»Echte Demokratie jetzt« lautet das Motto von Acampada, deren Unterstützer nun auch zu Montagsdemonstrationen aufrufen. Am Reformationstag haben sie schon einmal ihre Thesen festgenagelt.
Luther kommt in Clownsschuhen. Im Gepäck hat er zwei Schriftrollen mit Thesen. Doch 2011 richtet sich seine Kritik nicht gegen Missstände in der römisch-katholischen Kirche, sondern gegen die aktuelle Finanzwirtschaft. Folglich ist es auch keine Wittenberger Kirchentür, an die der Reformator seine Papiere hängt, sondern das mit schweren Eisengittern versehene Portal der Deutschen Bank in Leipzig. Und noch ein weiterer Unterschied zeigt sich: Die Thesen im 21. Jahrhundert sind sehr allgemein gehalten. »Geld bedeutet Macht. Wem übergibst du deine Macht?«, »Mit Essen spielt man nicht!« und »Heute schon an Waffen verdient?« ist dort zu lesen. Diese Unschärfe ist Absicht. Schließlich will der Reformator das in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete Unbehagen über die aktuelle Situation der Finanzwirtschaft und die Macht der Banken einfangen. So steht sein Thesenanschlag denn auch unter dem Motto »Menschen statt Profite – Wir sind die 99 Prozent«.
Luther heißt in Wahrheit Raúl Barriuso und ist einer der präsentesten Köpfe der Acampada-Initiative, die sich in Leipzig im Rahmen der bankenkritischen Occupy-Bewegung und der aus Spanien kommenden Demokratieprotestbewegung gebildet hat, und die mittlerweile jeden Montag Demonstrationen auf dem Augustusplatz organisiert. Die medienwirksame Aktion mit knapp 40 Teilnehmern zum Jahrestag des historischen Thesenanschlages dient vor allem dem Ziel, auf Acampada aufmerksam zu machen
»Wir wollen, dass nicht nur die ewig Gleichen kommen, sondern auch viele neue Menschen, um genügend Energie zu erzeugen, damit die guten Gedanken, die da sind, auch gehört werden«, sagt Mitorganisatorin Henny Kellner, die sich selbst als schlichte Leipziger Bürgerin bezeichnet. Im Sinne einer möglichst großen Heterogenität fordert sie auch Menschen, die die Bewegung vielleicht belächeln, dazu auf, sich mit ihren Ideen einzubringen. Wie groß das tatsächliche Mobilisierungspotential von Acampada ist, möchte sie nicht konkret einschätzen, gibt sich aber optimistisch: »Solche Bewegungen verlaufen immer wellenförmig und sind auch stark von aktuellen Ereignissen abhängig. Aber ich denke, es wird ein wachsendes Engagement geben.«
Acampada kritisiert die mangelnde Einbindung der Bevölkerung in die politischen Entscheidungen insbesondere während der Finanzkrise. »Wir haben einen Konsens darin, dass es so nicht weitergehen kann«, erörtert Mike Nagler, ebenfalls Mitorganisator, das einende Moment der Bewegung. „Wir haben jetzt keine neue Krise, wie oft versucht wird, uns weiszumachen, es ist immer noch dieselbe Krise wie 2008. Die Aufgabe der Politik wäre es, den Banken klare Vorgaben zu machen und die Finanzwirtschaft wieder unter das Primat der Politik zu stellen«, sagt er. Doch dies geschehe nicht: »Die Banken machen immer noch dieselben Geschäfte wie vor drei Jahren.«
Während bei Acampada über die Problemdiagnose weitgehende Einigkeit herrscht, gibt es zur Frage, welche Wege stattdessen zu beschreiten sind, sehr verschiedene Standpunkte. »Deswegen sind die Thesen auch eher Slogans«, erklärt Nagler. Ausgearbeitet wurden sie von der Arbeitsgruppe Finanzwirtschaft, einer von insgesamt sieben Diskussionsrunden, die wöchentlich unter dem Dach von Acampada stattfinden. Laut Nagler beteiligen sich daran mittlerweile rund 150 Menschen.
Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob sich die Initiative in Leipzig zu einer größeren Bewegung entwickeln kann oder nur Teil einer kurzen Protestwelle gewesen sein wird. Luthers Bankenthesen zumindest hängen nur knapp eine Stunde. Dann öffnet sich die Tür der Bank und zwei Mitarbeiter nehmen die kritischen Plakate ab.
Bilder vom Thesenanschlag
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