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Stadtleben

»Wir gehen nicht zurück ins Private«

Jasmin Gräwel über das Veranstalten des Christopher Street Days nach den Ereignissen um mehrere CSDs in Sachsen 2024

  »Wir gehen nicht zurück ins Private« | Jasmin Gräwel über das Veranstalten des Christopher Street Days nach den Ereignissen um mehrere CSDs in Sachsen 2024  Foto: Christiane Gundlach

Reichskriegsflaggen in Bautzen, junge Neonazis am Leipziger Hauptbahnhof: Die Bilder der letztjährigen CSDs in Sachsen gingen durch die Medien. Wie damit umgehen? Das fragen wir Jasmin Gräwel, Vorstandsmitglied und Pressesprecherin des CSD Leipzig.

Wie präsent sind die Ereignisse rund um verschiedene CSDs in Sachsen im letzten Jahr bei der diesjährigen Planung des Leipziger CSD?

Natürlich ist das im Hinterkopf und wir hoffen alle, dass der Gegenprotest von 2024 nicht das neue Normal wird. Wir wollen, dass der CSD wieder Menschen zusammenbringt, die sich austauschen und auch ein bisschen feiern können. Das gehört neben dem Protest dazu.


Wird der CSD nun politischer?

Wir haben uns noch nie als unpolitisch verstanden, sondern wollen darauf aufmerksam machen, was uns aktuell bedroht. Wenn Sie so wollen: Ja, wir sind jetzt politischer denn je. Aber wir sind schon immer einer der CSDs, der da besonderen Wert drauflegt.


Sind andere CSDs unpolitischer?

Ich unterstelle keinem CSD, dass es nur darum geht, miteinander Spaß zu haben. Es stehen immer die Forderungen unserer Community im Mittelpunkt. In welcher Form die präsent sind, das entscheidet jedes Team für sich.


Bemerken Sie da einen Unterschied zwischen CSDs im Osten und im Westen?

Wenn man diese pauschale Unterscheidung machen will: Es ist tatsächlich so, dass wir im Osten viel mehr konfrontiert sind mit Ablehnung. Als ich vor einigen Jahren mal beim CSD in Köln war, war dort die ganze Stadt auf der Straße. In kleinen Orten in Sachsen stehst du Menschen vom ganz rechten Rand gegenüber. Die wissen dann: »Aha, du gehörst auch dazu, ich weiß, wo du wohnst, und sehe dich morgen auf Arbeit.« Aber die CSDs in Westdeutschland haben mitbekommen, dass bei uns die Vorzeichen leider andere sind. Wir sind inzwischen besser vernetzt, zum Beispiel über den Verein CSD Deutschland. Die haben dort etwa im Vorfeld der Bundestagswahlen auch eine bundesweite Kampagne gemacht.

Ist durch die präsente Bedrohung die Unterstützung gewachsen?

Wir haben gemerkt, dass das manche echt noch mal motiviert zu sagen: Jetzt unterstütze ich euch erst recht! Wir versuchen, uns auch mit den CSDs im Umland auszutauschen, die zu uns einzuladen oder eine Gruppe von uns hinzuschicken.


Wie privilegiert ist man in Leipzig eigentlich noch im Vergleich zum Umland?

Allein aufgrund der Größe schon. In den letzten Jahren sind bei uns 20.000 Menschen mitgelaufen. Aber auch hier hat sich die Stimmung geändert. Wir sehen das an den Ergebnissen der Landtags- und Bundestagswahlen. Es heißt immer, Leipzig sei die Insel im blauen Meer. Aber auch hier werden Menschen in der Straßenbahn blöd angemacht, nur weil sie in einem Drag-Outfit unterwegs sind. Das ist kein Phänomen, das nur im Umland existiert, wo jeder jeden kennt.


Haben Sie als Veranstalter irgendwelche Konsequenzen gezogen aus dem letzten Jahr?

Es gibt grundsätzlich immer eine Feedbackrunde, da geht es um Themen von der Künstler:innenauswahl bis zur Sicherheit. Wir versuchen, auch mit anderen Gruppen in Verbindung zu stehen, um frühzeitig mitzubekommen, wenn sich etwa auf Telegram Gegenprotest formiert. Viele Menschen reisen aus dem Umland an und sitzen dann im Zweifel in der Bahn mit ihrer Pride Flag jemandem vom rechten Rand gegenüber. Deshalb sagen wir: Reist zusammen an! Und sonst stehen wir natürlich mit den Behörden im Austausch.


Sind denn in Sachsen CSDs nur mit einem massiven Polizeiaufgebot denkbar?

Hätten Sie mich das vor 2024 gefragt, wäre meine Antwort wohl gewesen: Das muss nicht unbedingt sein. Dass Polizist:innen in voller Montur die ganze Demo begleiten, habe ich noch nie erlebt. Aber jetzt wird es höchstwahrscheinlich zur Normalität. So blöd wie das ist, weil Menschen auch aus nachvollziehbaren Gründen Probleme mit der Polizei haben, aufgrund schlechter Erfahrungen. Gerade wenn man bedenkt, wo die Bewegung herkommt: Bei Stonewall ging es darum, sich gegen Polizeigewalt zu wehren.


Gibt es denn Alternativen?

Das würde sich dann ändern, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern. Wenn wir Mittel und Wege finden – nicht nur die queere Community, sondern alle Menschen –, uns gegen die Stimmung zu wehren, die von Parteien wie der AfD gemacht wird. Wenn die mit ihren Ideen durchkommen, geht es zuerst gegen marginalisierte Gruppen, aber dann fallen auch alle anderen.


Das Motto des diesjährigen CSD lautet »Wir bleiben hier!« – zweifeln Sie manchmal selbst daran, sich für queeres Leben in Sachsen zu engagieren?

Es gibt schon Gespräche unter meinen Freund:innen, bei denen man sagt: »Das kann nicht wahr sein, jetzt sind wir hier und alles ist blau. Wir gehen.« Das ist eine super individuelle Entscheidung. Aber wir können nicht alle einpacken. Wenn das passiert, kommen die anderen und das dürfen wir nicht zulassen. Das Motto ist eine bewusste Reaktion auf 2024. Für uns ist es keine Option, zurück ins Private zu gehen.


Sie stellen mit dem Motto auch einen Bezug zum Herbst 89 her. Ist das auch der Versuch, das Thema den Rechten wegzunehmen?

Das ist eine Lesart, war aber nicht unser Fokus. Bei uns im Plenum sind Menschen dabei, die die Friedliche Revolution erlebt haben. Die haben gesagt: Das ist doch eine gute Verbindung, die wir versuchen, herzustellen. Außerdem gibt es dieses Jahr auch eine internationale Verbindung. Unser Demotag ist der 28. Juni, der Tag der Stonewall-Aufstände, die 1969 in New York einen Wendepunkt im Kampf der queeren Community darstellten.


Was sind die diesjährigen Höhepunkte der CSD-Woche?

Wir haben über 40 Veranstaltungen dieses Jahr. Die Demo ist der Höhepunkt! Aber für uns super wichtig ist auch die Eröffnung im Rathaus. Wir ziehen die Regenbogenflagge gemeinsam hoch. Unser Botschafter Sebastian Krumbiegel ist dabei.


> Programmwoche: 20.–28.6., Demonstration & Straßenfest: 28.6., 11.30 Uhr, Augustusplatz, www.csd-leipzig.de


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