anzeige
anzeige
Stadtleben

Erinnern auf Augenhöhe

Im Waldstraßenviertel wurde eine Erinnerungstafel für die jüdische Pädagogin Hedwig Burgheim eingeweiht

  Erinnern auf Augenhöhe | Im Waldstraßenviertel wurde eine Erinnerungstafel für die jüdische Pädagogin Hedwig Burgheim eingeweiht  Foto: Britt Schlehahn

»Stilvolle Wohnungen 170-195 m² Wohnfläche mit gehobener Ausstattung, Parkett, Balkon, Kamin, 2 Bäder, Aufzug, Alarmanlage etc. zu vermieten« – so lautet die Aufschrift des Aushangs an der Fassade des Hauses Funkenburg- Ecke Hinrichsenstraße im Waldstraßenviertel. Die Gegend, die heute für hochpreisige Wohnungen bekannt ist, hat eine tragische Geschichte. Daran erinnert in unmittelbarer Nähe ein im Bürgersteig eingelassener Stolperstein für Erich Julius Weil (1926 in Leipzig geboren – 1942 in Auschwitz ermordet). Direkt um die Ecke hängen auf Augenhöhe weiße Gedenktafeln an der Hausfassade. Sie sind mit Porträtfotos versehen und ein Text beschreibt die Lebensgeschichten der abgebildeten Personen. In der Funkenburgstraße 16  wohnte zum Beispiel seit 1911 Ludwig Goldwasser mit seinen Eltern . 1939 flüchtete die Familie nach Palästina. Goldwasser gründete den Verein ehemaliger Leipziger in Jerusalem, in dem er bis zu seinem Tod 1979 aktiv war.

Ganz ohne Foto erklärt eine Tafel unter der Überschrift »Funkenburgstraße 15 und 16«, dass die zwei Häuser zu den 24 sogenannten Judenhäusern im Waldstraßenviertel – 50 im gesamten Stadtgebiet – gehörten. Seit 1939 existierten sie in jüdischem Besitz.Die in der Stadt befindlichen Jüdinnen und Juden mussten dort einziehen, da an anderen Orten die Mietverhältnisse aufgelöst wurden. Alle Häuser lagen in der Nähe des Hauptbahnhofs oder des  Bahngeländes, von wo die Züge nach Osten in die Konzentrationslager fuhren.

Seit 2023 gibt es diese Gedenktafeln im Waldstraßenviertel, die die AG Jüdisches Leben des Bürgervereins Waldstraßenviertel initiiert hat und deren Herstellung von jeweils unterschiedlichen Stiftungen sowie Organisationen unterstützt wird. Die Initiative bezieht sich auf das Buch »Wir waren eure Nachbarn« von Barbara Kowalzik. Das 1996 erschienene Buch beschreibt die jüdische Geschichte des Waldstraßenviertels.

Im Gegensatz zu den über 800 Stolpersteinen in der Stadt (siehe kreuzer 4/2025) hängen die Tafeln auf Augenhöhe an den Fassaden und erinnern auch an Menschen, denen die Flucht vor den Nationalsozialisten gelang.

Eine neue Gedenktafel in der Wettiner Straße 9 wurde vergangene Woche eingeweiht. Sie erinnert an Hedwig Burgheim. Geboren 1887 in Alsleben, kam sie mit ihren Eltern und Schwestern 1900 nach Leipzig. Die Familie wohnt zuerst in der Thomasiusstraße und dann in der Fregestraße 22. Hedwig Burgheim absolviert von 1911-15 ein Studium an der Hochschule für Frauen von Henriette Goldschmidt und geht 1918 nach Gießen an das Fröbel-Seminar, das sie von 1920-33 leitet. Nach der Machtergreifung der Nazis wird sie in den Ruhestand zwangsversetzt und erhält 1935 von der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig das Angebot, hier eine Haushalts- und Kindergärtnerinnenschule aufzubauen. Sie zieht in die Wettiner Straße 9, 3. Etage links und leitet mit Unterstützung von den Hauswirtschaftslehrerinnen Edith Ludwig und Frau Rubensohn die Haushaltsschule, zuerst in der Lessingstraße und dann ab Mai 1937 in der Humboldtstraße 13. Hier werden Haushaltsgehilfinnen und Kinderpflegerinnen in ein- und zweijährigen Kursen ausgebildet. Ungefähr 150 Jugendliche belegen die Kurse bis die Institution in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört wird. Danach lehrt Burgheim an der Höheren Israelitischen Schule in der Gustav-Adolf-Straße 7,ab Januar 1942 leitet sie das jüdische Altersheim in der Nordstraße. Im Februar 1943 wird sie verhaftet, in das Sammellager Große Hamburger Straße gebracht und am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie am 27. Februar 1943 ermordet wird. 

Doch vergessen ist Hedwig Burgheim nicht. In der Wettiner Straße 9 erinnert, wie auch in Gießen ein Stolperstein, an die Pädagogin. Seit 1981 vergibt Gießen außerdem die Hedwig-Burgheim-Medaille für Anerkennung und Würdigung hervorragender Verdienste um Verständigung und Verständnis zwischen den Menschen. Das 2009 in Gießen aufgestellte Denkmal in Gedenken an Hedwig Burgheim wurde in der Vergangenheit schon einige Male beschädigt. In Leipzig erinnert auf dem Alten Israelitischen Friedhof in der Berliner Straße der Grabstein ihrer Eltern an die in der Familie Ermordeten. Neben Hedwig Burgheim an ihre Schwester Martha und deren Mann Max Kralovitz sowie ihre Nichte Annemarie. Einzig der Neffe Rolf Kralovitz (1925-2015), für den in der Fregestraße 22 eine Gedenktafel hängt, überlebte das KZ Buchenwald. Er initiierte nach 1990 eine Reihe von Projekten, die sich mit der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Leipzig beschäftigen – unter anderem gab er gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Kralovitz das von Andrea Dilsner-Herfurth geschriebene Buch »Hedwig Burgheim. Leben und Wirken« (Leipzig, 2008) heraus.

Seit 1996 erinnert außerdem eine sehr kurze Straße in Gohlis-Nord an Hedwig Burgheim. Auf dem Straßenschild steht zur Erklärung neben ihrem Namen lediglich »1884-1943, Fröbelpädagogin«. In der Straße findet sich außerdem der Hedwigshof – ein Pflegeheim.


Kommentieren


0 Kommentar(e)