Heute Abend eröffnet Wes Andersons buntes Kinospektakel »The Grand Budapest Hotel« die 64. Ausgabe der Berlinale. Der Film wurde größtenteils in Sachsen gedreht. Aber noch mehr Berlinale-Beiträge lassen vertraute Ecken und hiesige Orte auf der großen Leinwand aufblitzen. Doch auch fernab von Deutschlands wichtigem Filmfestival bringen die Verleiher fleißig Kinokost in die Lichtspielhäuser. In dieser Woche thront ganz oben der Oscar-Aspirant »Dallas Buyers Club«. Und natürlich stehen auch in dieser Woche Stummfilme im Programm. Das Wanderkino macht einen Winterstopp im LURU-Kino und in Connewitz wird zu den bewegten Bildern an der Orgel improvisiert. Mehr dazu und auch zu den regional verbandelten Berlinale-Beiträgen finden Sie unter den Neustarts.
Ein Film voller stiller Intensität mit zwei herausragenden Hauptdarstellern: Ron Woodroof infiziert sich 1985 mit HIV, was so gar nicht in das homophobe Weltbild des Elektrikers und Rodeo-Cowboys passt. Matthew McConaughey gelingt es eindrücklich, das widersprüchliche Innenleben seiner Figur herauszuarbeiten. An seiner Seite brilliert Jared Leto, der sich als transsexueller Rayon im Leben des mürrischen Cowboys einrichtet und allein durch seine Blicke und Gesten im Gedächtnis des Zuschauers festsetzt. Eine Kritik zum Film finden Sie im aktuellen kreuzer.
»Dallas Buyers Club«: ab 6.2., Passage Kinos, Schauburg
»Unvermittelbar«, lautet für viele der Bewohner in dem ehemaligen Münchener Hotel »Annelie« die Diagnose seitens des Amts. Die »Annelie« wurde von der Stadt als provisorische Unterkunft für Obdachlose und Sozialfälle angemietet. Und hierhin hat Antej Farac das Setting seiner Doku-Fiktion gelegt, die in drei Kapiteln eine erschütternde Milieustudie über Menschen am Rande der Gesellschaft zeichnet. Gespielt werden diese von ehemaligen Bewohnern selbst. Ihr Leben haben sie Farac geliehen, um mit ihm dieses filmische Experiment zu wagen. Einzig den österreichischen Schauspieler Georg Friedrich (»Mein geliebter Feind«) holte Farac als Professionellen mit ans Set, der als drogenabhängiger Erzähler durch die Geschichte führt – und sich als wahrer Treibstoff im Zusammenspiel mit den Laien herausstellt. Farac hätte dennoch gut daran getan, sich für eine Herangehensweise zu entscheiden. Zu verworren erscheint der Mix aus fiktionalen und dokumentarischen Elementen, der gerade zum Ende hin mit zunehmend surrealem Charakter eine fast schon traumgleiche Inszenierungsebene schafft. Das lässt im Kontrast zur bitteren Realität die Fallhöhe nur umso größer erscheinen. Aber vielleicht liegt in der Doku-Fiktion auch schon wieder ein künstlerischer Glücksgriff: Denn als Parallelwelt, die sich in der »Annelie« seinerzeit tatsächlich entwickelt hat, bietet die Hinterhofszenerie ein umso radikaleres Gegenstück zum Münchener Großstadtschick. Die vollständige Kritik finden Sie im aktuellen kreuzer.
»Annelie – Ein Hartz IV Film«: 6., 10./11.2. Cinémathèque in der naTo
Die Truthähne Reggie und Jake stellen mit Erschrecken fest, dass ihre gesamte Existenz nur einem Zweck dient: Als Festtagsbraten auf dem Esstisch der Menschen zu landen. Sie beschließen, der Truthahnbratentradition ein Ende zu setzen. Dafür reisen sie mit einer Zeitmaschine ins 17. Jahrhundert, um die Entstehung der verhängnisvollen Thanksgiving-Tradition bei den amerikanischen Pilgern zu verhindern. Mit originellen Figuren und einem allerdings gen Ende hin etwas zu viel Luft schnappenden Plot.
»Free Birds – Esst uns an einem anderen Tag« (3D): ab 6.2., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Passage Kinos, Regina Palast
Ricky ist zehn Jahre alt, ein ziemlicher Einzelgänger und bewundert niemanden mehr als seinen großen Bruder, den 15-jährigen Micha. Als dieser ihn damit beauftragt, die hübsche Alex auszuspionieren, verstehen sich die beiden Brüder plötzlich besser als je zuvor. Doch dann verliebt sich auch Ricky in Alex. Um die neu gewonnene Nähe zu seinem Bruder nicht zu zerstören, fragt Ricky seinen imaginären Freund Xi Lao Peng, einen chinesischen Mönchsnovizen, um Rat. Leider vergeblich. Toller Familienfilm mit subtilem Humor!
