»Aufgabe der Friedensgebete bleibt es, zu informiertem und verantwortlichem Gebet aufzurufen.« So beschreibt die Nikolaikirche ihre montäglichen Veranstaltungen auf ihrer Homepage. Verschiedene Gruppen betreuen diese, damit »viele Anliegen um die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung thematisiert und im Gebet vor Gott gebracht« werden. Die Friedensgebete finden jeden Montag um 17 Uhr statt, organisiert von Gruppen wie Christen in der SPD, Omas for Future oder Aktion Kirche und Tiere. An einer dieser langjährig in der Nikolaikirche aktiven Initiativen entzündet sich nun Kritik.
»Du bist ungeplant schwanger? Denkst über eine Abtreibung nach? Du weißt nicht, wie du dich entscheiden sollst? Melde dich bei uns.« Was wie neutrale Beratung klingt, bewirbt das Angebot eines Vereins gegen Schwangerschaftsabbrüche. Doch der Verein Aktion Lebensrecht für Alle (Alfa) ist keine staatlich anerkannte Beratungsstelle. Nur diese dürfen die für einen Schwangerschaftsabbruch benötigte Beratungsbescheinigung ausstellen. Sie belegt, dass die Schwangere in einer staatlich anerkannten Stelle umfassend beraten wurde. Hilfesuchende Frauen würden damit jedoch gezielt in die Irre geführt, heißt es in einem offenen Brief an die Nikolaikirche, der von Gruppen wie der Leipziger Aidshilfe und Pro Choice sowie Einzelpersonen unterschrieben wurde, wobei insbesondere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich Soziale Arbeit der Hochschule Merseburg vertreten sind
Alfa spreche sich nämlich explizit gegen Abtreibung aus und biete keine neutrale Beratung. Zudem agiere der Verein transfeindlich und arbeite mit extrem rechten Medien zusammen, lautet ein anderer Kritikpunkt. Im offenen Brief heißt es: »Die ALfA-Vorsitzende Cornelia Kaminski beschwert sich auf Facebook, dass ›Andersdenkende von Regierungsorganen juristisch verfolgt werden und eine aggressive, lautstarke Minderheit ihr Sexualleben zur Staatsreligion erhebt‹ oder dass ›‘Frauen’‹ mit verdächtiger Beule in der Hose, ungepflegtem Langhaar und Barstoppeln zur Frau des Jahres gewählt‹ würden.« Der offene Brief endet mit: »Wir bitten Sie hiermit ausdrücklich darum, die Veranstaltung abzusagen und ein Zeichen für das Menschenrecht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung zu setzen.«
Alfa nahm auf Bitten der Nikolaikirche zur Kritik Stellung, allerdings eher indirekt. Der Verein lobt die eigene Arbeit, verweist auf Auszeichnungen. Dass sie keine anerkannte Beratung anbieten und darum auch keinen Schein für einen Schwangerschaftsabbruch ausstellen dürfen, sei transparent vermerkt: »Die Webseite vital, auf der wir über unser Beratungsangebot informieren, weist darauf hin, dass unsere Beratung eine Ergänzung zur üblichen Schwangerschaftskonfliktberatung ist, und keine Konkurrenz hierzu.« Allerdings fehlt diese Information auf der Hauptseite von Alfa. Die Transfeindlichkeit, die durch den Facebook-Post der Vorsitzenden Kaminski begründen wird, weist Alfa von sich: »Die Kritik daran, dass Frauen mit männlichen Geschlechtsorganen und männlichem, ungepflegtem Äußeren zur Frau des Jahres gewählt werden, muss Frauen erlaubt sein, zumal in diesem Post niemand persönlich angegangen wurde. Wer Frauen eine Kritik an diesem Vorgehen nicht zugesteht, agiert frauenfeindlich.« Auch arbeite man nicht mit rechten Medien zusammen.
Zumindest verlinkt Alfa auf seiner Homepage aber zu einem rechten Blog, das den angeblichen juristischen Sieg gegen das Medium Correctiv feiert. Dieses hatte im Januar 2024 mit einem Bericht über ein Geheimtreffen von unter anderem Mitgliedern der AfD, CDU und Identitären Bewegung für deutschlandweite Demonstrationen gesorgt. Alfa schreibt, Correctiv hätte »auf Grund [sic] seiner erfundenen Behauptungen zu einem Potsdamer Treffen für einen Skandal gesorgt«. Auch die verneinte Verbindung zum queerfeindlichen Netzwerk Demo für Alle wirkt schlecht begründet, da der Kalender der Alfa-Seite einen Veranstaltungseintrag der Demo für Alle enthält.
Der Vorstand der Nikolaikirche sieht in der Kritik keinen Grund, die Zusammenarbeit mit Alfa zu beenden. Auf mehrere Pressefragen des kreuzer leitete Pfarrer Bernhard Stief seine Antwort weiter, die er schon den Unterzeichnenden des offenen Briefes geschickt hatte. Alfa sei seit rund zwanzig Jahren im Rahmen der Friedensgebete aktiv, steht darin. »Mit ihr verbindet uns eine ökumenische Beziehung, da sie von der katholischen Kirche begleitet wird. Der anwesende Geistliche trägt auch die inhaltliche Verantwortung mit.« In dieser Zeit habe es noch keinen Anlass gegeben, die Mitwirkung infrage zu stellen. »Dass mitunter auch einmal in der Öffentlichkeit unterschiedlich diskutierte Thesen angesprochen werden, ist kein Grund eines Verbotes sofern nicht die Menschenwürde verletzt oder gegen die christliche Botschaft und die kirchliche Lehre verstoßen wird.« Wichtig sei, dass man einander zuhöre und ins Gespräch käme. Das Gebet mit Alfa werde am kommenden Montag stattfinden.