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Kultur

Katalysatoreffekt

Das Katapult-Festival zwitschert trilateral von Zukunft und Verschwundenem

  Katalysatoreffekt | Das Katapult-Festival zwitschert trilateral von Zukunft und Verschwundenem  Foto: Bingowings/Mim Schneider


Das Jahr 2021 sehen viele als eine Art Stunde null der Kultur an. Vorsichtig, ganz vorsichtig konnte man wieder etwas vor und mit Publikum machen. Es war wieder so etwas wie Live-Kultur jenseits digitaler Räume möglich. Um Verpuffungen zu vermeiden, wurde ein Festival mit Katalysatoreffekt ins Leben gerufen: Katapult bringt seitdem Stadttheater und Freie Szene zusammen, in diesem Jahr zum dritten Mal.

Die Residenz am Schauspiel, die Schaubühne Lindenfels und das Lofft haben in einer gemeinsamen Aktion das Modellprojekt ausgerufen: Katapult ist als Produktions- und Netzwerkplattform konzipiert, um die sonst fragmentierte Leipziger Performanceszene zusammenzubringen. Das Verfahren hat sich etabliert, diesmal konnten sich auch Akteurinnen und Akteure von außerhalb der Stadt bewerben. Wichtig dabei: Abwechslung und Ansätze jenseits gängiger Wege. Installation und bildende Kunst, Musikperformances sowie Tanzstücke sollen für Austausch sorgen. Eine aus den drei beteiligten Häusern gebildete Jury hat sechs Projekte ausgewählt. Interessanterweise ist ihnen allen gemeinsam, dass sie sich mit dem Künftigen, dem Verschwindenden und dessen Archivieren respektive Bewahren auseinandersetzen.

Mit »Chirp« erinnert Jakob Altmayer daran, dass in den letzten 45 Jahren Europas Vogelpopulation um ein Viertel gesunken ist. Nimmt der Mensch schon andere Umweltkatastrophen nicht sehr ernst, so geschieht das Vogelsterben gleichsam unter seinem Radar. Die Installation will das Publikum darauf stoßen: den Verlust sicht- und hörbar machen. Natürlich werden archivierte Vogelstimmen zwitschern, textlich und visuell angereichert ist die Situation auch.

Das Nain-Theatercolaborativ, das zuletzt mit »Das Ding in uns« den eigenen kapitalistischen Verstrickungen nachging (s. kreuzer 4/2022), erschafft einen Erinnerungsort aus der Zukunft: »Home/Not Alone« entwirft einen Blick zurück von der Utopie auf die Gegenwart. An mehreren Stationen eines Parcours nimmt das Publikum am Was-wäre-wenn-Spiel teil.

Gewinnen kann man bei Bingowings, nur wird der Preis nicht vorher verraten. Einsatz ist das eigene Leben – zumindest setzen die Spielerinnen vom Bingo-Kollektiv Leipzig ihre Leben aufs Spiel. Weil alte Leute angeblich so gern dem überschaubaren Glücksspiel frönen, nehmen die nicht mehr ganz jungen Darstellerinnen dieses als Medium, um Lebensfragen zu stellen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was wird bleiben?

Alma Toaspern und Mathias Monrad Møller vertanzen in »Plex« Spuren von antiquierter Popmusik und den aktuellen Limbo an der Aufmerksamkeitsschwelle. »Oh« vom Kollektiv Neue Sorgfalt Pom Pom Pom lädt in ein Archiv ein, das vor allem durch Leere besticht. Es geht um Oh- und Aha-Effekte: Die scheinbar freie Sicht wird nur durch Einfriedungen möglich.

Zum zeitgenössischen Zirkus ruft schließlich David Eisele aus Altenburg. Er tanzt im inneren Auge des Sturms um sein Cello herum. Tanz und Musik vereint er mit Objektmanipulationen. Musiker und Instrument werden zur Drehscheibe, auf der Dinge aufscheinen und verschwinden. Ein Stück außergewöhnliche Artistik.

Die Bandbreite der künstlerischen Ansätze ist groß, auch wenn das natürlich noch nichts über die Qualität des Festivals aussagt. Die Zugänge versprechen immerhin Originalität. »Roten Plüsch jedenfalls gibt es woanders«, steht selbstbewusst in der Katapult-Ankündigung. Und die Festivalverantwortlichen schweigen sich über ihre Leerstellen nicht aus. Was zur »Festivaleröffnung mit Tamtam und der Leipzig Underground Opera« genau zu erleben ist, war im Vorfeld nicht zu erfahren. Außer, dass es wohl etwas Kleineres wird, es vor allem um Geselligkeit mit schrägem Touch geht. Die Erwartungen sind gedämpft, aber als kostenloser Einstieg wird das schon irgendwie taugen. Man muss sich, so wiederholt sich die Plattitüde, halt einlassen können, um aussteigen zu können. Als Katalysator über die Stunde null hinaus hat Katapult in der Vergangenheit jedenfalls funktioniert. 


> Katapult – Performance-Plattform Leipzig: 13./14., 20./21.6., Schaubühne Lindenfels, Residenz im Schauspiel, Lofft
> »Opener mit Opera«: 13.6., 18 Uhr, Schaubühne Lindenfels


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