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Level Up

Wie Leipzigs Spielbranche wieder ihre Strahlkraft aus den 2000ern erreichen will

  Level Up | Wie Leipzigs Spielbranche wieder ihre Strahlkraft aus den 2000ern erreichen will  Foto: Arvey Yudi / Alexander Bönninger


In der technologiebegeisterten Universitäts- und Messestadt ballte sich das junge Talent im Spielbereich. Das Potenzial für Neues war mit Händen zu greifen. Dann wurde 2002 in der Stadt ein Leuchtturm für die komplette europäische Spielbranche errichtet: die Games Convention. Die von der Leipziger Messe GmbH organisierte Fach- und Publikumsmesse für Videospiele war ein Hit. Sie wuchs auf 115.000 Quadratmeter, lockte über 200.000 Menschen an – bis sie 2009 erdrutschartig nach Köln abtransportiert wurde. Nichts blieb. Nicht einmal der Name. In Köln heißt die Messe Gamescom und bespielt inzwischen eine doppelt so große Fläche.

Die Sache mag fies gewesen sein, sie ist aber auch lange her. Wer sich in Leipzig für Games interessiert, der stößt heute auf Menschen und Organisationen, die es damals noch nicht gab: Studiengänge, Meetups,
den Verband Games & XR Mitteldeutschland oder das Gaminghaus R42, einen Doppelsprung vom Bahnhof entfernt in der Ritterstraße. Mit der Caggtus ist sogar eine kleine Messe wieder da.

Leipzig wirkt wie ein regionaler Knotenpunkt für die Spieleentwicklung, mit Strahlkraft von Halle bis Mittweida. Hier werden Talente ausgebildet, arbeiten Experten, gibt es Fachveranstaltungen, Fördermöglichkeiten und durchaus auch Spielestudios. Ist das jetzt ein Boom? Entsteht hier etwas?

Größere Probleme: Nachteile am Standort Deutschland

Wer über Games in Leipzig reden will, muss einen Blick über den Tellerrand riskieren. Kommerzielle Spiele werden auf internationalen Plattformen wie Steam verkauft. Und gehen dort wahrscheinlich unter. Über 10.000 Titel erscheinen über diese Kanäle jedes Jahr. Die erdrückende Mehrheit der Spiele verdient weit unter 10.000 Euro. Dabei kann die Entwicklung eines Games Jahre in Anspruch nehmen.

Doch weil die Hits in der Branche riesig werden können und weil das Medium finanziell alle anderen Unterhaltungsformen hinter sich gelassen hat, strahlt der Spielemarkt besonders hell. In Deutschland schielt man eher hungrig auf den großen Kuchen. »Hoffnungsvoll ist das positive Wort«, sagte Game-Verbandsvorstandschef Felix Falk, als er zuletzt auf die Lage der deutschen Branche angesprochen wurde. Und dann verwies er auf die nachweislich schlechteren Entwicklungsbedingungen für Videospiele, die in Deutschland gelten. Anderswo wird robuster gefördert, in Deutschland ist die Entwicklung eines Videospiels geschätzte 30 Prozent teurer. Die neue Bundesregierung will es besser machen, muss das Vertrauen aber auch erst aufbauen. Vielleicht ist der Zeitpunkt ungünstig; international hat die Branche zuletzt viele tausend Jobs vernichtet. Auch in Deutschland arbeiten 2025 etwas weniger Menschen bei Games-Unternehmen als im Vorjahr.

Kleinere Anfänge: Inkubator Leipzig

Trotzdem ist gerade in Leipzig in den letzten Jahren auffällig viel passiert. Nicht nur die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), sondern auch die Privatschulen SAE Institute und die Macromedia Akademie bilden einen anhaltenden Nachschub junger Fachkräfte aus. Der 2018 gegründete Branchenverband Games & XR Mitteldeutschland schüttelte lange in Form des Vorsitzenden Friedrich Lüder jede Hand und hat sich inzwischen personell breiter aufgestellt. Die Caggtus lockt mit einem Mix aus LAN-Party und Spiele-Schau jährlich immerhin fast 20.000 Menschen. Und setzt »alles daran, auch im vierten Jahr weiter zu wachsen«, wie Carsten Lorenz von der Leipziger Messe erklärt. Ausgebaut wird unter anderem der Bereich für Indie-Spiele, in dem viele regionale Studios ausstellen. Auch auf der Gamescom in Köln sind die Leipziger präsent – beim neuen Sammelstand des Freistaats Sachsen.

Caggtus Messe
Mit der Caggtus wächst wieder eine Messe in Leipzig

Nicht nur Studios netzwerken auf der Gamescom, sondern auch das Leipziger Amt für Wirtschaftsförderung. In Leipzig sei die Digitalwirtschaft ab diesem Jahr einer von drei »Innovationsclustern«, erklärt Eric Patzschke vom Amt. Das bedeute »mehr Förderung – also mehr Geld«. Seit 2018 betreut Patzschke das Gebiet und »seitdem wächst diese Branche«. Den Grund dafür sieht er vor allem bei der »sehr starken Hochschulausbildung«. Sowohl die Macromedia Akademie als auch das SAE Institute würden ihm »jedes Jahr mehrere Start-ups« liefern.

