anzeige
anzeige
Kultur

Konfettiregen, Batik-T-Shirts und Hardcore

Das Festivaltagebuch, Teil 5: Das »fuckin’« Greenville

  Konfettiregen, Batik-T-Shirts und Hardcore | Das Festivaltagebuch, Teil 5: Das »fuckin’« Greenville

Auf dem Greenville Festival in der Pampa vor Berlin spielten am Wochenende Bands, die nicht zusammengehören, vor Menschen, die nur geringfügig zusammenkamen. Ein Spaß für alle Beteiligten. Und das ohne »Hyper Hyper«.

Iggy Pop ist müde. »I’m fuckin’ muuude«, sagt er. Man glaubt ihm kein Wort. Der 65-Jährige singt und springt, als gäbe es kein Morgen, sondern nur ein Gestern. Mit den »fuckin’« Stooges ist er hier, und die sehen in der Tat etwas müde und sehr weißhaarig aus, aber klingen so, wie sie damals in den Siebzigern geklungen haben müssen, in denen Iggy einen ähnlich nackten Waschbrettbauch gehabt haben dürfte, unter dem tief die Jeans hängt. Nur dass er diesmal Plastik-Wasserflaschen in die Menge wirft.

Iggy Pop ist der Headliner des Greenville Festival, das es so noch nicht gab, sondern in diesem Jahr zum ersten Mal in der Nähe von Berlin stattfand. Und es fällt schon beim Ankommen auf: Es ist leer. Was vor allem daran liegt, dass das ganze Gelände, die ganze Freizeitanlage von Paaren im Glien für weitaus mehr Menschen konzipiert wurde. Was für uns eigentlich nur Vorteile hat: Auf dem Zeltplatz muss einem niemand einen Platz freihalten, am Bierstand ist kein Schlange, auf den Wasser- sowie Dixie-Klos immer Klopapier und man kann einfach in die erste Reihe spazieren. Zum Beispiel bei Selig. »Hach, hier sind wir schön unter uns«, sagt Jan Plewka auf der Bühne und hat sichtlich Spaß. Die paar älteren Herrschaften vor der Bühne auch. Und dann singen alle »Es ist so oooohohoohne dich«, und schöner kann man ein Festival kaum anfangen, zumindest wenn man, sagen wir mal, knapp 30 ist.

»Selig? Machen die so was wie Unheilig?« Die Umstände wollen es so, dass wir neben 16-Jährigen zelten, die tatsächlich von Mutti eine unterschriebene Erlaubnis und eine Brotdose mit Radieschen und geschmierten Stullen dabeihaben, die am Sonntagmorgen in aller Hungersnot doch noch gegessen werden, und wir sind plötzlich sehr, sehr alt.

Aber wenn dann Sophie, die Klassenkameradin des Zeltnachbarn, von Cro auf die Bühne geholt wird, weil sie so ein tolles Batik-T-Shirt anhat, und man weiß, dass sich die Kids tatsächlich letzte Woche zum Batiken getroffen haben, dann ist das doch irgendwie süß. Batiken also. Kommt denn wirklich alles wieder? Egal. Cro also. Der nette Junge mit der Pandamaske. Ich wollte ihm keine Chance geben, mache mich die ersten Lieder lang noch lustig, über die schlechten Reime und ach naja, wie unaufregend er doch ist. Aber dann, was soll’s, ab nach vorne (ist ja nicht weit) und Hände hoch und mitgemacht. Und er wird immer lustiger, sympathisch gerade zu, verschenkt Bier, fragt nach Drogen für den Typen, der die ganze Zeit mit dem Schild »Need weed« rumrennt, und lässt uns alle zu »I need a dollar« tanzen. Easy.

Alles ist easy hier. Abgesehen von diesem nervigen Bezahlsystem, bei dem man das Bier nicht mit herkömmlichen Euros bezahlen kann, sondern mit der eigenen Festivalwährung Token, die man natürlich nie gerade dabei hat, wenn man gerade dringend ein Bier braucht.

Das Line-Up ist absurd. Zu den schon Genannten gesellen sich unter anderem die Headliner Deichkind, The Flaming Lips oder Scooter. Erstere fahren alles auf, was man so kaufen kann im Bedarfsladen für eine gute Show und machen genau das, worüber sie singen: Krawall und Remmidemmi, Tandemfahren oder das Fass reinholen, das über den Köpfen der Menschen schwebt und von dem aus sie singen »Hol das Fass rein«. Als alle auf die Melodie des guten, alten Antifa-Demospruchs »Hoch die Internationale … Getränkequalität« grölen, mache ich mir doch kurz wieder Sorgen um die Jugend von heute, während Deichkind auf der Bühne Besuch von diversen Hamburgern bekommen, die man aber alle nicht erkennt, weil sie blinkende dreieckige Hüte bis übers Gesicht tragen und weil es hier auch keine Rolle spielt.

