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Politik

»Wir kehren die Scherben des Spekulantentums zusammen«

Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg über soziales Wohnen

  »Wir kehren die Scherben des Spekulantentums zusammen« | Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg über soziales Wohnen  Foto: Christiane Gundlach

Im Leipziger Westen und Osten besetzten Demonstrierende in den letzten Wochen mehrmals kurzfristig Häuser, um auf den angespannten Wohnungsmarkt in der Stadt aufmerksam zu machen. Dass Wohnen in Leipzig bezahlbar bleiben soll, definierte Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) bei seinem Amtsantritt 2020 als eines seiner Ziele. Doch den Bedarf an Sozialwohnungen bekommt die Stadt auch in den kommenden Jahren nicht gedeckt. Im Interview mit dem kreuzer spricht Dienberg über die Herausforderung und kritisiert den Bauturbo der Bundesregierung.

Herr Dienberg, haben Sie schon einmal ein Haus besetzt?

Nein.


Warum nicht?

Weil ich in einer Zeit groß geworden bin, in der es für Studentinnen und Studenten in Dortmund noch genug Wohnraum gab. Ich könnte jetzt im Nachgang philosophieren, ob ich bei entsprechender Not dabei gewesen wäre. Hätte ich mir durchaus vorstellen können.


Als Baubürgermeister, der für bezahlbaren Wohnraum sorgen will, stehen Sie heute ja auf einer Seite mit den jungen Menschen, die in den letzten Tagen in Leipzig aus Protest gegen Leerstand Häuser besetzten.

Ich würde das trotzdem nicht per se gutheißen. Aber ich kann nachvollziehen, dass junge Menschen sich mit solchen Aktionen Gehör verschaffen wollen. Die Zustände in Leipzig in den Neunzigern kenne ich nur vom Hörensagen, diese Zeiten sind vorbei.


Anfang Oktober haben Sie die Zusage für 32 Millionen Euro Förderung für sozialen Wohnungsbau vom Freistaat bekommen. Wie sehr hilft das?

Das hilft uns gut weiter, gerade in Kombination, dass wir seit zwei Jahren auch den zweiten Förderweg haben.


Das meint: ein Förderprogramm für Menschen mit Einkommen oberhalb der Grenzwerte für den Anspruch auf Sozialwohnungen.

Wir reden da nicht über eine Nettokaltmiete um die 6,20€, sondern eher über 7,80€ bis 8,50€ vielleicht. Diese Gruppe wird immer größer.


Im August lag der Bestand an Sozialwohnungen in Leipzig bei 2.044, der Bedarf bei 3.450. Burkhard Jung sprach im Wahlkampf 2020 davon, den Bestand auf 10.000 Sozialwohnungen steigern zu wollen.

Wir müssen alles daransetzen, möglichst viel zu bauen. Dafür war es richtig und wichtig, dass der Oberbürgermeister auch ambitionierte Ziele genannt hat. Wir haben verglichen mit anderen Städten gute Voraussetzungen. Wir haben, wenn ich Berlin außen vor lass, die größte Wohnungsbaugesellschaft Ostdeutschlands. Die LWB hat jetzt 37.000 Wohneinheiten. Wir wollen auf 40.000 kommen. Das muss durch Neubau passieren, aber auch durch Zukauf.


Schaffen Sie es denn, die Bedarfe in den nächsten Jahren zu decken?

Mittelfristig bin ich da ganz guter Hoffnung, aber kurzfristig schaffen wir das nicht mit dieser Fördertechnik und dem, was wir als Kommune machen können. Als ich 2020 kam, war die Frage bei der LWB, bauen wir neu oder setzen wir instand? Da haben wir einen Turnaround geschafft: Wir haben in den letzten fünf Jahres beides gemacht. Die LWB ist eines der wenigen Unternehmen der Wohnungswirtschaft, die hier zurzeit noch geförderten Wohnungsbau betreiben. Das ist natürlich so, weil es als öffentliches Unternehmen Eigentümerziele hat, die so lauten. Aber wir haben natürlich auch keine Gelddruckmaschine unten im Keller stehen haben.


Was bedeutet das?

Das heißt, auch die LWB muss sich mit den Baupreisen und den Gegebenheiten am Markt arrangieren. Aber die Renditeerwartungen sind natürlich nicht so wie bei einem privaten Unternehmen. Am Ende sind wir auf Fördermittel von Bund und Land angewiesen und die tun auch schon nicht wenig: der Bund hat 2024 3,2 Milliarden Euro bundesweit an Wohnungsbauförderung bereitgestellt, genauso viel kam noch mal von den Ländern. Dass die Baupreise trotzdem alles auffressen, muss auf anderer Ebene geklärt werden.


