Manchmal geht es am Ende ganz schnell: Noch zweimal müssen alle auf ihre kleinen, schwarzen Abstimmgeräte drücken, dann stehen die Leipziger Milliardenhaushalte für 2025 und 2026. Nach Monaten der Verhandlungen im Finanzausschuss und einer Mammutsitzung des Stadtrats ist um 22:02 Uhr endlich Feierabend im Neuen Rathaus. Etwa 2,8 Milliarden Euro wird die Stadt in diesem und im nächsten Jahr jeweils ausgeben. Dazu leiht sich Leipzig rund 400 Millionen Euro jährlich, um in Schulen, Straßen oder das Naturkundemuseum zu investieren.
Gegenüber Land und Bund hat Leipzig nun die Nase vorn. Während man im Dresdner Landtag noch nach einer Mehrheit für einen Haushalt sucht, gibt es in Berlin noch nicht einmal eine neue Regierung. Für die Leipziger Finanzplanung keine einfache Situation, weil in vielen Fällen noch unklar ist, mit welchen zusätzlichen Geldern man rechnen kann – und mit welchen vielleicht nicht mehr.
In den letzten Monaten hatte Finanzbürgermeister Torsten Bonew immer wieder vor diesen Risiken gewarnt. Auch heute appelliert er zu Beginn der Sitzung noch einmal an den Stadtrat. »Es geht heute um viel für diese Stadt«, sagt Bonew und hofft auf ein »vertretbares« Haushaltsdefizit. Am Ende werden es etwa 60 Millionen, die im beschlossenen Doppelhaushalt eigentlich fehlen. Damit ist Bonew zufrieden. Über ein Haushaltssicherungskonzept könne man diesen Fehlbetrag in den nächsten drei Jahren abbauen. Wo dann eingespart wird, muss an einem anderen Tag entschieden werden. Es kann allerdings noch bis zum Frühsommer dauern, bis der Doppelhaushalt freigegeben wird.
Neue Mehrheiten
Heute ist der neue Rekordhaushalt für viele der müden Gesichter aber erstmal ein Grund zur Freude. Wenn in der Vergangenheit die Zukunft der Stadt Leipzig auf den Tisch kam, konnte bisher viel verteilt werden. Doch die Zeit hoher Einnahmen und klarer Mehrheiten, sie ist vorerst vorbei. Dass es mit dem neuen Stadtrat keinen rein rot-grün-roten Haushalt mehr geben würde, war bereits vorher klar. Linke, Grüne und SPD hatten sich daher die CDU ins Boot geholt, um nicht alle der über 400 Änderungsanträge des von der Stadtverwaltung vorgelegten Haushaltsplans auf der Tagesordnung einzeln abstimmen zu müssen.
Schon im Finanzausschuss hatten sich die vier Fraktionen ein großes Antragspaket geschnürt, dem sie nun geschlossen zustimmen. Schön verpackt sind das etwa die Sanierung von Gehwegen (Antragstellerin: SPD) und Straßendecken (CDU), ein Budget für Klimafolgenanpassung (Grüne) oder die Vergünstigung des Deutschlandtickets für Leipzig-Pass-Inhaber (Die Linke). Wer einen Zweitwohnsitz in Leipzig hat, muss darauf künftig mehr Steuern zahlen (BSW) und wer vom Ikeaeinkauf zurückkommt, könnte bald von einer Löwenskulptur begrüßt werden (Ortschaftsrat Rückmarsdorf).
Es ist ein Leipziger Allerlei, das heute auf der Speisekarte steht. Es geht um Handschwengelpumpen und Hausaufgabenhefte, um Wildvögel und das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal. Für dieses wünscht sich das BSW einen Bürgerentscheid, der Rat tut ihm diesen Gefallen jedoch nicht.
Ein Monsterpaket von fast 200 Anträgen wird im Bündel abgelehnt und verschwindet in der Versenkung. Darunter Kürzungsanträge der CDU für die DOK-Filmwoche, das euro-scene Festival oder das Conne Island. Auch der BSW-Antrag, der Ende des letzten Jahres massive Kritik hervorgerufen hatte, weil er bei Nato, Werk 2 und Conne Island kürzen wollte, fällt so fast unbemerkt durch.
Die freie Kulturszene kann heute so oft aufatmen, dass sie aufpassen muss, nicht zu hyperventilieren. Schon vor der Sitzung hatte die Initiative Leipzig plus Kultur vor dem Sitzungssaal erneut protestiert. Als es auf Antrag von Linken, Grünen und SPD zur Abstimmung über die Kompensation gestiegener Kosten und eine Basisförderung für die freie Szene sowie mehr Geld für die Erinnerungskultur kommt, springt die Freie Fraktion ein. Der Antrag kommt durch. »Ein Grund zu feiern«, schreibt Leipzig plus Kultur hinterher. Als Juliane Nagel kurz vor der Abstimmung versehentlich die ersten Refrainzeilen von Sias Hit »Unstoppable« laut auf dem Handy abspielt, freuen sich auch die benachbarten Fraktionen. »Gute Wahl«, ruft Paula Piechotta von den Grünen. Nagel, etwas peinlich berührt, fasst sich schnell wieder. »Für die gute Stimmung«, sagt sie und stellt ihr Handy wieder leise.