Scooter sehen genauso aus wie schon immer, klingen genauso als wäre seit den Neunziger rein gar nichts passiert und haben eine Gitarre, aus der Feuerwerk spritzt. »Hyper hyper« spielen sie nur kurz an, »How much is the fish« gar nicht und HP »fuckin’« Baxter brüllt abwechselnd »Harder Faster Scooter« oder einfach nur »Hardcore«. Ich dachte ja vorher, das müsse man mal gesehen haben. Aber eigentlich auch nicht. Also abgesehen von der Gitarre.

The Flaming Lips sind die Besten. Mit riesigen bunten Luftballons, noch riesigeren Konfettikanonen, tanzenden Mädchen und bunten Bildern, die einen an LSD erinnern, selbst wenn man noch nie welches genommen hat, auf einer Leinwand, auf der zwischendurch Wayne Coynes Gesicht so nah erscheint, dass man Angst kriegen könnte. Ein Gefühl der Glückseligkeit – auch ganz ohne LSD – bekomme ich dagegen beim letzten Song, bei dem alle im Konfettiregen und im Chor immer wieder »Do you realize that you have the most beautiful face in the world« singen.

The Roots, von denen man hört, dass sie ein ganz wunderbares Konzert gespielt haben, habe ich verpasst, weil ein 90. Geburtstag in der Familie zu einem kurzen Ausflug in eine Pankower Kleingartenanlage lockte, in der unter anderem der Leierkastenmann Orgel Otto zu Playback-Gedudel die besten Lieder der Zwanziger mit Berliner Dialekt sang (wäre an anderer Stelle mal ein eigener Artikel wert). Aber dennoch hat sich Bolle janz köstlich amüsiert …

Zurück nach Paaren (was gar nicht so einfach ist, da die Shuttlebusse nur ab und an fahren und die Angabe »zehn Minuten vom S-Bahnhof Spandau entfernt« eine glatte Lüge ist) und den weiteren Highlights des Wochenendes: Die Blockflöte des Todes spielt Sonntag morgens um zwölf, während vor der Bühne und zwischen den tatsächlich schon erschienenen Menschen der Dreck der Nacht noch weggekehrt wird, und bringt alle dazu, folgende Zeile zu singen: »Ich bin müde denn/ Ich habe Chlamydien«. Erfreulicherweise erklärt der Liedermacher auch, was das ist: Eine Geschlechtskrankheit, die die Eierstöcke verschleimt. Danke dafür.

Der Mensch, der bei Snobs den Wurstjungen spielt, bestellt neben mir Bier. Ich gebe dem Gefühl nach, ihn dringend ansprechen zu müssen. »Bist du nicht der Mensch, der bei Snobs den Wurstjungen spielt?« »Ja.« »Toll. Find ich gut.« Immerhin ein Dialog.

Dizzee Rascal sind ganz unerwartet ganz wunderbar. Ich höre gar nicht mehr auf zu tanzen. Ich überlege, vielleicht doch noch Hiphopper zu werden. Geht das noch?

Ansonsten merke: Die Bristoler Schwesternband 2:54 sollte man sich noch mal in Ruhe anhören, die schnöseligen Punk’d Royal nie wieder.

Insgesamt und in dem egoistischen Teil des Herzens wünsche ich mir, dass zum nächsten Greenville genauso wenige Leute kommen (die Veranstalter sprachen von 10.000, die sich aber irgendwo sehr gut versteckt haben müssen), aber ich habe keine Ahnung, wer all das bezahlt hat oder noch muss, doch Gerüchten zufolge gibt es einen Zehnjahresplan und das hier war wohl für Stufe 1 gar nicht so schlecht.

Doch darüber können sich andere Menschen den Kopf zerbrechen, wir fahren fucking’ muuude nach Leipzig.


Kommentieren


4 Kommentar(e)

Ulli 02.08.2012 | um 12:46 Uhr

Whoop-whoop!

Henner 02.08.2012 | um 18:42 Uhr

Danke für diesen tollen Artikel, der pustet einem glatt das Regenwetter aus dem Gemüt!

Theo 03.08.2012 | um 01:50 Uhr

Kann mich dem Vorredner nur anschließen, danke, danke Frau Streich. Und sollten Sie tatsächlich HipHopperin werden, würde ich mich freuen, hier von Ihrer Transformation zu lesen....

Juliane Streich 03.08.2012 | um 09:39 Uhr

Danke für euer Lob, das erhellt auch mir den Regen. Und von meinem Leben als Hiphopperin werdet ihr natürlich als erstes erfahren.