»Ricky – normal war gestern«: ab 6.2. Passage Kinos
Da sitzt er mit seiner Bauer-Schmalfilmkamera, der Gerhard Polt. »Bleibt’s doch daheim, schaut’s euch lieber einen Film an«, doziert er zum Vorspann mit jenem berühmt hintersinnigen Kichern, das gleichermaßen Wahnsinn und Weisheit bedeuten kann. Bei einem wie Polt muss man bereits bei der Erscheinung einfach lachen – von diesem Loriot-Effekt können nur wenige Komiker träumen. Mit »Man spricht deutsch« und »Herr Ober« hat der verschrobene Witzbold aus Bayern Ende der achtziger Jahre grandiose Kino-Komödien geschaffen. Nun gibt er einmal mehr den tragikomischen Helden, der den spaßigen Spagat zwischen sturem Spießer und einfallsreichem Eigenbrötler hält. Wie üblich wird er dabei von seiner langjährigen Sketch-Partnerin, der großartig komischen Gisela Schneeberger, unterstützt. Als Amateurfilmer Hans Pospiech träumt Polt vom großen Durchbruch im dörflichen Cineastenclub. Die dramaturgische Dichte und großartige Situationskomik seiner Klassiker erreicht Polt mit seinem jüngsten Streich zwar nicht ganz. Das Füllhorn hintersinnig verschrobener Dialoge macht die Sache dennoch lohnend. Die vollständige Kritik finden Sie im aktuellen kreuzer.
»... und Äktschn!«: ab 6.-12., 14./15.2., Kinobar Prager Frühling
Wann immer eine Idylle gezeichnet wird, scheint im Film ein dunkler Schatten nicht weit. Die Idylle, die »Meine keine Familie« anbietet, gewährt einen Einblick in das Leben auf dem Friedrichshof im österreichischen Burgenland, einst die größte Kommune in Europa. Gegründet wurde sie in den siebziger Jahren von dem bereits verstorbenen Wiener Aktionisten Otto Mühl. Krisselige Archivbilder zeigen tanzende Menschen, Gruppenorgien, gemeinsames Arbeiten und mittendrin herumwuselnde Kinder. Regisseur Paul-Julien Robert ist eines davon. Sein filmischer Rückblick zieht eine sehr persönliche Bilanz der ersten zwölf Lebensjahre, die Robert in der Kommune verbracht hat, die, nachdem Mühl des Kindesmissbrauchs angeklagt wurde, 1991 aufgelöst wurde. Sechs Jahre dauerten seine Recherchen, die eigentlich mit der Suche nach dem leiblichen Vater begann. Roberts bewegende Aufarbeitung seiner Vergangenheit überzeugt vor allem dadurch, dass es dem Filmemacher gelingt, trotz des subjektiven Blicks das Scheitern einer Utopie in seiner Gänze darzustellen. Die vollständige Kritik finden Sie im aktuellen kreuzer.
»Meine keine Familie«: 6.-8., 11./12.2., Cineding
Felix ist mit seinem kinderlosen Junggesellendasein vollkommen zufrieden und genießt sein Leben. Als sein nerviger Bruder Henne mit seinem Frettchen Karsten bei ihm einzieht, ändert sich jedoch so einiges. Henne eröffnet ihm, dass er schon seit einiger Zeit Geld mit Samenspenden verdient, was Felix ihm doch glatt nachmacht und sich über die zusätzliche Einnahmequelle freut. Durchschnittliche bis typische Unterhaltungskost von Matthias Schweighöfer.
»Vaterfreuden«: ab 6.2., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast
Im Jahr 2028 ist OmniCorp globaler Marktführer für Robotertechnologie. Als Polizist Alex Murphy im Dienst schwer verletzt wird, ist dies für OmniCorp die Gelegenheit, eine umstrittene Technologie endlich zum Einsatz zu bringen. Der Plan ist, den perfekten Polizisten zu schaffen: halb Mensch und halb Roboter, RoboCop eben. Neuinszenierung des Verhoeven-Klassikers, die im Vorfeld wegen einer bestehenden Indizierung für Gesprächsstoff sorgte und in einer ungekürzten Fassung auch auf DVD erscheinen wird.
»Robocop«: ab 6.2., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast
Linda ist von Geburt an schwer herzkrank und will vor einer komplizierten Herz-OP noch einmal ein paar schöne Tage mit ihren Schwestern verleben. Während Linda durch ihre Krankheit zu einer starken, in sich ruhenden Frau geworden ist, verdrängt ihre Schwester Clara ihre Ängste und Katharina versucht, ihr Leben und ihre Gefühle mit aller Macht unter Kontrolle zu halten. Gemeinsam treten die drei Schwestern eine letzte Reise an. Unser Autor Martin Schwickert hat sich für uns das intensive Kammerspiel »Meine Schwestern« mit einem überzeugenden Darstellerinnen-Trio angesehen.
