Gastkommentatorin Christin Melcher von der Kita-Initiative wirft der Stadt Versäumnisse vor und vermisst die Diskussion um die Qualität der Kinderbetreuung. Am Donnerstag veranstaltet die Initiative eine Demonstration vor dem Rathaus.
Regelmäßige Blicke ins Elternportal, Telefonate, Briefe, Bewerbungsmappen, ständiges Vorsprechen in den Kitas – das alles sind Maßnahmen, um einen Kita-Platz zu bekommen. Meist sind sie aber erfolglos. Die Suche gleicht einem Spießrutenlauf, der ersehnte Platz einem Lottogewinn. Woran liegt das? Zu lange glaubten die Verantwortlichen in Leipzig, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz noch gekippt wird. Oberbürgermeister Burkhard Jung freut sich zwar alle Jahre wieder, wenn er steigende Geburtenraten verkünden kann, den Ausbau der Betreuungsplätze hat er dabei aber geflissentlich vernachlässigt. Vor allem Krippenplätze sind Mangelware. Dabei fragt man sich, was an dem Begriff »Rechtsanspruch« eigentlich falsch zu verstehen ist.
Jede Kommune hat die Pflicht, das Betreuungsangebot bedarfsgerecht auszubauen. Dazu sollte zunächst einmal ein Bedarf ermittelt werden. Die Stadt Leipzig weigert sich jedoch vehement, die Eltern nach der Geburt ihrer Kinder oder bei Zuzug nach ihren Betreuungswünschen zu befragen. So liegt bis heute keine verlässliche Planungsgrundlage für den Kita-Ausbau vor. Aber die Stadt Leipzig ist nicht dumm, nein, sie ist sogar sehr kreativ: Der angenommene Bedarf ist einfach so hoch wie die Anzahl der Betreuungsplätze. Dies führt in Leipzig zu einer geplanten Betreuungsquote von knapp 50 Prozent bei Kindern unter drei Jahren für das Jahr 2013. Allerdings sind die meisten Einrichtungen noch gar nicht gebaut, um diese Quote zu erfüllen. In den vergangenen Jahren konnte man immer wieder feststellen, dass geplante Kitas nicht realisiert wurden oder mit enormer Verspätung öffneten. Auch dieses Jahr wird nur die Hälfte der geplanten Plätze fertiggestellt.
Darüber hinaus bemisst sich diese Quote nur an der Geburtenrate. Dabei tönte Burkhard Jung im Wahlkampf selbst, dass der Engpass durch den Zuzug vieler junger Familien entstünde.
Um den Rechtsanspruch zu erfüllen, muss man davon ausgehen, dass alle Kinder mindestens ab dem ersten Lebensjahr einen Platz benötigen oder aber den tatsächlichen Bedarf ermitteln. Beides tut die Stadt nicht. Die Leidtragenden sind dabei die Eltern und ihre Kinder.
Zugegeben, die Stadt versucht die Versäumnisse der letzten Jahre wettzumachen: Sie baut riesige Kitas und stellt massenhaft Tageseltern ein. Trotzdem reichen die Plätze nicht, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Die Stadt Leipzig täte gut daran, dies einzugestehen und eine vernünftige Mangelverwaltung voranzutreiben. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Eltern werden mit selbstgestrickten Socken und Falschaussagen beschwichtigt. Das ist Leipziger Familienfreundlichkeit! Eltern bekommen immer wieder vom Jugendamt zu hören, dass sie ihren Bedarf erst sechs Wochen vorher anmelden sollen, man finde dann schon einen Betreuungsplatz – klingt gut, ist aber falsch. Der Bedarf muss laut Sächsischem Kita-Gesetz (§4) sechs Monate vorher angemeldet werden. Ansonsten bekommen die Eltern bei der Durchsetzung ihres Rechtsanspruches Probleme. Es bleibt Spekulation, ob die Stadt dies mit Absicht tut, um mögliche erfolgreiche Klagen auf einen Krippenplatz so gering wie möglich zu halten oder ob sie ihre Aussagen selber glaubt. Sollte es Absicht sein, wäre es ein Skandal.
Was Eltern alles anstellen müssen, um einen der begehrten Plätze zu ergattern, ist hinlänglich bekannt. Dieser meist frustrierende Umstand könnte beseitigt werden, indem die Stadt alle Plätze zentral vergibt. Ein zentrales Vergabesystem ruft bei einigen Entscheidungsträgern Ressentiments hervor. Aber wesentlich schlimmer sind jene, die darin eine Gefährdung der Wahlfreiheit sehen. »Welche Wahlfreiheit?«, möchte man fragen. Eltern können sich doch glücklich schätzen, wenn sie überhaupt einen Platz ergattert haben. Pädagogische Konzepte oder Qualität des Betreuungsangebotes sind inzwischen Luxusprobleme. Erziehermangel, ein qualitativ-hochwertiges Fort- und Weiterbildungsangebot, anständige Vergütung des Betreuungspersonals sind Themen, die im Zuge der Debatte um den Rechtsanspruch in den Hintergrund geraten sind. Und das ist eigentlich der größte Skandal: Alle reden von Quantität, es muss aber im gleichen Maße auch um Qualität gehen! Darauf gibt es allerdings noch keinen Rechtsanspruch.
Wir erinnern uns nur allzu gut an die Aussagen unseres wiedergewählten Oberbürgermeisters: »Die Eltern klagen auf hohem Niveau« oder »Kita-Ausbau ist Chefsache«. Wir Eltern hoffen, dass diese Aussagen irgendwann an Wahrheitswert gewinnen und Leipzig endlich eine familienfreundliche Politik betreibt.