Der sogenannte »Bauturbo« der Bundesregierung soll noch diesen Herbst in Kraft treten. Dadurch soll Bauen schneller gehen, etwa indem auf Bebauungspläne verzichtet werden kann. Hilft Ihnen das Gesetz weiter?

Wir hatten uns gemeinsam mit acht Städten um eine Verbesserung dieses Bauturbos bemüht, sind damit im Bauministerium aber nicht wirklich durchgedrungen. Wir hatten uns dafür ausgesprochen, dass Bauen ohne Bebauungsplan nur für bezahlbaren Wohnraum gehen soll. Die anderen Wohnungen, die da entstehen, kann sich kein normaler Mensch leisten. Aber das wollte Frau Hubertz nicht hören.


Warum?

Sie brachte das Argument, dann wären doch auch günstige Wohnungen wieder frei. Ich sage: Nein, Frau Hubertz, das stimmt nicht! Das war früher mal so, dass wenn Besserverdiener in neu gebaute Wohnungen ziehen günstige Wohnungen freiwerden. Das gibt es auf dem heutigen Wohnungsmarkt nicht mehr.


Das klingt nach grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten.

Wir müssen Wohnungsbauförderung komplett neu denken. Es kann nicht sein, dass jährlich 6,5 Milliarden Euro in den Wohnungsbau gepumpt werden und die Zahl der Sozialwohnungen trotzdem abnimmt. Wir haben heute bundesweit nur noch eine Million Sozialwohnungen, 2014 waren es noch anderthalb Millionen und 2006 noch zwei Millionen.


In Leipzig hat die Zahl in den letzten Jahren nicht abgenommen.

Aber nur, weil die Anzahl von den ehemals 11.000 Sozialwohnungen in den Neunzigern bis 2015 auf 317 abgeschmolzen war. 317! Wir sind jetzt wieder bei über 2000. Aber deutschlandweit sinkt die Zahl. Deshalb dürfen diese Milliarden nicht mehr in Wohnungen fließen, die nur zeitlich befristet sozialpreisgebunden sind.


Was ist denn die Alternative?

Wir brauchen gar nicht mehr Geld. Dasselbe Geld muss als nicht rückzahlbarer Zuschuss an die Wohnungsbauunternehmen gehen, die sich verpflichten, preiswerte Wohnungen für immer bereitzustellen. Das können auch private sein, gar keine Frage. Aber Wohnungen dürfen nicht mehr nach 20 Jahren aus der Sozialbindung rausfallen. Es ärgert mich wahnsinnig, dass der Bauturbo, so wie er angelegt ist, vor allem ein Förderprogramm für die private Bauwirtschaft ist. Das hat sicherlich auch positive Seiten, aber nicht für die, die bezahlbare Wohnungen brauchen.


Was sind abseits davon Ihre Forderungen für den Bauturbo?

Eine Bauverpflichtung muss her. Wir haben 8.000 Wohnungen genehmigt in Leipzig, die bis heute nicht gebaut sind. Das sind nicht nur Sozialwohnungen dabei, aber auch ein paar. Aber eine Bauverpflichtung will Frau Hubertz nicht. Außerdem finde ich, dass der Turbo nicht für den Außenbereich gelten sollte. Es ist gut, dass im Außenbereich nicht gebaut wird, der ist für andere Sachen wie Landwirtschaft, Grünraum, Energiegewinnung und Naturschutz da.


Was können Kommunen abseits davon für bezahlbares Wohnen tun?

Wir würden gerne mehr machen, wenn man uns ließe. Wir haben Erhaltungssatzungsgebiete festgelegt, die wir schützen wollen, indem dort keine Luxusmodernisierungen möglich sind. Dann gibt es das Zweckentfremdungsverbot, für das wir vom Freistaat letztes Jahr endlich die Ermächtigung bekommen haben.


Wohnungen dürfen aber weiterhin zwölf Monate leer stehen, ohne dass Vermieter dafür belangt werden – ist das Zweckentfremdungsverbot in dieser Form ein zahnloser Tiger?

Das würde ich nicht sagen. Man muss realistisch sehen, dass Wohnungen bei Mieterwechseln auch mal grundlegend saniert werden müssen. Das macht die LWB auch. Vor diesem Hintergrund braucht ein Vermieter eine gewisse Zeit. Aber es hat in der Vergangenheit auch spekulativen Leerstand gegeben. Inzwischen haben wir eigentlich keinen strukturellen Leerstand mehr. Wenn, dann sind das klassische Leerstände, die durch Fluktuation entstehen und so eine gewisse Masse braucht die Wohnungswirtschaft auch, um agieren zu können.


