Man stelle sich einmal folgendes vollkommen unplausibles Szenario vor: Auf der Bühne steht eine Irish-Folk-Rock-Band namens Flogging Molly, zu der die Leute abgehen wie Schmidts Katze, danach kommen die Hard Metaller Heaven Shall Burn (mit Wahnsinns-Lichtshow) auf die Bühne und das Publikum geht ab wie Schmidts Katze oder ist vor der Nebenbühne bei den Elektro-Swingern von The Parov Stelar Band beschäftigt. Womit? Beim Abgehen wie Schmidts Katze! Erst am späten Abend trennen sich dann die Zielgruppen. Auf der großen Bühne heizen die Festivalveteranen Billy Talent mit viel amerikanischer Punk-Attitüde und schneller Gitarre der pogenden Menge ein, während Silbermond ihren im Vergleich dazu träumerischen Deutschrock in den sächsischen Abendhimmel mit zunehmendem Mond abschießen. Die Harten gehen in den Garten, die anderen zu Silbermond.
Es ist offenbar diese Mischung aus 41 teilweise sehr verschiedenen Bands, die das 13. Highfield zu dieser Größe anschwellen ließ und das auch dieses Jahr wieder über 20.000 vor allem sehr junge Leute nach Großpösna zog, um sich dem kollektiven (musikalischen) Rausch hinzugeben. Der einzige Megatrend lautet Rock: Ohne Gitarren war fast keiner der auftretenden Musikunterhalter am Start, gleichwohl das Panorama vom gediegenen Liedermacherspaß über Pop-Rock und Klassik-Rock bis zu den wilderen Abarten des stark repräsentierten Punks und sogar, wie gesehen, bis zum Metal reicht. Dennoch ist hier nicht nur Musik, sondern auch Karneval angesagt. So zwängte sich ein junger Mann bei hochsommerlichen Temperaturen in eine wollene Banane und auch andere großformatige Felltiere, aufgeblasene Giraffen und Riesenpenisse sowie zahlreiche Masken wurden auf dem Festival gesichtet. Persönliches Highlight war ein selbstgemachtes Schild mit der Nonsens-Aussage: »Ich halte ein Schild hoch«. Ernst war offenbar nicht auf dem Highfield.
Dabei ging es sogar hier und da richtig politisch zu: Das Festival sammelte Pfandspenden für den Verein Viva con Agua, der internationale Wasserprojekte unterstützt, aber auch zahlreiche Künstler hielten mit ihren politischen Botschaften nicht hinterm Zaun. Jennifer Rostock etwa rockte im Zeichen der Schwulen-Lesben-Transgender-Bewegung, Irie Revóltés brachten ihren Reggae-Ska-Hiphop als Botschaft gegen Grenzen und für Bewegungsfreiheit an das begeisterte Publikum, die Alt-US-Punker Nofx schossen wie immer rotzig gegen das System als Ganzes und ihre ideologischen Enkel von Feine Sahne Fischfilet wetterten gegen rechte Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft.
Überhaupt einer der ganz großen Momente des Highfield. Sänger Monschi und seine Mannen, auf einen eher unspektakulären Slot am zweiten Tag platziert, wurden von Tausenden gefeiert. Ihre Popularität verdanken sie dabei nicht nur dem Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern, sondern ihrer Live-Qualitäten und Monschi war sichtlich gerührt von den pogenden Massen. Als im Publikum Rauchbomben gezündet wurden, riefen sie die Security zurück, den Träger nicht festzunehmen, und entzündeten eine eigene Rauchsäule auf der Bühne – nicht ohne sich später bei der Security für den Job insgesamt zu bedanken. Auch einige Deichkind-Titel mit ihrer anarchisch-rebellischen, gerne auch ironisch gebrochenen Grundhaltung sprechen für sich: »Arbeit nervt.« Und sogar die Ärzte ließen sich zu einem politischen Statement hinreißen. Nach »Schrei nach Liebe« erklärten sie zu den aufkommenden Nazi-raus-Rufen, man solle sich doch hier die Kraft sparen und stattdessen zum Völkerschlachtdenkmal gehen, wenn die Kameraden mal wieder aufmarschieren wollen. Dass man trotz dieses offenbar aufgeklärten Geistes (sämtliche Statements wurden mit großem Jubel begrüßt), Sprüche wie »Du Homo« hören musste, lässt einen dann aber doch wieder an der Aufgeschlossenheit der versammelten Jugend zweifeln.
Was waren die Highlights neben dem wie immer perfekt durchgestylten und dennoch unheimlich sympathischen Ärzte-Konzert, bei dem vor allem Farin Urlaub und Bela B. gegeneinander vor sich hin frotzelten? Schwierig zu sagen. Für die Hiphopper und Elektro-Freunde war sicherlich die schwer zu toppende Bühnenshow von Deichkind der Mega-Kick. Deichkind als Deichking! Die sechs Hamburger liefern nicht nur Musik – die ja bekanntlich leider geil ist –, sondern setzen auch Maßstäbe in Sachen Pop-Zirkus. Wandelbare Bühnenelemente, tolles Licht und am Ende ein riesiges Fass, das sich durch die Menge schiebt. Für die nicht unwesentliche Punk-Schiene im Festival sorgte nach dem Kickstart von Billy Talent am ersten Abend, der alle Pogo-Herzen bereits deutlich schneller schlagen ließ, dann der nächste Tag mit Jennifer Rostock als Auftakt (sie sorgte für einige Circle Pits), Nofx, Pennywise und als Abschluss Bad Religion, die ihr Set gleichsam souverän, fast schon gelangweilt, aber dennoch druckvoll absolvierten. Und Nofx-Sänger Fat Mike ließ es sich nicht nehmen, bei seinen Epitaph-Kumpeln auf der Bühne aufzutauchen. Auch der ambitionierte Deutschrocker hatte mit Silbermond, Jennifer Rostock, Tocotronic, dem kurzfristig eingesprungen Thees Uhlmann und natürlich den kraftvoll abliefernden Madsen jede Menge zu tun. Hiphopper hatten neben dem Highlight Deichkind sicher auch mit Cro und Prinz Pi ihren Spaß und die große Truppe der Rockfans (leichterer und härterer Bauart) sowieso. Und für Experimentierfreudige war neben den Monsters of Leadermaching sicherlich der Auftritt der Folk-Gruppe The Lumineers eine Perle. Mit Klavier und Cello re-imaginierten sie die Bob-Dylan-Zeit wahrscheinlich besser, als sie jemals war.
Lediglich die Zeltplatzgröße wirkte unzureichend. Am Freitag Ankommende hatten wahre Odysseen zu leisten, bis sie überhaupt noch ein Plätzchen fanden, und auch an der Badestelle herrschte teilweise unangenehmes Sardinen-Feeling. Hier stellt sich die Frage, ob auf der Landspitze am Störmthaler See die Grenzen des Wachstums erreicht sind oder es noch Luft nach oben gibt. Ein Lob geht an die Security, die fast immer freundlich und entspannt reagierte und bekanntermaßen den eher undankbarsten Job während dieser Feiertage hatte. Auffällig waren die Unterschiede im Lichtbereich. Besonders US-Bands zeichneten sich hier durch eine gewisse Eintönigkeit aus, während die einheimischen Bands versuchten, alle Register zu ziehen. Der Rest ist Geschichte.