Auch im Museum der bildenden Künste ist zwei Jahrzehnte nach der Wende die Kunst der DDR fast noch unsichtbar.
Die Nachrufe auf Bernhard Heisig und die Erinnerung an die zahlreichen Auseinandersetzungen um Ruhm und Ehre im Malereifeld vor 1989 sind schnell verklungen, und es stellt sich einmal mehr die Frage: Wo sind die Kunstwerke von 1945 bis 1989 vor Ort zu finden? Welche Geschichten werden vom Label »Leipziger Schule« erzählt?
Mit der Neueröffnung des Museums der bildenden Künste 2004 sollte eine »Konferenz der Bilder – Kunst nach 1949« im Untergeschoss Auskunft über Bildwerke in Ost- und Westdeutschland geben. Die Hängung allerdings ließ sowohl ein Gespür für die besondere Situation vor Ort als auch eine Aufarbeitung vermissen. Heute zeugt von diesem Projekt lediglich die Beschriftung im Treppenhaus. Dafür gibt ein Raum, der ursprünglich für die Abteilung »Max Beckmann und die Kunst von 1900–49« vorgesehen war, aktuell Einsicht in Positionen der Leipziger Schule historischer Machart. Dabei mischen sich Arbeiten des Dreigestirns Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Werner Tübke mit denen Evelyn Richters, aber auch Gerhard Marcks‘. Weder die Auswahl noch die unchronologische Hängung können die Erwartung, in Leipzig Kunst aus Leipzig von vor 1989 sehen zu können, erfüllen. Auch kann diese Erwartung schwerlich mit temporären Großausstellungen aus aktuellen Anlässen befriedigt werden. Es lohnt daher ein klärender Blick zurück.
Die zeitgenössische Kunst fand in der ständigen Ausstellung am ehemaligen Museumsstandort Reichsgericht vor 1989 keinen Platz. Die aus dieser Not geborene Galerie sozialistischer Kunst im Grassi Museum musste 1982 nach nur einem Jahr wegen Baufälligkeit schließen. 1992 standen nach der Aufgabe des Georgi-Dimitroff-Museums, das dem Reichstagsbrandprozess gewidmet war, neue Ausstellungsräume zur Verfügung. »Bestandsaufnahme« – so hieß die Ausstellung im Herbst 1992, die nach 1945 entstandene Leipziger Kunst von 67 Künstlern – von Gerhard Altenbourg bis Doris Ziegler – zeigte, um Bildwerke nicht aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden zu lassen. Sie verstand sich als erste Sichtung in der Diskussion um Kunst nach 1949 und mahnte im Flyer an, dass das zukünftige Ausstellungskonzept des Museums daran anknüpfen und diesem Bereich einen angemessenen Platz innerhalb der ständigen Galerie einräumen müsse. Und sie bedeutete auch, dass anhand des Bestands die fundierte wissenschaftliche Bearbeitung jener Phase der Kunstentwicklung systematisch voranzubringen sei. Über den Blickwinkel Leipzig hinaus ging die Ausstellung »Deutsche Kunst zwischen 1945 und der Gegenwart«, die ebenfalls 1992 im Museum zu sehen war. Dieses Projekt wiederum verband Kunst aus Leipzig mit Leihgaben aus Westdeutschland. Bereits der Titel zeigte den pragmatischen Ansatz, das »emotionsgeladene Diskussionsstadium« verlassen zu wollen und die lokale Kunst vor 1989 nicht zu kasernieren, sondern stattdessen mit zeitgenössischen Werken von außen zu kombinieren.
Herwig Guratzsch, der das Museum ab 1994 leitete, ging wiederum einen Schritt zurück und zeigte im selben Jahr die Ausstellung »Kunst aus der DDR«, in der 57 Arbeiten chronologisch nach Entstehungszeit gehängt und somit musealisiert waren. Im Unterschied zu den vorangegangenen Ausstellungen erfolgte keine Fortführung bis in das damalige Heute. Stattdessen diente der Überblick Guratzschs ehrgeizigem Projekt, Leipzig lange vor dem Labelling durch den Kunstmarkt als »Wallfahrtsort für ostdeutsche Kunst« und »Zentrum für DDR-Kunst« zu etablieren. Dabei sollten Werke aus dem eigenen Bestand um die anderer ostdeutscher Kunstmuseen ergänzt werden.
»Wie Weihnachten und Ostern zusammen«, so kommentierte der heutige Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt die Ankunft der Dauerleihgaben von 160 Gemälden und Skulpturen Leipziger Machart aus Oberhausen. Symbolträchtig zum 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution kehrte der vom Ehepaar Ludwig für das 1983 gegründete Ludwig Institut für Kunst der DDR zusammengetragene Bestand zurück. Damit verfügt das Museum nun über ein Bildergut an Kunst aus Leipzig, das den Aufstieg und Bestand der Leipziger Schule wie kaum eine andere Sammlung bebildern könnte. Ein Standortvorteil, der bisher in den von Dietulf Sander betreuten drei Wechselausstellungen »Ludwig in Leipzig« unterschiedlichste Konstellationen aufzeigte und Bilder von Hartwig Ebersbach und Volker Stelzmann, Hubertus Giebe und Wolfgang Peuker kurzzeitig der Öffentlichkeit zurückgab.
Bislang bleibt die Erfüllung der 1992 vom Museum selbst formulierten Pflicht aus: einen dauerhaften Raum zu schaffen, der die bildende Kunst aus Leipzig in ihrer realen Vielschichtigkeit neben den Bedingungen ihrer Entstehung, dem Variantenreichtum im Handeln und Deuten im Verbund mit anderen Künsten zeigt. Ein solcher Raum wäre in Zeiten wie diesen ein Alleinstellungsmerkmal im Ausstellungsbetrieb. Dafür bedarf es keiner spektakulären Jubiläen, sondern eines wachen Blickes auf das Hier.
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