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Kultur

Kulturinfarkt in Leipzig?

Was die heftig diskutierte »Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention« über hiesige Verhältnisse zu sagen hat

  Kulturinfarkt in Leipzig? | Was die heftig diskutierte »Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention« über hiesige Verhältnisse zu sagen hat

Was passiert, wenn vier hochdotierte Kulturmananger sich zusammensetzen und ein Buch schreiben? Der Kulturinfarkt. Auf 280 Seiten breiten Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz aus, warum wir von allem zu viel und überall das Gleiche haben. Das Bändchen hat auch in Leipzig scharfe Erwiderungen hervorgerufen.

Der Intendant des Theaters der Jungen Welt, Jürgen Zielinski, verurteilte das Werk in Bausch und Bogen als »absurd« und war damit ein Teil im Rauschen des bundesdeutschen Blätterwaldes (oder heißt das heute Klickstorm?). Tatsächlich hat die Kernthese der vier es erst mal in sich: Sie wollen die Hälfte aller Kultureinrichtungen schließen, die Förderung von Kunst und Kultur radikal umbauen und insgesamt mehr Markt in der Kultur. Das Hauptargument dabei ist, dass der Staat durch die Förderung meritorischer Kulturgüter den Markt beeinflusse, ja, Marktentwicklungen verhindere. Der Markt, so die Gebetsmühle, könne es schließlich immer besser, effizienter etc., obwohl sich Marktmechanismen in letzter Zeit ja nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert haben. Die Kulturförderung in Deutschland ist immer noch billiger als eine Bankenrettung. Dass die vier Autoren zudem nur vom westdeutschen Kulturmodell und seiner Entwicklung ausgehen, die vor allem mit Hilmar Hoffmanns Forderung einer Kultur für alle verbunden ist, und Entwicklungen in Ostdeutschland ausklammern, spricht nicht für deren Horizont. Aber wir sind da mit Heiner Müller mal ganz optimistisch, der ja sagte, der Text wisse mehr als sein Autor.

Hinter diesen groben Unzulänglichkeiten finden sich jedoch Aspekte, die es sich aus Leipziger Sicht lohnen zu betrachten. Da ist zum einen die These von der Halbierung, welche die Autoren als Rückbau der Infrastruktur und nicht der benötigten Mittel verstanden haben wollen: also das gleiche Geld nur anders verteilt. Tatsächlich wird diese Debatte von der Freien Szene seit Jahren energisch vorangetrieben und die Forderung »Fünf für Leipzig« bedeutet nichts anderes. An der Existenz und Förderung einer funktionierenden Sozio- und Laienkultur führt auch im marktförmigen Verständnis der Buchautoren kein Weg herum. Ein Punkt für die Szene. Dass dies Einsparungen oder Flexibilisierungen an anderer Stelle bedeuten würde, ist klar. Doch wer sich einmal im Tarifdschungel der großen Häuser (und dazu zählen hier auch Muko und TdJW) umgesehen hat, sieht, das hier möglicherweise Stücke vom Kuchen aus der Infrastruktur auf die Kunst umzuverteilen sind – wenn auch nicht von heute auf morgen.

Die Autoren fordern zudem konkrete kulturelle Ziele, die zwischen Förderer und Geförderten ausgehandelt werden. Ein alter Hut in Leipzig, alle soziokulturellen Zentren verfügen über solche Zielvereinbarungen und auch die Eigenbetriebe funktionieren im Grunde nach diesem Modell. Ob eine höhere Marktaktivität deren Lage verbessert ist angesichts des wirtschaftlichen Umfelds denn doch eher fraglich.

Ein Punkt ist aber für die Leipziger Diskussion tatsächlich zentral, nämlich die Frage des Verhältnisses von Publikum und Kulturanbieter. Dahinter steht die Frage nach der Autonomie von Kunst. Diese kann arts pour les arts betreiben oder sich als öffentlicher Dienstleister sehen. Besonders in Hinblick auf die oft provinziell wirkenden Debatten ums Stadttheater, aber auch um die Oper, wäre eine öffentliche Klärung hier hilfreich. Dass die Buchautoren Nachfrage und Kunden gestärkt sehen wollen, ist logisch, doch das Verhältnis zwischen hoher und Gebrauchskunst im Bereich des Theaters wäre – auch wenn das zukünftigen Intendanten nicht gefällt – sicher eine Frage wert. Ebenso spannend ist die Forderung, die Teufelskreise der Gremien zu durchbrechen, in denen tatsächlich immer dieselben Leute über die gleichen Posten entscheiden. Das hält zwar das Intendantenkarussell am Laufen, aber ob eine solche künstlerische Funktionselite, in dem Maße nötig ist, wird nicht hinterfragt. Drüber reden könnte man aber mal und da ist das Buch immerhin ein Anstoß.


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