An den verschiedenen Hochschulen bildet sich dabei eine umtriebige Szene. HTWK-Absolvent Marcus Klöppel ist inzwischen Professor für Gamedesign bei Macromedia und hat das Netzwerk »Narranauten« gegründet (s. kreuzer 02/2025). Am Standort Leipzig sei man »besonders eng mit der Games-Branche verknüpft«, heißt es von Macromedia, wo man auf Events wie die »NERDICon« verweist und auf die »Central and Eastern European Game Studies Conference«, die am Campus stattgefunden haben.

Beim SAE führt der »Wachstumskurs« so weit, dass man einen neuen, moderneren Campus im Messehof in der Petersstraße errichtet hat, der bald eröffnet. »Überproportional stark wächst aktuell der Fachbereich Game Art & 3D Animation«, erklärt das Institut auf Anfrage.

Langsame Beschleunigung: Das Gaming-Haus entsteht

Ein Sammelpunkt ist auch der von Sachsen geförderte »R42 Games Accelerator«. ­Christopher Siebenhüner und Tom Potutschek haben das Mentor-Projekt initiiert. Seit 2022 seien »41 lokale und regionale Start-ups« in einem neunmonatigen Programm ausgebildet worden, erklären sie. Die Unterstützung beim Aufbau junger Unternehmen habe einen in Zahlen messbaren Impact: »Über hundert neue Jobs« seien in Leipzig und der Region geschaffen worden. Das Ziel: »Die Games-Branche hierherholen beziehungsweise mit aufbauen.« Das R42 solle ein »Leuchtturm der Games-Branche in Mitteldeutschland« werden, wer hier ausgebildet würde, auch hier einen Anschlussjob finden.

Etwas weniger begeistert klingen einige Entwickler, wenn sie informell auf die Ritterstraße 42 zu sprechen kommen. Hier entsteht das zum Kürzel passende Gaming-Haus, in dem der Accelerator, aber auch andere Branchen-Events stattfinden könnten. Doch das »neue Ökosystem der Games- und Medien-Branche« auf sieben Etagen wurde jahrelang nicht fertig. Erstmals angekündigt war die Eröffnung für »Mitte 2022«. Jetzt aber ist man fast so weit: Man stehe »in enger Abstimmung mit unserem Bauträger« und blicke »positiv den letzten Abnahmen entgegen«, so Siebenhüner und Potutschek. Ob das Prestigeprojekt seine vergleichsweise üppige Fördersumme rechtfertigen kann, muss die Zukunft zeigen. Doch den Effekt des Accelerators bewerten viele, die ihn durchlaufen haben, als sehr positiv.

Auf immer mehr Events sehen die Menschen einander, verbünden sich, teilen ihr Wissen. Es gebe einen »soliden, starken Kern« an Akteuren, sagt Entwicklerin Felicitas Brämer. Auch Solo-Entwickler Gregor Müller findet das Leipziger Netzwerk »wertvoll«. Es schaffe für ihn Austausch, Sichtbarkeit und sorge immer wieder für Inspiration. Dass er sich von lokalen Begebenheiten anstiften lässt, zeigt schon sein Spiel, das historische Leipzig-Krimiadventure »Casebook 1899«. Vom Standort wird »in den kommenden Jahren noch viel zu hören sein«, so Müller.

Screenshot aus dem Spiel Casebook 1899
»Casebook 1899«: Echte Retro-Detektivarbeit

Wer etwas von dem Wachstum miterleben will, kann einfach jeden Mai die Lange Nacht der Computerspiele an der HTWK besuchen. Über mehrere Stockwerke tummelten sich junge Firmen, Studis, Start-ups und ergraute Fans, um zu spielen und sich zu präsentieren. In den Fluren und Seminarräumen des Lipsius-Baus wird es langsam eng.

Langer Atem: Unterstützung erwünscht

Was hier wirklich neu ist und was schon immer da war, verschwimmt bei der genaueren Betrachtung. Die Retro-Szene Deutschlands hat mit dem Haus der Computerspiele und dem allgegenwärtigen René Meyer hier seit Jahrzehnten ihren Mittelpunkt – und die Leipziger Retrosammlung wird auch auf der Gamescom in Köln ausgestellt (s. Kasten). »Wir haben hier Studios, die über 25 Jahre auf dem Markt aktiv sind«, betont auch Friedrich Lüder. Unternehmen wie Media Seasons oder FAKT Software wurden schon vor der Jahrtausendwende gegründet.

Die Branche ist schon lange da, sie ist aber auch schon lange eher klein. Michael Geidel kann das beurteilen; er ist seit über zwanzig Jahren in der Film- und Games-Branche unterwegs. Mit seiner Firma Actrio Studio hat er verschiedene Projekte von Kino-Film über Installationen bis zu Computerspielen für PC, Virtual und Mixed Reality umgesetzt. »Mit ›Detective of the Dead‹ sind wir jetzt auch auf der Gamescom«, erzählt Geidel; das narrative Adventure spielt in der mexikanischen Totenwelt.

