Die Indizien für die These, dass in »This Ain’t California« mehr nachgestellte Szenen als Archivmaterial zum Einsatz kommt, mehren sich. Fragt sich also, welche Aussage des Films überhaupt stimmt und wie weit ein dokumentarischer Film gehen darf.
»This Aint California«, eine »dokumentarische Erzählung« – so der Begriff von Regisseur und Produzent – über die Skaterszene in der DDR, wurde seit der diesjährigen Berlinale 2012 viel gelobt, ist international getourt und hat Preise abgeräumt. Fast gleichzeitig mit den Lobeshymnen kamen Gerüchte über nachgestellte Szenen im Film auf, die als Archivmaterial verkauft wurden.
Erzählerischer Ausgangspunkt des Films ist Denis Paracek, genannt Panik, der in den 1980ern wohl den Mittelpunkt der Skaterszene am Berliner Alexanderplatz bildete und dessen Beerdigung 2011 der Anlass ist, die Clique von damals wieder zusammenzubringen. Man trinkt noch ein Bier zusammen auf dem Gelände einer verlassenen Wäscherei und erinnert sich an früher. Da ein Film nicht allein davon lebt, dass Leute zusammenhocken und erzählen, ist es großartig, dass es Super-8-Material gibt, das Denis und seine beiden Kumpels schon als Jungs beim Skateboardfahren durch die Platte von Magdeburg-Olvenstedt zeigt, sowie weiteres Material mit dem Freundeskreis in Ost-Berlin, 1988 beim Eurocup in Prag und ein Jahr später beim ost-westdeutschen Skateboardcup. Auf diese Weise werden die Erinnerungsszenen von heute mit den alten Privat- sowie mit historischen Aufnahmen und mit Zeichentrick-Sequenzen gemixt, es entsteht ein grandioses und ausgewogenes Gesamtbild, das gut geschnitten ist und von einer überlegten Musikauswahl begleitet wird.
Aus den nachgestellten Szenen im Film wurde nie ein Hehl gemacht, weder Regisseur noch Produzent wollten sich aber jemals festlegen, um welche Szenen es geht oder welchen Anteil sie am Film haben. So sitzt man ein wenig rätselratend im Kino und denkt sich etwa angesichts der eher hölzernen Episoden in der Wäscherei, dass man hier wohl kaum authentischen Gesprächen zwischen den Skatern von früher beiwohnt, sondern auswendig gelerntem, gescriptetem Text.
Wie sich herausstellt, heißt Panik, der hellblonde, sympathische Junge, der auf wackligen Bildern dabei zu sehen ist, wie er mit dem Skateboard durch das Ost-Berlin der 1980er gurkt, aber nicht Denis oder Panik, sondern Kai Hillebrand. Kai Hillebrand ist Schauspieler und Skateboarder und keineswegs letztes Jahr beerdigt worden, sondern quicklebendig.
Susanne Burg berichtet auf Deutschlandradio Kultur davon, dass sie Kai Hillebrand in einem anderen Film gesehen hat und so darauf kam, dass es den Panik aus dem vermeintlichen Archivmaterial gar nicht gibt. Wenn es ihn gab, dann sehen wir zumindest nichts von ihm im Film.
In der Erklärung für den Förderpreis des 22. Filmkunstfests in Mecklenburg-Vorpommern heißt es, dass »This Ain’t California« »gekonnt mit dem Genre des Dokumentarfilms und den Möglichkeiten des Mediums Film« spiele. Ob das Spiel mit dem Genre gelungen ist, muss dahingestellt bleiben. Wer einen Film über Skater in der DDR machen will – und die gab es ja –, aber nicht genügend Material vorfindet, darf dieses Material natürlich selbst produzieren, um den Geist dieser Subkultur ins Kino zu bringen. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Wenn aber nicht klar ist, was erfunden und was echt ist, dann stellt sich die Frage nach dem Erkenntniswert eines Films, der nur Fragen aufwirft: Gab es den Berliner Skaterkreis, gab es die Freundschaften zwischen ost- und westdeutschen Skatern, wurden die Skater als Übungsleiter für die offiziellen Rollsportsektionen geworben, hatte die Stasi überhaupt Interesse an ihnen? Somit ist fast alles, wovon der Film erzählt, mit einem großen Fragezeichen versehen. Damit steht auch die interne Terminologie auf dem Prüfstand, hinter der sich Regie und Produzent verschanzen, nämlich der Begriff von der »dokumentarischen Erzählung«: Wenn nicht dokumentiert wird, was gewesen ist, sondern erzählt wird, was hätte gewesen sein können, dann kann von »dokumentarisch« nicht mehr die Rede sein. Wer in den Film geht, weil er gerne über filmische Ästhetik nachsinnt, dem mag das alles herzlich egal sein. Wer aber etwas über die DDR-Skateboard-Szene erfahren will, hat dort eigentlich nichts zu suchen. Wenn im Film alles nur ein Produkt der Fantasie ist, dann ist das Ergebnis kein grandioser Film, sondern eine zu glatt geratene Geschichte, die man nur zu gerne geglaubt hätte.