemd und schlichtem Jackett. Bewegt sich seine Stimme beim Singen in höheren Tonlagen, hebt er dabei wie synchron seinen Arm, ganz so, als würde er seinem Publikum den Weg weisen. Eine große Geste, die man von den Stars und Sternchen der siebziger und achtziger Jahre kennt. Dabei raucht er eine Zigarette nach der anderen – besonders gern dann, wenn Rauchen in der Location untersagt ist. Seit Erscheinen seiner ersten EP im Jahr 2018 ist Mettke so zum Bryan Ferry des Leipziger Ostens avanciert. Wie beim dandyesken Roxy-Music-Frontmann hat man auch bei Mettke mitunter den Eindruck, dass er ein paar Dekaden zu spät auf die Welt gekommen und somit zum Fremdsein in der Gegenwart verdammt ist.
Seine Songs heißen »I don’t love anymore«, »Will the Music heal my Pain«, »Childhood Misery« oder »Chances passing by«. Es ist offensichtlich: Tim Mettke will sich nicht allzu sehr mit den Sonnenseiten des Lebens aufhalten, sondern stattdessen das machen, was er gut kann: »Ich bin sehr begabt im Leiden«, gibt er im Gespräch mit dem kreuzer unumwunden zu.
Schon in seiner Kindheit und Jugend sang der Leipziger in den Chören des Gewandhauses. Nebenher spielte er in einer Jazz-Formation. Das musikalische Koordinatensystem geriet schließlich ins Wanken, als ihm der Vater eines Freundes einen alten Synthesizer schenkte. Parallel entdeckte er die Musik von Acts wie Mac DeMarco, Molly Nilsson und Sean Nicholas Savage. Schnell war klar: »Ab jetzt will ich Popmusik machen!« Fasziniert habe ihn, wie alle drei auf jeweils unterschiedliche Weise mit wenigen, einfachen Grundakkorden wunderbar kreative Songs geschrieben hätten. Dass die Alben von Nilsson und Savage dabei äußerst bescheiden produziert sind, war für Mettke kein Mangel, im Gegenteil: »Ich fand das toll!« Und so begann er, zusammen mit seinem musikalischen Tandempartner und Toningenieur Philipp Ruoff, an eigenem Material zu arbeiten. Die ersten musikalischen Erzeugnisse waren dabei noch von einem so deutlichen wie sympathischen Lofi-Geist geprägt. Das hat sich mittlerweile grundlegend gewandelt: Das neue, kürzlich veröffentlichte Album »Will the Music heal my Pain« ist produktionstechnisch auf höchstem Level angesiedelt.
Dazu kommen höchst eingängige Songs, die ähnlich wie die seiner Vorbilder Simplizität, kompositorische Cleverness und eine unverkennbare Charakteristik vereinen. Mitunter erwecken sie dabei Erinnerungen an die großen Sophisticated-Pop-Acts der Achtziger wie etwa David Sylvian, ABC oder Prefab Sprout.
Dabei ist das neue Album nur eine Zwischenstation. Mettkes Hauptfokus liegt mittlerweile auf seinem Projekt Tim Adieu, das wie so viele andere in der Lockdown-Zeit entstanden ist. Anders als bei Veyls Mâneyr singt er dabei ausschließlich auf Deutsch – ansonsten unterscheiden sich die beiden Projekte musikalisch nur graduell voneinander: Denn auch die Songs von Tim Adieu richten den Blick in die Ferne – auf das, was nicht da und damit verloren ist. Nach der vor knapp drei Jahren veröffentlichten ersten EP »Weine nur mein Herz« sowie mehreren Singles soll in der ersten Hälfte dieses Jahres das Debütalbum erscheinen.
Bleibt abschließend die Frage, die bereits der Titel des aktuellen Albums aufwirft: Kann Musik Schmerzen heilen? »Nein«, sagt Mettke, ohne lange überlegen zu müssen. »Ich mag therapeutische Kunstansätze auch nicht besonders. Im besten Falle schafft Musik es aber, zu trösten – so wie ein guter Freund.«