Fast zwei Jahre begleitete der preisgekrönte Dokumentarfilmer Robert Weide den als notorisch scheu geltenden Allen. In »Woody Allen: A Documentary« porträtiert er einen Woody Allen, der mit großer Offenheit und seinem ganz typischen Humor den Zuschauer teilhaben lässt an seinem Leben und seiner künstlerischen Arbeit als Autor, Filmemacher, Musiker und auch Schauspieler.
Die zweite Schublade von oben in der Schlafzimmerkommode – da liegen sie alle drin, die Ideen für die nächsten Filme. Woody Allen greift mit beiden Händen rein und breitet einen Berg von Blättern, Zetteln und beschrifteten Bierdeckeln und Kartonecken auf dem Bett aus. 42 Filme hat Allen schon gemacht. Fast jedes Jahr einen. Geschrieben wurden die Drehbücher allesamt auf einer alten Olympia-Schreibmaschine, die Allen in jungen Jahren bei einem Trödler erstanden hat. Auch heute noch arbeitet er mit Schere und Klammeraffe, um einzelne Textpassagen in den Skriptentwurf einzufügen. Arbeitsweisen, die sich bewährt haben, ändert Allen nicht, genauso wenig wie seine Brille, für die er sich mit Anfang zwanzig entschieden hat und die zu seinem lebenslangen Markenzeichen wurde. Kaum ein anderer Filmemacher hat seinen individuellen Stil und seine künstlerische Unabhängigkeit über vier Jahrzehnte derart erfolgreich verteidigt wie Woody Allen.
Der Dokumentarfilmer Robert Weide reist nun mit »Woody Allen: A Documentary« die Lebensstationen noch einmal ab und was er in Archiven zu Tage befördert, an Interviews mit Allen und vielen seiner Weggefährten neu befragt, ergibt ein ebenso schillerndes wie umfassendes Porträt eines der wirklich großen Regisseure der jüngeren Filmgeschichte. Angefangen hat Allen als Witzeschreiber für Zeitungen und Radiosender. Schon als Schüler produzierte er für ein Honorar von 25 Dollar bis zu fünfzig Gags am Tag und sein untrüglicher Sinn für Komik öffnete ihm die Türen im Showgeschäft. Auf den Bühnen von Nachtclubs im Greenwich Village sorgte der kleine Mann mit der schwarzen Brille für ausverkaufte Häuser. Schon in den Aufnahmen des blutjungen Entertainers erkennt man diesen sprudelnden Quell an Ideen, der nie zum Versiegen gekommen ist. Herrlich auch die Auftritte in den TV-Shows, wo sich Allen mit Dick Cavett wahre Improvisationsduelle lieferte. Nach seiner ersten schlechten Erfahrung mit Filmproduzenten in »What’s New Pussycat?« sicherte sich Allen fortan immer die kreative Kontrolle über seine Projekte.
Weide zeichnet den künstlerischen Werdegang Allens nicht nur an den Wendemarken seiner Filmografie wie »Der Stadtneurotiker«, »Manhattan« oder »The Purple Rose Of Cairo« nach, sondern auch an den Schauspielerinnen und Ehefrauen, die ihn durch sein Leben als Filmemacher begleiteten. Immer wieder spiegelt der Film das Privatleben mit sorgfältig ausgewählten Filmausschnitten aus Allens Werken, in denen das sich ständig neu hinterfragende Ego des Regisseurs sich um Kopf und Kragen redet. Allein diese Clips sind ein Fest für alle Allen-Fans und zeigen die Einzigartigkeit seines hellsichtigen und immer in Bewegung bleibenden Intellekts. Dass es in Allens Werdegang privat wie künstlerisch auch einige Tiefpunkte gab, verschweigt der Film nicht – ein spannendes, vielschichtiges und vor allem ungeheuer unterhaltsames Porträt eines der genialsten Köpfe der Filmgeschichte.