Menschen in Straßenkleidung liegen nah nebeneinander und schlafen. Die Aufnahme zeigt das Nachtasyl für Obdachlose im Kirchenschiff der Leipziger Arbeitsanstalt in der Riebeckstraße 63. Aus dem Jahr 1928 stammt die Fotografie. Der Kirchenraum, der sich im oberen Geschoss des Frauenhauses befand, wurde seit 1918 als Schlafort genutzt, den 500 Menschen regelmäßig aufsuchten.
Die Fotografie ist Teil der neu eröffneten Werksausstellung »Ausgrenzung, Arbeitszwang & Abweichung«. Was zwischen der Gründung der Städtischen Arbeitsanstalt 1892 bis zur Gegenwart auf dem 28.000 Quadratmeter geschah, erforscht seit 2019 der Initiativkreis Riebeckstraße 63.
Geschichte des Ortes
1892 eröffnet die Zwangsarbeitsanstalt zu Sankt Georg in der Riebeckstraße. Eingewiesene Obdachlose, Arbeitslose und Prostituierte leisteten hier Arbeitsdienst. Nach 1933 diente die Anstalt unter anderem als Sammelstelle vor Deportationen jüdischer Bürgerinnen und Bürger. Nach 1945 war vor Ort die Psychiatrische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Leipzig-Dösen und die Venerologische Station untergebracht, auf der Frauen zwangsweise eingewiesen wurden,.
1990 lebten noch 185 Personen mit psychischen und geistigen Behinderungen auf dem Gelände. Berichte über die unhaltbaren Zustände erschienen. Im Zuge der Enthospitalisierung wurden die Gitter vor den Fenstern entfernt. Seit 1999 verwaltet der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe (SEB) den Ort.
Bis 2012 wurde die Riebeckstraße dann als Wohnheim für Menschen mit Behinderung genutzt. Aktuell befinden sich auf dem Gelände die Verwaltung der SEB, eine integrative Kindertagesstätte, eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete und ein Wohnprojekt für Jugendliche. Mit der Eröffnung der Werkstattausstellung im ehemaligen Pförtnerhaus existiert nun eine erste dauerhafte Präsentation, die allerdings auch die vielen noch zu erforschenden Zusammenhänge aufzeigt.
Aktuelle Werkstattausstellung
Originalobjekte sind in der Ausstellung nicht zu sehen, da viele nicht mehr existieren. Aus dem Grund arbeitet die Präsentation mit Kopien aus Akten, Grundrissen, Zeitungen und Fotografien. Sie sind neben und in aufklappbaren Kästen zu finden. Diese vier Kästen stehen für die unterschiedlichen Zeitepochen von 1892 bis heute. Unter ihnen können in Boxen Kopien von Akten eingesehen werden – beispielsweise von Patientinnen.
Im letzten Schrank, der für die Zeit von 1990 bis heute steht, finden sich das Buch »Die ehemalige Leipziger Arbeitsanstalt Riebeckstraße 63«, das 2020 im Hentrich & Hentrich Verlag erschien. Aus dem von Berit Lahm organisierten Podcast »Riebeckstraße 63 – Ein Ort der Erinnerung und Mahnung« sind Ausschnitte der Interviews mit Rosi Haase, Thomas Seyde und Thomas Müller zu hören, die von der Enthospitalisierung berichten.
Darüber projizierte Aussagen – unter anderem zu Wohnungslosigkeit – verbinden die historischen Objekte mit der Gegenwart und fragen nach, wie Stereotypen über wohnungs- und arbeitslose Personen auch heute noch wirken.
An der gegenüberliegenden Wand finden sich Aussagen, die im Zusammenhang mit der Geschichte und der gesellschaftlichen Stereotypisierung stehen. Per Magneten können Aussagen wie »Wer arbeiten will, findet Arbeit« oder »Verwende ich das Wort asozial?« bestätigt oder verneint werden.
Ungewisse Zukunft
Bereits die ausgewählten Fotografien, Texte und Akten zeigen, wie wichtig und notwendig die Aufarbeitung der vielen Geschichten rund um die ehemalige Arbeitsanstalt ist. Wer allerdings aktuell die Homepage der Initiative besucht, kann unter der Überschrift »Ungewisse Zukunft« auch die aktuellen Probleme nachlesen. Durch den noch nicht verabschiedeten Haushalt des Landes erhält der Verein nur einen geringfügigen Abschlag der Fördermittel, die beispielsweise die zwei festangestellten Projektstellen finanzieren. Jetzt, wo es endlich einen Raum gibt, der diesen historischen Unort aufarbeitet, fehlen die Gelder für die Vermittlung und die weitere, dringend notwendige Aufarbeitungen. Ehrenamtliche sichern derzeit die Öffnungszeiten am Donnerstag ab.
Daher bleibt zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen für den sächsischen Haushalt der wichtigen Rolle ebensolcher Orte der demokratischen Erinnerungskultur bewusst sind und deren Arbeit weiter kontinuierlich und in dem dafür notwendigen Maß fördern werden.
> »Ausgrenzung, Arbeitszwang & Abweichung. Werkstattausstellung zur Riebeckstraße 63 in Leipzig«, Riebeckstraße 63, Öffnungszeiten: Donnerstag 14-18 Uhr, www.riebeckstrasse63.de