Filmfutter fernab der Neustarts
Hollywood ist hier – Berlinale 2014:
Im vergangenen Jahr stellte Wes Anderson während der Dreharbeiten zu »The Grand Budapest Hotel« Görlitz auf den Kopf. Der Film läuft im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale und eröffnet zugleich das Festival. Mit einem ansehnlichen Ensemble um Ralph Fiennes, Tilda Swinton und Bill Murray erzählt Anderson die Geschichte von Gustave H., dem Concierge des titelgebenden Hotels, und dem Hotelpagen Zero Moustafa, die zwischen den beiden Weltkriegen in einen atemberaubenden Kunstdiebstahl und in den Kampf um ein Familienerbe verwickelt werden. Vor einigen Jahren erst entdeckten internationale Produzenten vor allem Sachsen und Sachsen-Anhalt als unverbrauchte Filmkulisse. Die konsequente Vermarktung hiesiger Drehorte durch die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) hat schon ganz unterschiedliche Hollywood-Größen in die Region gelockt. Es ist bekannt, dass sich vor allem die Altstadt von Görlitz bestens eignet für Geschichten aus längst vergangenen Zeiten: Vom Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts (»In 80 Tagen um die Welt«) über das Heidelberg der fünfziger Jahre (»Der Vorleser«) bis hin zu Tarantinos »Inglourious Basterds«, der das Flair der Stadt nutzte für eine Szene, die im Zweiten Weltkrieg spielt. Im Wettbewerb der Berlinale, allerdings außer Konkurrenz, läuft auch George Clooneys neuer Film »Monuments Men – Ungewöhnliche Helden«, der unter anderem in Merseburg in den Kasten gestampft wurde. Der dritte Wettbewerbsbeitrag, der »zu großen Teilen in Mitteldeutschland« gedreht wurde, ist das Liebesdrama »Die geliebten Schwestern« von Dominik Graf. Aber auch in den anderen Sektionen laufen Filme wie etwa »Stereo« mit Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel in den Hauptrollen der Sektion »Panorama«, die von der MDM gefördert werden, und für den einen oder anderen Kinogänger vertraute Schauplätze offenbaren.
64. Berlinale: 6.-16.2., Berlin, www.berlinale.de
Stummfilmnacht mit Orgelimprovisation:
David Timm begleitet »Der Golem, wie er in die Welt kam« von Paul Wegener und Carl Boese aus dem Jahr 1920. »Wegeners Film war einer der künstlerisch wie geschäftlich größten Erfolge der deutschen Stummfilmproduktion, dessen außergewöhnliche, von Jugendstil und Expressionismus bestimmte Bild- und Dekorgestaltung bis heute nichts von ihrer suggestiven Wirkung eingebüßt hat«, schreibt das Lexikon des internationalen Films.
7.2., Paul-Gerhardt-Kirche Connewitz
Stummkunstfilme mit Livemusik:
Seit 1999 bereisen Tobias Rank und Gunthard Stephan vor allem im Frühling und Sommer mit ihrem mobilen Kino unterschiedliche Orte in Deutschland und machen jedes Jahr auch im Clara-Zetkin-Park Halt. Dann zeigen sie nicht nur alte Stummfilmklassiker und aktuellere Werke, sondern begleiten sie mit Live-Musik. Am 8. Februar beziehen die beiden Leipziger Berufsmusiker für einen Abend im LURU-Kino in der Spinnerei ein Winterquartier. Die Auswahl ist bestimmt von surrealistischen und abstrakten kurzen Kunstfilmen: Mit Flügel und Violine begleiten Rank und Stephan Filme von zwei Pionieren des abstrakten Films, Hans Richter (1888-1976) und Oskar Fischinger (1900-1967), deren Arbeiten als Vorläufer des modernen Videoclips gelten. Die Filme »Der Trinker« und »Krieg und Frieden« des Leipziger Malers Baumgärtel (geb. 1972) entstammen den gleichnamigen Hartmann-Inszenierungen am Centraltheater. Und schon als kleine Vorschau: Vom 27. Mai bis 11. Juni bespielen Rank und Gunthard mit ihrem Wanderkino wieder die Warze im Clara-Park. Mehr dazu gibt es an dieser Stelle, wenn die Sonne wieder unsere Gemüter kitzelt.
8.2., LURU-Kino in der Spinnerei
Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe.
Gute Unterhaltung im Kinosessel!