Nachdem Nazis in den letzten Tagen die Wut und Trauer vieler Leipziger über den Mord an der achtjährigen Michelle zum Teil mit beachtlichem Erfolg instrumentalisiert haben, formiert sich nun eine breite Front, die dieses Verhalten aufs Schärfste ablehnt. In einem offenen Brief hat sich die Bürgerinitiative Buntes Reudnitz an alle Bewohner des Stadtteils gewandt.
Trotz der zahlreichen Kundgebungen ist es gestern in Leipzig ruhig geblieben. Die Stadt hatte im Vorfeld alle mobilen Demonstrationen untersagt und nur stationäre Kundgebungen zugelassen. »Nach Einschätzung von Stadt und Polizei wäre es angesichts der Gefahrenprognose, insbesondere aber mit Blick auf den erschütternden Hintergrund der Versammlungen weder möglich, angemessen noch moralisch vertretbar gewesen, einen Aufzug im Leipziger Stadtgebiet zuzulassen«, hieß es dazu aus dem Rathaus.
So versammelten sich im Bereich der Holstein- und Oststraße ca. 280 Rechte, unter ihnen der Fraktionsvorsitzende der NPD in sächsischen Landtag, Holger Apfel. Sie waren – entgegen den Demonstrationen der Vortage – wieder unter sich. Am Täubchenweg trafen sich etwa 100 Personen aus dem linken Spektrum zu einer Kundgebung. Sie verurteilten das Bestreben der Rechten, den Tod von Michelle politisch zu instrumentalisieren, und wiesen den Vorwurf zurück, sie würden das Verbrechen an der Achtjährigen durch ihren Protest gegen die Nazis verharmlosen. Zahlreiche Polizeibeamte waren in Reudnitz eingesetzt, um ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppen zu verhindern und die Einhaltung der Auflagen zu überwachen.
Auf dem Augustusplatz waren ebenfalls rund 100 Menschen dem Aufruf verschiedener Bürgerinitiativen gefolgt, gegen die Vereinnahmung des Verbrechens durch die Nazis ein Zeichen zu setzen. Diese Kundgebung stand im Zusammenhang mit weiteren Aktivitäten zum gestrigen Weltfriedenstag. Ein Mitglied der Bürgerinitiative »Buntes Reudnitz« verlas den offenen Brief. Florian Ferger, ebenfalls Mitglied der BI, warnte vor dem großen rechten Potenzial in Leipzig, das sich gerade in Situationen der Verunsicherung immer am deutlichsten zeige. OBM Burkhard Jung, der ebenfalls zu den Rednern gehörte, verurteilte die Aktivitäten der Rechten erneut scharf: »Am offenen Grab ist keine Zeit für politische Demonstrationen«, so Jung.
Währenddessen zeigte sich der Leipziger Polizeipräsident Wawrzynski verärgert über die verschiedenen Kundgebungen. Diese würden die Suche nach dem Mörder von Michelle behindern. So hätten zur Sicherung des Einsatzgeschehens »unnötigerweise« Beamte aus der Soko »Michelle« abgezogen werden müssen.