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Politik

Ein Rettungsboot, aber noch kein sicherer Hafen

Stadtrat beschließt zusätzliche Förderung für die Kinder- und Jugendhilfe

  Ein Rettungsboot, aber noch kein sicherer Hafen | Stadtrat beschließt zusätzliche Förderung für die Kinder- und Jugendhilfe  Foto: Demo-Schild/AGFT

Montagnachmittag, 10. März. Vor dem Neuen Rathaus eine Szenerie, wie man sie bei ein paar Grad mehr eher an einem der vielen Leipziger Badeseen vermuten würde: Mehrere Hundert Erwachsene und Kinder mit Schwimmflügeln und einem aufblasbaren Einhorn haben sich auf dem Platz versammelt, ein rotes Kanu steht an den Treppen vor dem Eingang. Was nach Badespaß aussieht, ist  eine Demonstration: Unter dem Motto »Geht die Jugendhilfe in Leipzig baden?« hat die Arbeitsgemeinschaft der freien Träger der Jugendhilfe in Leipzig (AGFT) zum kreativen Protest aufgerufen, um für mehr Geld für die Kinder- und Jugendförderung zu demonstrieren – also für Jugendzentren, Streetwork-Vereine, Medienprojekte, Kinderschutz- und Familienzentren. Knapp 40 solcher Einrichtungen und Vereine sind in der AGFT organisiert.

Der Zeitpunkt der Demonstration ist wohlbedacht: Zwei Tagen späterProtestpklakat bei der Demo wird der Stadtrat den Doppelhaushalt 2025/26 beschließen und damit auch über die zukünftige Finanzierung der Kinder- und Jugendförderung entscheiden. Und diese braucht mehr Geld als der bisher vorgeschlagene Haushaltsplan vorsieht. Laut der AGFT für die Jahre 2025/26 insgesamt rund 4,6 Millionen Euro mehr. Und das vor allem, um die bestehenden Angebote aufrechtzuerhalten. Die sind wegen Mieterhöhungen, Inflation und Tarifsteigerungen teurer geworden. Kommen die geforderten Erhöhungen nicht, müssten voraussichtlich zehn bis fünfzehn Prozent der Angebote der freien Träger abgebaut werden. Beratungsangebote könnten reduziert oder Jugendzentren gleich ganz geschlossen werden. Und dass in einer Zeit, in der die Anzahl junger Menschen in der Stadt wächst und diese laut der Studie »Jugend in Leipzig 2023« zunehmend mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Daher sei man heute hier, um »nochmal ein starkes Signal zu setzen«, so Kristian Milde, ein Sprecher der AGFT und Mitarbeiter bei dem Verein RAA, der für interkulturelle Arbeit, Jugendhilfe und Schule zuständig ist. Er ergänzt: »Wir wollen uns noch gar nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn die Erhöhungsanträge nicht durchgehen.«

Mittwoch, 12. März. Der Stadtrat tagt. Nach den ersten eineinhalb Stunden der über achtstündigen Sitzung geht es um die Kinder- und Jugendförderung. Eingebracht hat den entsprechenden Antrag der Jugendhilfeausschuss, in dem er sich der Forderung der AGFT anschließt. Nach einer hitzigen Debatte folgt die Abstimmung. Nur Linke, Grüne und das BSW stimmen für den Antrag und die Erhöhung um 4,6 Millionen Euro. Zusammen mit CDU, AfD, Teilen der Freien Fraktion und den Fraktionslosen stimmt auch die SPD dagegen. Stattdessen geht ein Kompromissvorschlag von SPD, Linke und Grüne durch, dem auch das BSW zustimmt: Eine Erhöhung der Förderung um insgesamt 3,7 Millionen Euro, also 900.000 Euro weniger als vom Jugendhilfeausschuss und der AGFT gefordert.

Die Tage nach der Entscheidung. Die Stimmung in der Kinder- und Jugendförderung – erleichtert. Es hätte viel schlimmer kommen können. Wieder Kristian Milde: »Wir sind sehr dankbar, auch wenn nicht die volle Höhe durchgegangen ist. Aber die Bestandhaltung der Angebote ist gesichert.« Zur Bestandshaltung reicht die geringere Summe aus, die letztlich beschlossen wurde. Deswegen habe auch die SPD-Fraktion dem ursprünglichen Antrag des Kinderjugendausschusses nicht zugestimmt: Dieser sei zu hoch gewesen. In Anbetracht der Verdopplung der Gelder für die Jugendhilfe in den letzten zehn Jahren sei die Botschaft an die freien Träger gewesen: »Begrenzt euch selbst ein Stück weit«, wie es ein SPD-Fraktionsmitglied ausdrückt, das nicht namentlich genannt werden möchte.

Auch Thomas Farken ist zufrieden. Er ist Mitglied im Jugendhilfeausschuss und Geschäftsführer vom Geyserhaus, das in der AGFT organisiert ist: »Es ist ein gutes Ergebnis für die Jugendhilfe. Keine Einrichtung muss geschlossen werden.« Allerdings lasse die beschlossene Summe keinen Spielraum für neue Projekte oder mehr Stunden für Sozialarbeiter in Jugendtreffs. Allein der Status quo kann gehalten werden, was »natürlich nicht« ausreiche, so Farken: »Der Bedarf an Kinder- und Jugendförderung ist immer größer. Aber dann bräuchte man noch zwei Millionen Euro mehr. Das ist nicht zu stemmen für die Kommune.« Die Kinder- und Jugendförderung in Leipzig – sie ist an diesem Mittwoch nicht baden gegangen, der Einsatz der freien Träger hat sich ausgezahlt.


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