Bei der Umwandlungsverordnung, mit der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eingeschränkt werden kann, steht Ihnen der Freistaat noch im Weg.

Der Bund sagt, das geht nur in angespannten Wohnungsmärkten. Ich war froh, dass Frau Kraushaar, die sächsische Staatsministerin für Infrastruktur, kürzlich sagte, Leipzig hat einen angespannten Wohnungsmarkt. Aber das lässt die Landesregierung momentan nur für die Zweckentfremdung, nicht für die Umwandlungsverordnung gelten. Das verstehe ich nicht. Ich möchte endlich die Ermächtigung haben, dass wir eine solche Umwandlungsverordnung erlassen können.


Wie steht es um die Entwicklung von ganzen Wohnquartieren, also zum Beispiel am Bayerischen Bahnhof?

Beim Thema Wohnungsbau sind die beiden großen Wohnquartiere nach jahrelangem Stillstand vorangekommen. Am Bayerischen Bahnhof wird nun endlich gebaut. Am Eutritzscher Freiladebahnhof ist der Bebauungsplan fertig. Dort möchte ich gern die Umsetzung des ersten Abschnitts noch in meiner aktiven Zeit erleben. Und das könnte knapp werden. Das wäre schon echt schade für die Stadt, wenn es auf so einer kostbaren Fläche nicht weitergeht. Da sind wir gerade dabei, die Scherben des Spekulantentums zusammenzukehren.


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2 Kommentar(e)

Bertram Bommel 24.10.2025 | um 21:41 Uhr

Hallo, danke für dieses Interview und den Text. Das ist ein wichtiges Thema. Die Verwaltung wäre sehr gut beraten darin wenn Mietwucher und Wohnraumspekulation mit den durch Gesetz festelegten Bestimmungen zum Wohl der Bewohner*innen Leipzigs zurückgedrängt und scharf geahndet werden würde. Wir verlieren unsere Stadt - eine Stadt die bunt, tolerant, vielfältig, divers und weltoffen ist braucht keine Immobilienabzocker wie Sven Schwarzat und Kevin Rader! Was wir hingegen brauchen ist eine kritische Bürger*innenschaft die sich solch unlauteres Geschäftsgebaren wie von diesen beiden "Immobilienentwicklern" nicht gefallen lässt, vorallem aber mutigen und engagierten Journalismus wie den des Kreuzer, der luhze und Leipziger Zeitung und ja auch ein Jens Rometsch von der LVZ hat wesentlich dazu beigetragen dass das unseriöse und menschenverachtende Treiben der ehemaligen Geschäftsführer der United Capital RE GmbH (nun aktiv mit SC und LSW Hausverwaltung GbR) ans Tageslicht bzw. in die breite Öffentlichkeit gekommen ist. Vielen Dank dafür! Was in den letzten vier Jahren in Leipzig von diesen beiden halbgaren "Geschäftsmännern" an Trümmern in Leipzig entstanden ist wurde durch bürgerschaftliches Engagement mit Unterstützung der ein oder anderen Stadtverordneten im Bündnis zusammengetragen. Staatsanwaltschaft Leipzig regelt hoffentlich bald: https://www.united-capitulation.de/2025/06/18/presse-zum-thema/

Lilli Lavendel 02.11.2025 | um 12:13 Uhr

Danke für die klaren Worte ggü. der Wohnungspolitik auf Bundesebene. Eine Reformierung des Sozialwohnungsbaus wäre sehr zu begrüßen. Anmerkung zum Satz: "Wir haben, wenn ich Berlin außen vor lass, die größte Wohnungsbaugesellschaft Ostdeutschlands. Die LWB hat jetzt 37.000 Wohneinheiten." Jedoch: Es gibt andere Städte, die in Relation zum gesamten Wohnungsbestand in der jew. Stadt größere kommunale Bestände haben, wie z.B. Rostock (33 %), Halle a.d. Saale, Potsdam, Magdeburg, Chemnitz, Frankfurt/Main - alle haben anteilsmäßig mehr kommunalen Bestand in ihren Städten als Leipzig. Hier liegt der kommunale Anteil aktuell bei 12%. Das hat Gründe, die bis zum Einheitsvertrag zw. DDR/BRD zurückgehen bzw. auch mit einer Wohnungspolitik, die immer schon zu kurzfristig dachte. Auch die aktuelle Kampagne von Mieterinitiativen, Mieterverienen und Stadtverwaltungen gegen den Schwall an Umwandlungen und Eigenbedarfskündigungen ist ein Thema, das hoffentlich bald auch in Leipzig Gesprächsthema wird: https://www.wohnungsnot-stoppen.de/