Auch Geidel glaubt, dass hier »etwas im Entstehen« sei. Er freut sich über die gut organisierten Games Meetups für Entwickler und über den Games- und XR-Verband. Aber er sieht Luft nach oben. Auch in Deutschland gebe es andere Standorte, an denen mehr Events stattfänden. Dort werde ebenfalls versucht, ein Netzwerk aufzubauen und die Branche gezielt sichtbarer zu machen, ihr eine Plattform zu geben. »Da kann noch einiges passieren.«

Einerseits wünscht Geidel sich eine stärkere Unterstützung der Szene. Doch dafür ist »die Branche wohl noch zu klein«, glaubt er. Zählbare, fest angestellte, sozial­versicherungspflichtige Angestellte gibt es bisher wenige. Dafür arbeiten viele Freelancer an der Pleiße. »Da kann ich natürlich verstehen, dass man nicht als das neue Job-Wunder der Stadt Leipzig wahrgenommen wird.« Tatsächlich berichtet auch Eric Patzschke vom Amt für Wirtschaftsförderung, dass »noch gar kein Game-Start-up« Mittel für wachsende Unternehmen ab 15 Beschäftigten »bei uns abgreifen« konnte.

Nachhaltigkeit ist für Geidel schon lange ein Thema, auch im ursprünglichen Sinn: Er macht sich für die umweltfreundlichere Produktion von Film und Games stark. Wirtschaftlich ist der lange Blick allerdings auch entscheidend, um Erfolge und Probleme zu verstehen. Und da liegen die Standortnachteile längst nicht alle in Leipzig. Die Games-Förderung auf Bundesebene hat den Akteuren zuletzt eher Kopfschmerzen bereitet. An den Folgen des plötzlichen Antragsstopps 2023 haben kleine Leipziger Studios wie RotxBlau auch heute noch zu »knabbern«, wie Ko-Gründer Richard Minkus erzählt.

Aus Überzeugung hier: Zuhause

Wer mit den Menschen redet, die jetzt in der Branche arbeiten, der hört überraschend häufig den Verweis auf die Stadt: Hier sei man zu Hause oder habe Wurzeln geschlagen, hier wolle man etwas aufbauen, hier fühle man sich politisch wohler als anderswo in Sachsen. Den Vorteil muss die Stadt nicht mehr aufbauen, eher bewahren. Dass Leipzig jung und weltoffen ist, spielt für die junge und internationale Szene durchaus eine Rolle.

Ganz stark klingt der Wunsch nach einem positiven regionalen Effekt bei Games- und XR-Vorstand Friedrich Lüder durch. Die Verbandsarbeit gelte nicht nur Games und nicht nur für Sachsen. Das zu betonen, ist ihm wichtig. Es gehe darum, »Innovationspotenzial« zu schaffen und »Perspektiven für den Nachwuchs«. Darum findet er es logisch, dass die Verbandsinteressen sich nicht nur den Games, sondern auch dem Technologietransfer zu anderen Branchen widmen. »Es geht hier um den Aufbau einer Struktur, die ganz breit ist und auch Folgeeffekte hat.« Er sieht die Verantwortung, dass Förderung auch sichtbare Effekte haben müsse: Unternehmen, die sich tragen und die weitere Menschen beschäftigen.

Lüder sitzt während des Interviews in Dessau-Roßlau und denkt nicht nur an Leipzig. Er denkt an Regionen, in denen der Strukturwandel noch eine ganz andere Herausforderung ist. Das klingt an, wenn er seinen Branchenverband »realistisch« nennt.

Verabredung in fünf Jahren: Zeit für den Aufbau

Wer realistisch bleiben will, braucht auf jeden Fall eines: mehr als einen Anlauf. Entwickler und Produzent Michael Geidel wünscht sich mehr Akteure, die der Branche nach dem Scheitern eines Projektes erhalten bleiben und ihr Wissen weitergeben. Ein Beispiel sind FusionPlay. Das Leipziger Studio ist seit 2014 tätig und hat seitdem mehrere Spiele veröffentlicht. Aber erst in diesem Jahr erschien mit »Nice Day for Fishing« ihr erster Titel, den die Unternehmer selbst als vollen Erfolg bewerten können. Auf diesen Marathon müssen junge Unternehmen vorbereitet werden, wenn sie überleben wollen. Die Lektion ist offenbar angekommen: »Wir wollen uns genügend Zeit zum Aufbau geben«, sagt zum Beispiel Julien Schillinger vom 2021 gegründeten Studio PandaBee – und setzt bei der Arbeit auf mehrere Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Screenshot Nice Day for Fishing
»Nice Day for Fishing«: Endlich ein dicker Fisch aus Leipzig

Wann sich der Erfolg beurteilen lässt, ist also eine schwierige Frage. »2030 könnte man wahrscheinlich mehr dazu sagen, wie nachhaltig das ist«, tippt Wirtschaftsförderer Eric Patzschke. Bis dahin strickt er weiter am Netzwerk. Zur Gamescom wird eine neue Informationsseite für die regionale Branche vorgestellt. Die Adresse: next-level-saxony.com.


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