Der Kulturbürgermeister möchte den geltenden Beschluss, nach dem fünf Prozent des Kulturhaushalt für die Freie Szene reserviert werden, kippen. Die Freie Szene reagierte empört (siehe kreuzer 07/2012). Im Interview erklären Kulturbürgermeister Michael Faber und seine Referentin Antje Brodhun, welche Vorteile sie sehen und wo Abstriche gemacht wurden. Der Stadtrat verhandelt am 18. Juli, wie es mit der Freien Szene weitergeht.
kreuzer: Wie hoch ist der Gesamtkulturetat in Leipzig und welchen Anteil hat die Freie Szene?
MICHAEL FABER: Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, da im doppischen Haushaltsplan verschiedene Zahlen genannt werden. Wir setzen für unsere Berechnungen alle Zuschüsse an, die wir zahlen – also ohne die Einnahmen der Einrichtungen. Dazu addieren wir die Kulturraummittel, die die Stadt Leipzig vom Freistaat erhält. Da kommen wir auf eine Summe von 107 Mio. Euro.
kreuzer: Und wie hoch ist der Anteil der Freien Szene?
FABER: Wir sind derzeit bei 4,16 Mio. Euro. Das sind etwa 4,1 Prozent, da wir für die Bemessungsgrundlage den Etat der freien Kulturträger selbst und die Zuschüsse für die Volkshochschule und den Zoo raus rechnen.
kreuzer: Wieso ist der Zoo da raus?
FABER: Das ist ein Verhandlungsergebnis.
kreuzer: Also das Ergebnis innerhalb der Verwaltung, bei dem es offensichtlich auch Dissens gab.
ANTJE BRODHUN: Von Dissens kann man hier nicht sprechen. Auch das Kulturdezernat muss um Mittel kämpfen, denn eine Stadt hat sehr viele Dinge abzuwägen. Denken Sie nur an die Diskussionen um Schulen, Kindergärten und Straßen. Wir mussten Kompromisse machen und einer ist eben, dass der Zoo aus der Bemessungsgrundlage raus geht. Der Vorschlag, den wir jetzt dem Stadtrat vorgelegt haben, bietet eine sehr hohe Sicherheit und Verlässlichkeit für die freien Kulturträger in den nächsten drei Jahren.
kreuzer: Reden wir über den Beschluss des Stadtrates, fünf Prozent des Kulturhaushalts bis 2013 für die Freie Szene zu reservieren. Der wurde nicht umgesetzt.
BRODHUN: Unser Ziel im Kulturdezernat war es immer, diesen Beschluss umzusetzen, also haben wir die Mittel bei der Haushaltsaufstellung angemeldet. Wir konnten uns aber verwaltungsintern nicht durchsetzen. Die Steigerungen, die es gab, sind vor allem den Anträgen des Stadtrats zum Haushalt zu verdanken. Deshalb ist es für uns ein hohes Gut, dass es jetzt den in der Verwaltung abgestimmten Vorschlag gibt, in den nächsten drei Jahren immer um jeweils 300.000 Euro den Etat für die freien Kulturträger aufzustocken. Damit erreichen wir 2015 eine Fördersumme von 5 Mio. Euro jährlich.
FABER: Eine so hohe Summe hat es noch nie gegeben.
kreuzer: 300.000 pro Jahr sind aber eine Abkehr vom Beschluss des Stadtrates...
FABER: Ja.
kreuzer: ...denn der hat ganz klar gesagt, es gibt eine variable Summe – nämlich fünf Prozent –, die sich am Kulturhaushalt der Stadt orientiert.
FABER: 2015 wären die fünf Prozent bei gleich bleibendem Haushalt erreicht.
BRODHUN: Der Fünf-Prozent-Beschluss war eine Novität und für uns als Verwaltung schwierig umzusetzen, da keine Stufen verabredet worden sind und auch die tatsächliche Höhe des Kulturetats erst nach Beschluss des Haushaltes feststeht. Mit den konkreten Summen für die nächsten drei Jahre haben wir eine viel bessere Arbeitsgrundlage. Wir können so mit einer hohen Sicherheit und Verlässlichkeit für die freien Träger in die Haushaltsplanung gehen.
kreuzer: Laut Beschluss soll dies aber schon bis 2013 erfolgen.
FABER: Das ist richtig. Aber ich habe hier ein Votum des Sprecherrates der Initiative »Leipzig plus Kultur« aufgegriffen, die Zeitachse bis 2015 zu verlängern. Dies ist auch von der Vollversammlung der Freien Szene Ende 2011 mitgetragen worden. Allerdings nehme ich an, dass dieses Votum sehr umstritten war, denn in letzter Zeit hat man davon nichts mehr gehört.
kreuzer: Die Freie Szene hat schon einmal erlebt, dass ein Stadtratsbeschluss nicht umgesetzt wurde. Was ist diesmal anders?