Fehlende Mehrheiten
Wie dagegen fehlende Absprachen gemeinsame Anliegen zunichtemachen können, zeigen SPD und Linke mit ihren Anträgen zu Erziehungs- und Familienberatungsstellen. Während die Linke lieber die bestehende Beratung stärken will, verhindert die SPD mit ihren Stimmen die zusätzlichen Ausgaben. Als im Anschluss Stadträte von Grünen, SPD und Linken mit dem nächsten Antrag eine Beratungsstelle im unterversorgten Leipziger Nordosten aufbauen wollen, stimmt die SPD zu. Jetzt sind es unter anderem die Stimmen der Linken, die den Antrag verhindern. Die Grünenfraktion stimmt beiden Anträgen zu – und reibt sich verwundert die Augen ob dieser undurchschaubaren Haltung.
Einig ist man sich wieder bei der Kinder- und Jugendhilfe. Auch hier plant der Stadtrat am Ende mehr Geld ein, als die Verwaltung veranschlagt hatte. Andernfalls hätten die Freien Träger Angebote kürzen müssen. Etwas überraschend wird auch der Aufbau eines jugendpsychiatrischen Dienstes mithilfe der Stimmen des BSW beschlossen. Keine Mehrheit findet jedoch die Initiative, zwei Projekte der Kontaktstelle Wohnen fortzuführen. Dort werden Geflüchtete bei der Wohnungssuche unterstützt.
BSW und AfD bringen sich eher mit Kürzungsideen ein. Das BSW will das Referat für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz verkleinern. Weniger »Symbolik« möchte Stadtrat Sascha Jecht damit erreichen und erreicht stattdessen fast einen symbolischen Schulterschluss mit CDU und AfD. Nur weil sich AfD-Stadtrat Marius Beyer enthält, scheitert der Antrag mit 34 Ja- zu 34 Nein-Stimmen.
Die AfD legt gleich noch ein paar Ideen oben drauf: Verbrenner statt Elektroautos, weniger Geld für Demokratieprojekte und immer wieder Angriffe auf Kunst, Kultur und Klimaschutz. Als die AfD-Fraktion dem Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt Stellen streichen will, stimmt die CDU routiniert mit. Erfolge kann die AfD heute aber keine verbuchen. Und auch die anderen Fraktionen, deren Stimmen heute nur punktuell gebraucht werden, wirken unzufrieden. Sven Morlok, Fraktionsvorsitzender der Freien Fraktion ist sauer. Zum ersten Mal seit 20 Jahren sei keiner seiner Vorstöße mehrheitsfähig gewesen. Im Zustandekommen der Stadtratsmehrheiten will Morlok den »Regierungsstil von Donald Trump« erkennen. Im Gegensatz zu BSW und AfD bekommt der Doppelhaushalt letztlich doch seine Stimme.
»Diverse Mehrheiten«
Deutlich zufriedener mit sich und damit, endlich wieder mitentscheiden zu können, ist die CDU. Mit den alten Mehrheiten wären viele der christdemokratischen Projekte wohl links liegen geblieben. Vor allem über Investitionen in die Wirtschaft und die Planung neuer Eigenheimgebiete im Stadtgebiet freut sich die Union. Grünen-Fraktionschef Tobias Peter lobt den »Rollenwechsel« der CDU, die »ehrlicherweise auch einiges dafür gekriegt« habe. In die Krise hineinzusparen wäre genau das falsche Signal gewesen. Sein Pendant von der CDU, Michael Weickert, schießt dafür nun gegen Oberbürgermeister Burkhard Jung, wirft ihm »Führungsversagen« vor. Nicht der Rat habe für das Haushaltsdefizit gesorgt, sondern Jung und seine reformscheue Verwaltung.
Die Brüche zwischen Stadtrat und Stadtverwaltung, sie zeigen sich auch im Abschlussstatement der Linken. Franziska Riekewald sei heute morgen noch sauer gewesen über die intransparenten Haushaltsverfahren. »Jetzt bin ich eigentlich nur noch müde.« Seit November habe die Verwaltung Zahlen zurückgehalten oder wichtige Vorlagen erst einen Tag vor der Haushaltssitzung vorgelegt. »Das finde ich keinen ordentlichen Umgang mit dem Stadtrat.« Dennoch, so Riekewald, habe das »soziale Gewissen der Stadt Leipzig« dem Haushalt seinen Stempel aufgedrückt.
Für Jung ist es der wohl letzte mitbeschlossene Haushalt. Dieser sei die »Nagelprobe« dafür gewesen, dass ein »so diverser Stadtrat« in der Lage sei, Kompromisse zu finden. Jetzt, nach all den Mahnungen und Klagen der letzten acht Stunden klingt es wieder so, als könne Leipzig auch finanziell nichts und niemand stoppen. Im »Reigen der deutschen Städte« sei Leipzig die absolute Ausnahme. »Schauen Sie nach Dresden, schauen Sie nach Chemnitz«, fährt Jung fort. Nur ganz wenige Städte könnten so viel Nahverkehr und Kultur vorhalten und trotzdem noch in die Infrastruktur investieren. »Wir müssen uns da nicht verstecken!«