BRODHUN: Da nun konkrete Summen verbindlich fest gelegt werden sollen, können diese planmäßig in den Haushalt eingestellt werden. Am Ende entscheidet aber der Stadtrat, denn er hat das Haushaltsrecht.
kreuzer: Es gibt ein Gutachten der Freien Szene, in dem sie juristisch bis 2013 die Umsetzung des Beschlusses einfordert und sich juristische Schritte vorbehält. Haben Sie da keine Bauchschmerzen?
FABER: Nein. Das ist kein Gutachten, sondern ein Feststellung. Ein Ratsbeschluss ist grundsätzlich bindend für die Verwaltung und den Stadtrat. Der Stadtrat kann ihn aber jederzeit ändern oder aufheben.
kreuzer: SPD, Grüne und die Linke, die Sie ja aufgestellt hat, haben bereits Opposition angekündigt. Wie sehr müssen Sie um ihre Mehrheit zittern?
FABER: Wir haben einen Vorschlag gemacht, der jetzt vom Stadtrat diskutiert wird. Das ist ein normaler Prozess. Ich möchte es noch mal sagen: Es ist großartig, dass wir zum ersten Mal mit konkreten Summen arbeiten. Das bedeutet, dass wir eine hohe Verlässlichkeit und Planungssicherheit haben. Das ist ein großes Pfund und ein enormer Schritt nach vorn. Ich glaube, dass die Freie Szene das noch nicht so richtig erkannt hat.
kreuzer: Sie tragen die Verantwortung für die Freie Szene und feiern diese 300.000-Schritte als große Errungenschaft, auf der anderen Seite gehen die Etaterhöhungen bei den großen Häusern, wo der OBM die Verantwortung trägt, sehr viel leichter. Können Sie sich gegen ihren Chef nicht durchsetzen?
FABER: So kann man das nicht sagen. Eine Verwaltung funktioniert so, dass die Fachdezernenten den Oberbürgermeister beraten und dieser entsprechend seiner kommunalpolitischen Schwerpunktsetzung die finalen Entscheidungen trifft. Die Kultur hat in den letzten Jahren nicht weniger Geld bekommen – im Gegenteil. Neben den jährlichen Zuschüssen gab es viele große Investitionen in die Bausubstanz von Einrichtungen, zum Beispiel im Theatrium, im Conne Island, im Anker und im Werk 2. Die Erhöhung der Etats der Wirtschaftsbetriebe hängt mit den Tariferhöhungen zusammen. Tariferhöhungen kann man nicht umgehen. Ich trage deshalb die Entscheidung mit.
kreuzer: Ihre Message an die Freie Szene ist »Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«.
FABER: Nein, so würde ich das nicht formulieren. Ich will natürlich, dass sich die Freie Szene als ein wichtiger Teil unserer Kulturlandschaft gut entwickeln kann. Da muss ich auch einen gewissen Pragmatismus haben. Man sollte aber auch mal darauf schauen, was schon erreicht worden ist. 2008 hat die Stadt 2,7 Mio. Euro Fördermittel an die freien Kulturträger ausgereicht. Damals gab es ein Antragsvolumen von 4 Mio. Euro. Diese Summe ist nur zwei Jahre später zum ersten Mal ausgereicht worden. Das heißt, die ausgereichte Summe 2010 entsprach der Antragssumme 2008.
kreuzer: Bloß sind dann auch die Bedürfnisse gestiegen.
FABER: Es kommen unentwegt neue Vereine und Verbände hinzu durch einen permanenten Generationswechsel. Der Anstieg der Quantitäten muss aber nicht zwingend die Kulturlandschaft bereichern. Es gibt auch Ablösungsprozesse, sonst ist man ja in einem Erschöpfungszustand.
kreuzer: Zu guter Letzt, was sind in Leipzig die großen Zielmarken von Kulturpolitik? Was ist die Vision?
FABER: Neben einer stärkeren Entwicklung der Musikstadt halten wir an der Vielfalt des kulturellen Lebens in Leipzig fest. Unsere Wirtschaftsbetriebe haben stabile Strukturen, um in die Zukunft mit ihnen zu gehen. Das Gleiche gilt für die Museen. Dazu kommen die beiden großen Baustellen Musikalische Komödie und Naturkundemuseum. Da sind wir auf gutem Weg. Den Masterplan für das Naturkundemuseum werden wir noch in diesem Jahr vorlegen. Das heißt, dass wir keine schlechten Karten haben, uns erfolgreich als europäische Kulturhauptstadt zu bewerben.
kreuzer: Das ist der Plan?
FABER: Das ist in der Diskussion.